Rheinische Post

Die Lebensvers­icherung steckt in der Krise – die Branche setzt auf neue Angebote.

Die klassische Lebensvers­icherung ist am Ende. Immer weniger Assekuranz­en bieten das Produkt noch aktiv zum Kauf an. Altkunden müssen mit einer immer geringeren Verzinsung auskommen.

- VON UWE SCHMIDT-KASPAREK

Das waren noch traumhafte Zeiten. Zwischen 1994 und 2000 boten Lebensvers­icherer ihren Kunden auf den Sparanteil noch vier Prozent Garantie bis zum Ende des Vertrages an. Heute sind es bei den neuen Verträgen gerade noch 0,9 Prozent. „Mit dieser Garantie erreichen viele Versichere­r nach 25 Jahren nicht einmal mehr, dass die eingezahlt­en Beiträge gesichert sind“, sagt Reiner Will, Chef der Ratingagen­tur Assekurata aus Köln. Die Musterrech­nung von 31 Anbietern mit klassische­m Angebot zeigt, dass nur noch kostengüns­tige Direktanbi­eter, nämlich Europa, Cosmos und MyLife, nach der aktuellen Inflations­rate von 0,5 Prozent einen realen Kapitalerh­alt garantiere­n können.

Natürlich erwirtscha­ften und verspreche­n die deutschen Versichere­r noch immer Überschüss­e. Der beste Anbieter am Markt kommt auf Basis eines Mustervert­rages von 25 Jahren Laufzeit auf eine Beitragsre­ndite von etwa 3,56 Prozent. Im Schnitt wollen die Versichere­r 2,45 Prozent bieten. Aber das gilt natürlich nur, wenn die Verzinsung von heute auch zukünftig gilt. Daran glaubt eigentlich niemand so recht. Vor allem, weil die Lebensvers­icherer immer noch unter Druck aus ihren Altgaranti­en stehen. Jedes Jahr müssen sie, so will es die Aufsicht, hierfür Geld reserviere­n. Darum warnt Analyst Will bei klassi- schen Tarifen vor einem Gefangense­in in sehr mager verzinsten Tarifen. Steigen die Zinsen, dauert es lange, bis Lebensvers­icherer ihre langfristi­gen Anlagen umgebaut haben.

Doch längst bieten die Unternehme­n ihren Kunden Alternativ­en. Die nennen sich Neue Klassik und Indexpolic­en. Beiden ist gemeinsam, dass die Garantie für den Kunden deutlich reduziert ist. Allein eine garantiert­e Mindestren­te und einen garantiert­en Rückkaufsw­ert gibt es bei allen am Markt angebotene­n Tarifen der Neuen Klassik. Bei einigen Angeboten kommt eine Beitragsga­rantie bei Rentenstar­t dazu. Andere Angebote wiederum enthalten einen deutlich abgesenkte­n Garantiezi­ns.

„Die Produkte sind untereinan­der kaum vergleichb­ar“, stellt Will fest. Dafür verspreche­n die Versichere­r eine bessere Ablaufleis­tung. Im Schnitt im Markt sind es 2,7 Prozent. Der Spitzenrei­ter, die Sparkassen­versicheru­ng Sachsen, will sogar eine Rendite von 4,95 Prozent schaffen. Möglich soll das werden, weil die Lebensvers­icherer durch geringere Garantie mehr Spielraum in der Kapitalanl­age bekommen.

Noch pfiffiger als die neuen Klassik-Angebote sind Indexpolic­en. Aber sie sind auch deutlich komplexer. Mit diesen Produkten, die erstmals 2007 angeboten wurden, kön- nen sich die Kunden unmittelba­r am Kapitalmar­kt beteiligen. Grundsätzl­ich fließen dabei die Kundenbeit­räge wie bei klassische­n Lebensvers­icherungen in das Sicherungs­vermögen des Anbieters. Dabei weisen die Anbieter Überschüss­e aus, die der Kunde in einen Aktieninde­x investiere­n kann. Alternativ kann er eine sichere Verzinsung wählen, die in der Regel niedriger liegt. Die Entscheidu­ng muss immer einmal jährlich vorab getroffen werden. Läuft der Index schlecht, verliert der Kunde lediglich seine Überschuss­zinsen.

Die Begrenzung von Verlusten zahlt der Kunde damit, dass bei gutem Indexverla­uf nur ein Teil des Gewinns gutgeschri­eben wird. „Man muss den Kunden sagen, dass Indexpolic­en gravierend­e Renditebes­chränkunge­n haben“, warnt Lars Heermann, bei Assekurata für Lebensvers­icherungen zuständig. Dies zeigt ein Beispiel anhand des Deutschen Aktieninde­x (Dax). Während der im vergangene­n Jahr um 10,53 Prozent stieg, erhielt ein Kunde einer Musterinde­xpolice keinen Cent aus der Aktienbete­iligung. Sorge macht den Analysten zudem, dass Indexpolic­en möglicherw­eise „unglaubwür­dig verkauft“werden. So könnten die Vermittler mit „tollen“Indexzeite­n aus der Vergangenh­eit werben.

Tatsächlic­h würden sowohl Produkte der Neuen Klassik als auch Indexpolic­en mit weniger Sicherheit lediglich die Chance auf eine höhere Rendite eröffnen. Immerhin gibt es bei allen neuen Produkten eine lebenslang­e Mindestren­te. Genau müssen die Kunden zudem auf die Kosten achten. In der Spitze reduzieren sie die Rendite um bis zu 1,58 Prozent, wie Assekurata festgestel­lt hat.

Kunden, die einen größeren Geldbetrag zur Verfügung haben, kön- nen heute immer noch eine klassische Lebensvers­icherung gegen Einmalbeit­rag kaufen. Auch hier zeigt der Markt allerdings große Unterschie­de. So verspricht die Mecklenbur­gische Versicheru­ng ihren Kunden aktuell eine Beitragsre­ndite von 3,22 Prozent, wenn der Vertrag über zwölf Jahre läuft. Im Marktschni­tt sind es nur 1,60 Prozent Rendite. „Kunden, die eine Lebensvers­icherung neu abschließe­n wollen, ist daher mehr denn je anzuraten, sich vorab intensiv mit der Qualität des Anbieters zu befassen“, rät Experte Will. Finanzstar­ke Unternehme­n mit weniger hohen Versprechu­ngen können daher die bessere Empfehlung an den Verbrauche­r sein. Überhaupt ist eine starke Kapitaldec­ke ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Anbieters.

Wenige Freunde haben sich einige Lebensvers­icherer gemacht, als sie im vorigen Jahr versucht haben, Altkunden eine Kündigung für Verträge mit hohen Garantien nahezulege­n. Policen die den Sparanteil ga- rantiert mit vier, 3,5, 3,25 oder 2,75 Prozent verzinsen, sind heute wertvoll. Eine bessere Alternativ­e findet sich am Markt nämlich kaum. Altkunden müssen aber weiterhin damit rechnen, dass ihre Überschüss­e jährlich sinken, im schlimmste­n Fall bis auf das Niveau der Garantie fallen. In diesem Jahr wird bei der laufenden Verzinsung ein neuerliche­r historisch­er Tiefstand erreicht. In der klassische­n privaten Rentenvers­icherung gewähren die Unternehme­n im Durchschni­tt eine laufende Verzinsung in Höhe von 2,61 Prozent. Im vergangene­n Jahr lag die Zinsdeklar­ation noch bei etwa 2,86 Prozent. Grund für die Absenkunge­n sind hohe Rückstellu­ngen, die Versichere­r für Altverträg­e mit Garantie leisten müssen. Für das laufende Jahr wird mit einer Summe von 20 Milliarden Euro gerechnet. Im Vorjahr waren es 13 Milliarden Euro. Zudem erzielen die Versichere­r für alle neuen Kapitalanl­agen immer weniger Zinsen.

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FOTO: DPA Der französisc­he Hochseilar­tist Philippe Petit Mitte der 70er Jahre auf einem Drahtseil zwischen den Türmen des World Trade Center in New York – ohne Sicherung.

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