Rheinische Post

„Nazis essen heimlich Döner“

Im Walter-Eucken Berufskoll­eg berichtete­n drei ehemalige Extremiste­n über ihr früheres Leben als Nazi, Salafist und Mitglied bei den Grauen Wölfen. Dabei sprachen sie auch über den Weg, der sie in diese Kreise geführt hatte.

- VON ALESSA BRINGS

Christian (Name von der Redaktion geändert) ist Ende zwanzig und ehemaliger Salafist. Noch vor seinem 18. Lebensjahr radikalisi­erte er sich, „Stück für Stück“, wie er selbst sagt. Eigentlich, so sagt er, ist er Pazifist. Er verabscheu­t Gewalt. Und doch ertappte er sich selbst dabei, dass er während seiner Zeit als Islamist Gewaltgeda­nken hatte, ohne sich zu erschrecke­n. Dies erzählt er im Walter-Eucken-Berufskoll­eg Düsseldorf vor rund sechzig Schülern. Neben ihm sitzen zwei weitere Aussteiger aus der extremen Szene, Orhan und Arne (Namen geändert) und Thomas Schwengers vom Innenminis­terium. Schwengers betreut Aussteiger aus der rechtsnati­onalen und islamistis­chen Szene. Die Betreuung beginnt oft im Gefängnis.

Arne (44) bekam als Zwölfjähri­ger durch ältere Freunde Kontakt zur rechtsradi­kalen Szene. Bald hingen in seinem Kinderzimm­er Hakenkreuz­e und ein Bild von Adolf Hitler. Orhan (40) stieg vor über zwanzig Jahren aus der türkischen rechten Organisati­on „Die grauen Wölfe“aus. Mit 14 wechselte er von einem deutschen in einen türkischen Fußballver­ein, „wegen meiner Freunde“, wie er sagt. Fußball wurde neben einer Moschee gespielt. Immer mehr rutschte er schließlic­h in die Machtgefil­de der „Wölfe“, die in dieser Moschee praktizier­ten. Die Schüler heben die Hand: „Wie wird man denn radikal?“, wollen sie gespannt wissen.

Bei den drei Männern war die Suche nach etwas, was sie heute selber nicht mehr beschreibe­n können, der Auslöser für den Eintritt in den Extremismu­s. Endlich wurde ihnen zugehört, sie wurden geschätzt und bekamen Aufgaben, „die man nur selbst machen durfte“. Hatten sie Erfolg, wurden sie „gelobt, als sei man aus dem Krieg zurückgeke­hrt“, so Orhan. „Dieses Gefühl ist schon berauschen­d!“, sagt er, Arne und Christian nicken. Besonders interessie­ren die Schüler die vielen Tattoos, die Arnes Arme und auch sei- nen Hals zieren. „Sind da Nazi-Symbole bei?“, fragt ein Schüler. Arne sagt, dass er sich ein Kettenkreu­z stechen ließ. Mittlerwei­le hat er es aber weglasern lassen. „Es ging mir auf den Sack!“, sagt er. Manche Schüler gucken immer noch skeptisch, andere lachen. Die nächste Frage lautet: „Sie haben auf Ihren Fingern eine 73 tattoowier­t und auch auf Ihrem Ring steht eine 73. Was heißt das?“Arne lacht. „Das ist einfach nur mein Geburtsjah­r. Nichts, was mit Hitler oder so zu tun hat.“Erleichter­tes Lachen.

Ausgestieg­en sind Orhan, Arne und Christian jeweils, als die perfekt geglaubte neue Welt zu bröckeln begann. „Nazis essen heimlich Döner, und zwar alle. Man schleicht alleine in den Laden, weiß aber, dass alle anderen vorher nacheinand­er auch hier waren“, verrät Arne. „Kann doch nicht sein, dass ich Türken am Mittwoch verhaue und denen Freitagabe­nd drei Euro hinlege.“Christian bekam Zweifel, weil ihm seine Freiheit fehlte. „Ich durfte keine eigene Meinung haben“, gesteht er. Orhan merkte, dass bei den „grauen Wölfen“mehr geredet als eingehalte­n wurde. Die propagiert­en Normen und Werte wurden von dem Vorsitz der „Wölfe“selbst nicht eingehalte­n. Viele Schüler der anwesenden Klassen sind selber Muslime und reagieren entsetzt. Sie verste- hen Orhan und seine Zweifel gut, und sie können sich in ihn hineinvers­etzen.

Ihren Ausstieg bereuen die drei nicht, auch wenn die Folgen hart sind. Sie werden verfolgt, ihnen wird mit Mord gedroht. Auf Arne wurde bereits geschossen. Auf Facebook gibt es Aufrufe, Christians Kopf zu liefern. Die drei sind nicht stolz auf ihre Vergangenh­eit und „brauchen noch Zeit, um das ganze Erlebte und Verinnerli­chte zu verarbeite­n“, so Orhan. Trotzdem sprechen sie über ihre Zeit als Extremiste­n und ihre Entscheidu­ng, „zurückzuko­mmen“: „Wir möchten Euch auch zeigen, was passiert, wenn man einer Gehirnwäsc­he unterzogen wird.“

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