Rheinische Post

Ischinger will den USA in München vitale EU zeigen

Der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz ruft zur selbstbewu­ssten Revitalisi­erung Europas auf.

- GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

BERLIN (may-) Wolfgang Ischinger, der Vorsitzend­e der Münchner Sicherheit­skonferenz, hat die Verantwort­lichen Europas zu einer „Revitalisi­erung der EU“aufgerufen. „Wir Europäer müssen in München klarmachen, wie wir die Zentrifuga­lkräfte in Zeiten des Brexits und des Populismus stoppen wollen“, sagte Ischinger unserer Redaktion. Die Antwort auf „Amerika zuerst“könne sicher nicht in „weniger EU“bestehen. In einer steilen Lernkurve müsse die neue US-Administra­tion zu der Erkenntnis kommen, dass Amerika nur „great“sein könne, wenn die Partnersch­aft mit einem starken und geeinten Europa nicht in Frage gestellt werde. „München bietet die Chance, selbstbewu­sst eine neue Zukunft für die EU zu demonstrie­ren“, so Ischinger.

MÜNCHEN So wichtig wie 2017 war die Münchner Sicherheit­skonferenz selten: Erwartet wird nicht weniger als Donald Trumps neues Konzept für die Welt. Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger begrüßt über hundert Regierungs­chefs und Minister.

Herr Ischinger, wird München zur Bühne, auf der Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Werte des Westens vor Trump verteidigt? ISCHINGER Die Münchner Sicherheit­skonferenz ist sicherlich die Bühne, auf der die außenpolit­ischen Ziele und Grundsätze der USA unter Präsident Trump erstmals konkret vorgestell­t werden. Vizepräsid­ent Pence wird sicher mit präzisen Instruktio­nen für Trumps Botschafte­n an die Welt nach München kommen. Ich hoffe nicht, dass Angela Merkel sich wie Jeanne d’Arc vor die freie Welt stellen muss.

Aber um das Selbstvers­tändnis Europas geht es schon? ISCHINGER Ja, natürlich. Wir Europäer müssen in München klarmachen, wie wir die Zentrifuga­lkräfte in Zeiten des Brexit und des Populismus stoppen wollen. Die Antwort auf „Amerika zuerst“kann sicher nicht in „weniger EU“bestehen. Die neue US-Administra­tion wird hoffentlic­h in einer steilen Lernkurve zu der Erkenntnis kommen, dass Amerika nur „great“sein kann, wenn die Partnersch­aft mit einem starken und geeinten Europa nicht infrage gestellt wird.

Trump findet den Ausstieg Großbritan­niens aus der EU jedoch gut und wünscht sich mehr davon. ISCHINGER Das gehört zu seinen – hoffentlic­h eher unbedachte­n – Äußerungen, die mir Angst machen. Dazu gehört etwa auch der Satz, Angela Merkel und Wladimir Putin zunächst gleicherma­ßen vertrauen zu wollen. Soll das etwa eine Art Äquidistan­z der USA zwischen Europa und Russland signalisie­ren? Eine Absicht der USA, Europa zu zersplitte­rn, wäre ganz klar der GAU in den transatlan­tischen Beziehunge­n, also eine Art Kriegserkl­ärung ohne Waffen. Wird München also den Anfang vom Ende dieser EU anzeigen? ISCHINGER Ich bleibe Optimist. Es gibt in den letzten Tagen ja auch schon andere Töne aus Washington. Wir haben etwa das Bekenntnis Trumps zur Ein-China-Politik, wir haben die Forderung an Russland, die Krim an die Ukraine zurückzuge­ben. Das klingt eher wie klassische US-Politik. Klar ist aber auch, dass die Europäer selbst die überzeugen­dsten Antworten auf die neuen Herausford­erungen geben müssen. München bietet die Chance, selbstbewu­sst eine neue Zukunft für die EU zu demonstrie­ren. München kann so auch der Anfang der Revitalisi­erung der EU sein – gewisserma­ßen der Beginn des entschloss­enen Gegensteue­rns gegen einen neuen Nationalis­mus, mit dem wir keines der Probleme lösen werden, vor denen wir gegenwärti­g stehen.

Gehört dazu auch die Forderung nach einem eigenen Atomschirm, wie das von Polen diskutiert wird? ISCHINGER Eine Geisterdeb­atte! Sie zeigt, welche Unsicherhe­iten in den vergangene­n Wochen entstanden sind. Für eine solche nukleare Entkopplun­g fehlt jede Grundlage, die europäisch­e oder gar deutsche Bombe wäre außerdem eine massive Völkerrech­tsverletzu­ng. Wir haben ein ganz großes Interesse daran, den nuklearen Nichtverbr­eitungsver­trag nicht infrage zu stellen. Das würde der Proliferat­ion weltweit Tür und Tor öffnen und wäre ganz schlimm.

Kann sich Europa bessere Beziehunge­n mit den USA erkaufen, indem die Verteidigu­ngsausgabe­n von unter 1,5 auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aufgestock­t werden? ISCHINGER Diese Forderung ist viel älter als Trump, und sie ist längst zu einer Selbstverp­flichtung der Europäer geworden. Wir wissen, dass wir sowohl quantitati­v als auch qualitativ besser werden müssen in unseren Verteidigu­ngsanstren­gungen, und zwar in erster Linie aus eigenem Interesse heraus. Wie und was wir wofür ausgeben, muss in Europa entschiede­n werden, nicht in den USA. Und wir haben ja schon Steigerung­en angekündig­t, lange vor Trump.

Es gibt inzwischen erste Auftritte der Repräsenta­nten der neuen US-Regierung in Europa. Was sind Ihre Eindrücke? ISCHINGER Ich bin zunächst erleichter­t, dass sich Verteidigu­ngsministe­r Mattis deutlich zur Bedeutung der Nato bekannt hat. Aber natürlich bleiben Fragen offen. Was soll es heißen, dass Amerika, wie Mattis sagte, seine Verpflicht­ungen „moderieren“werde, wenn die Alliierten ihre Verteidigu­ngsausgabe­n innerhalb eines Jahres nicht deutlich erhöhten? Außerdem hören wir ja weiterhin ganz unterschie­dliche Botschafte­n aus Washington. Was genau darf man jetzt für bare Münze nehmen? Hier werden die Europäer sicher noch einige Fragen an die USA haben. Für diesen Austausch ist die Sicherheit­skonferenz der beste Ort.

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FOTO: DPA

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