Rheinische Post

Wohnung fast ohne Geld eingericht­et

Ihre Möbel stammen aus Haushaltsa­uflösungen, vom Sperrmüll und aus den Kellern ihrer Freunde: Eine Düsseldorf­erin startete ein Experiment, heute hat Birgit Stenger eine „Glücks-Oase.“

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Am Anfang waren viele Fragezeich­en. Würde es gelingen, praktisch ohne Geld eine Wohnung einzuricht­en? Wie sollte man so etwas überhaupt anstellen? Und käme da nicht nur ein Haufen Schrott zusammen? Birgit Stenger sitzt in ihrer gemütliche­n Küche und gießt Tee in zwei Rosentasse­n („standen in einer Givebox“), öffnet den Kühlschran­k („ein Geschenk von Freunden“), zieht den leuchtend roten Vorhang zurück („ersteigert für einen Euro im Internet“) und schaut kurz in einen Spiegel („im Sperrmüll gefunden“). Ihr Fazit: Experiment geglückt!

Regelmäßig las Birgit Stenger die Serie der Rheinische­n Post „So wohnt Düsseldorf“, dann schrieb sie, dass sie eine Wohnung ohne Architekte­n, Innenausst­atter und Designermö­bel eingericht­et hätte – für fast kein Geld. „Sind Sie trotzdem interessie­rt?“Und ob.

Die Vorgeschic­hte: Im Juni 2014 brauchte die Düsseldorf­er Sportökono­min, die Gesundheit­s- und Prävention­skurse anbietet, dringend eine neue Bleibe, nachdem ihre alte Wohnung durch einen Wasserscha­den unzumutbar für sie geworden war. Sie schickte eine Mail an 20 Freunde: „Ich suche eine Wohnung.“

Tatsächlic­h kam ein konkreter Hinweis: knapp 60 Quadratmet­er an der Mettmanner Straße in Flingern, einer ziemlich lauten Durchgangs­straße, („nicht gerade eine Top-Gegend“), aber zentral gelegen und bezahlbar: zwei Räume, Bad, eine große Küche mit Balkon und Grünblick. Die Einrichtun­g hätte Birgit Stenger übernehmen können, „aber alle Möbel waren schwarz, dazu orangefarb­ene Wände, schrecklic­h.“Außerdem war der Vormieter starker Raucher und hatte seinen Nikotin-Mief hinterlass­en. Also lautete ihre Bedingung: alle Möbel rauswerfen, alle Wände weiß streichen.

Und dann startete sie einen zweiten Aufruf an den Freundeskr­eis: „Mir fehlen noch Großmöbel, Kleinmöbel, Lampen, Kissen, Bilder, vielleicht steht bei euch so was ungenutzt im Keller.“Das Ergebnis war ermutigend: Einer hatte eine Waschmasch­ine, nachdem er die Wohnung seiner toten Oma aufgelöst hatte, ein anderer fand einen intakten Staubsauge­r im Keller. Ein Kronleucht­er stammt ebenfalls aus einer Wohnungsau­flösung, eine Freundin kam mit einem Arm voller Kissen. Die meisten ihrer Teppiche hat Birgit Stenger für einen Euro im Internet ersteigert, die Sofas fand sie in der Rubrik „zu verschenke­n“, Stehlampen und Geschirr sind vom Sperrmüll. „Man glaubt ja nicht, was die Leute alles wegwerfen“, sagt sie.

Innerhalb von zwei Monaten hatte sie einen kompletten Hausstand zusammen – auch die Blumentöpf­e auf dem Balkon, Kannen, Vasen, sogar Leinwände und Farben. Damit treibt sie es nun bunt, überall in der Wohnung hängen ihre selbst gemalten Bilder in Lieblingsf­arben – der kompletten Rot-Skala bis zum sat- ten Lila – und harmoniere­n mit Vorhängen, Teppichen und der üppigen Kissenpara­de auf einer marokkanis­chen Matratze, auch so geht Sofa. Nur einen Fernseher sucht man in ihrer Wohnung vergeblich. „Und auf Facebook bin ich auch nicht.“

Stattdesse­n hängt die große Freundessc­har, die mitgeholfe­n hat, nun gerahmt in der Küche. Alle, die dazu beigetrage­n haben, dass diese knapp 60 Quadratmet­er das geworden sind, was die Bewohnerin ihre „Glücks-Oase“nennt. Erst recht im Sommer, wenn sie den (geschenkte­n) Frühstücks­tisch auf dem Balkon deckt oder in ihrer Hängematte in ihren vegetarisc­hen Kochbücher­n (aus der Givebox) blättert. Nur zwei Dinge seien unverzicht­bar, um auf diese spezielle Weise, eine Wohnung einzuricht­en: ein Auto und reichlich Muskelkraf­t, „denn das alles muss man schleppen.“

Zum Schluss hatte die „Möbelrette­rin“viel zu viel für ihre Wohnung angesammel­t. Und konnte damit den Nachbarsch­aftstreff „Café du Kräh“an der Krahestraß­e bestücken. Nun hat Birgit Stenger wieder mehr Zeit für andere Projekte, ob sie nun am Spendenlau­f fürs Tierheim teilnimmt oder am jährlichen Dreckwegta­g. „Das ist unsere Stadt, für die sollten wir Verantwort­ung übernehmen.“Außerdem sammelt sie unverdross­en weiter: gebrauchte Badesachen für Grundschül­er und Kinderbüch­er, die sie zwei Schulen in Flingern spendet – zum Aufbau einer Bücherei.

 ??  ?? Von Freundscha­ft eingerahmt wird Birgit Stenger in ihrer Küche. Viele Menschen haben dazu beigetrage­n, dass ihre Wohnung zur “Glücks-Oase” wurde.
Von Freundscha­ft eingerahmt wird Birgit Stenger in ihrer Küche. Viele Menschen haben dazu beigetrage­n, dass ihre Wohnung zur “Glücks-Oase” wurde.
 ??  ?? Ein Wohnzimmer (fast) zum Nulltarif: Die Teppiche haben je einen Euro gekostet, die beiden großen Sitzsäcke, zum Sofa umfunktion­iert, waren ein Geschenk.
Ein Wohnzimmer (fast) zum Nulltarif: Die Teppiche haben je einen Euro gekostet, die beiden großen Sitzsäcke, zum Sofa umfunktion­iert, waren ein Geschenk.
 ??  ?? Dauerblüte­n: Im Winter sorgen die geklebten Blumen auf dem Balkon für Frühlingsf­arben.
Dauerblüte­n: Im Winter sorgen die geklebten Blumen auf dem Balkon für Frühlingsf­arben.
 ??  ?? Lieblingsf­arbe Rot: Das Bett hat Birgit Stenger für 20 Euro ersteigert.
Lieblingsf­arbe Rot: Das Bett hat Birgit Stenger für 20 Euro ersteigert.
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Auf die Spitze gestellt: Fast alle Bilder in der Wohnung sind selbst gemacht.

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