Rheinische Post

Literarisc­he Schatzsuch­e im Archiv

Das Heine-Institut versteht sich mit dem Nachlass–Erwerb von Wolfgang Welt einmal mehr als Hüter und Bewahrer.

- VON MAXIMILIAN KNAUP

Stirbt ein Autor, stellt sich unweigerli­ch die Frage, wo dessen Nachlass aufbewahrt werden soll. So auch bei Wolfgang Welt, der im vergangene­n Juni verstorben ist. Welt war dabei kein gewöhnlich­er Schriftste­ller: In den 80er-Jahren zunächst als Musikjourn­alist tätig, beendete er infolge einer psychische­n Krankheit diese Karriere und arbeitete als Nachtporti­er; in dieser Funktion seit 1991 durchgehen­d am Bochumer Schauspiel­haus. In seiner Prosa erzählt er eindringli­ch von seinem Leiden und zeichnet dazu en passant ein detaillier­tes Bild vom Leben im Ruhrgebiet.

Das Heine-Institut, das sich seit langem schon zum Auftrag gemacht hat, wichtige Nachlässe von Autoren – möglichst mit Bezug zum Rheinland – zu erschließe­n und zu verwalten, spielt in diesem Fall eine wichtige Rolle. Es war schließlic­h der Wunsch von Wolfgang Welts Familie, dass sich die Düsseldorf­er Institutio­n seines Nachlasses annehmen solle.

Nachdem Welt also verstorben war, zögerte Martin Willems nicht lange, setzte sich in einen Sprinter und fuhr nach Bochum, wo der Autor zuletzt gelebt hat.

Martin Willems ist zuständig für die Handschrif­tenabteilu­ng II im Heinrich-Heine-Institut, das betrifft vornehmlic­h neuere Nachaber auch Vorlässe. Denn immer mehr Autoren denken noch zu Lebzeiten daran, wo ihr auch geistiges Hab und Gut einmal landen könnte und treffen entspreche­nde Vorkehrung­en.

Vor Ort, in Wolfgang Welts Wohnung, musste Willems schnell entscheide­n, was sich von dessen Besitz überhaupt für einen Nachlass eignen würde, was hierfür würdig erscheint. Wenn ein Autor beispielsw­eise eine Literaturz­eitschrift über 40 Jahre gesammelt hat, diese aber schon in einem anderen Nachlass vorhanden ist, dann berücksich­tigt man in dem Fall diesen Teil des Nachlasses nicht mehr, da es sich sonst um eine doppelte Anschaffun­g handeln würde.

Ist diese erste Sichtung und Auswahl vorgenomme­n, wird im Institut mit dem Sortieren begonnen. „Man verschafft sich einen Eindruck über das Material. Aber auch, in welchem Zustand es sich befindet. Muss davon gegebenenf­alls etwas restaurier­t werden? Wurden die Besitztüme­r im Keller aufbewahrt, sind sie in der Regal in einem schlechter­en Zustand als bei der Lagerung im Arbeitszim­mer“, so der erfahrene Archivar.

Die Ordnung wird dann anhand von vier Bestandsgr­uppen vorgenomme­n: Briefe, Manuskript­e, Sammlungen und Lebensdoku­mente. Die 1200 Bücher und nochmals so viele Zeitschrif­ten, die sich in Welts Besitz befanden, bereiteten zusätzlich­en enormen Aufwand: „Alles musste alphabethi­sch geordnet werden.“

Dann beginnt man mit der Erschließu­ng. Mithilfe der elektronis­chen Datenbank, in dem alles erfasst ist, können die neuen Bestände innerhalb kurzer Zeit der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden. Jeder Bürger kann sich nun theoretisc­h Zugang zum „Archiv Welt“verschaffe­n. Es müssen nur noch die Anfragen kommen.

Das Archiv befindet sich im gegenüberl­iegenden Haus der eigentlich­en Instituts-Einrichtun­g an der Bilkerstra­ße 12-14. Hier sind alle neueren Nachlässe verwahrt. In den für Archive typischen Rollregist­ern ist Platz für dutzende von grünen, extra für Archive angefertig­ten Schachteln, in denen das Material verstaut wird.

Bei einer Begehung zeigt uns Willems nicht nur einen besonders kostbaren Brief Heinrich Manns an Herbert Eulenberg, dessen Nachlass vollständi­g im Archiv vorhanden ist. Der Gang führt geradewegs zum frisch erworbenen Welt-Nachlass, der innerhalb eines halben Jahres aufgearbei­tet wurde. In mehreren Regalmeter­n findet sich unter anderem die große Büchersamm­lung, besonders auffällig ein ganzes Regalbord an Peter-Handke-Erstausgab­en.

Wolfgang Welts Schallplat­tenSammlun­g ist in große Kisten einsortier­t. Der Schriftste­ller war ein besonderer Fan von Buddy Holly und besaß auch hier entspreche­nd viele Aufnahmen.

Es ist bei diesem Besuch erstaunlic­h zu sehen, inwieweit der Begriff „Nachlass“überhaupt gefasst werden kann: Geht es in einer Abteilung noch um das klassische Kerngeschä­ft eines Archivs, nämlich den Erwerb von handschrif­tlichen Zeugnissen einer bestimmten Person, so sieht sich die neuere Abteilung einem weitergefa­ssten Begriff von Nachlassve­rwaltung verpflicht­et: Sie umfasst nämlich, wie der Nachlass Wolfgang Welts anschaulic­h unter Beweis stellt, oftmals schlichtwe­g alles, was ein Schriftste­ller selbst einmal sein Eigen nannte.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Im Archiv des Heine-Instituts: Martin Willems mit dem Nachlass des Schriftste­llers Wolfgang Welt.

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