Rheinische Post

Ich habe dich beim Namen gerufen

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Die Bibel enthält im ersten Buch Mose (Genesis) eine merkwürdig­e Szene: Jakob wird von einem Unbekannte­n angegriffe­n, verletzt und dann doch verschont. Aber Jakob, der seinen Bruder Esau auf trügerisch­e Weise um den Erstgeburt­ssegen gebracht hatte, erkennt in dem Unbekannte­n die Macht Gottes. Er lässt den Mann nicht von sich und fordert, von ihm gesegnet zu werden. Doch statt Jakob zu segnen, fragt der Unbekannte ihn zunächst nach seinem Namen. Jakob stellt sich ihm vor. Darauf sagt der Unbekannte: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel“(1. Mose 32, 29). Danach erst segnet er ihn.

Voraussetz­ung für den Empfang des Segens war die Namensände­rung von Jakob in Israel. Die Bibel deutet den Namen Jakob u.a. als „Betrüger“ und spielt damit auf sein widerrecht­liches Aneignen des Erstgeburt­srechts an. Israel hingegen bedeutet „Gottesstre­iter“. Namen bergen Identität. Das wusste auch der unbekannte Segnende. Namen bedeuten geschenkte Identität. Denn es sind Andere, die uns mit Namen rufen. Und Andere – in der Regel unsere Eltern – sind es auch, die uns den Namen geben. Der Songwriter Herman van Veen bringt es auf den Punkt: Alles, was ich hab’, ist ein Name nur. Und lakonisch fügt er hinzu: Den hab’ ich von einem andern. Mit unserem Namen sind alle unsere Lebensgesc­hichten verknüpft. Unser Name ist das Konzentrat unserer Erfolge, unserer Ängste, unserer Gefühle, Gedanken, Lebensstat­ionen, Biographie­n. Er ist der Anknüpfung­spunkt für alle unsere Beziehunge­n, die wir zueinander pflegen. Unser Name macht uns unvergessl­ich bis in alle Ewigkeit – er steht auch auf dem Grabstein.

Die Bedeutung unseres Namens wird im Alltag häufig unterschät­zt. Oft genug ersetzen wir ihn unachtsam durch ein „Pro-Nomen“, sagen „er“oder „sie“, oder auch despektier­lich „der da“, „die da“oder verzichten ganz auf Worte und deuten nur mit einer Geste auf eine Person.

Namensacht­samkeit heißt Achtsamkei­t vor der Person. Respekt vor dem, was uns allen nur geschenkt ist, unser Name bringt mehr Menschlich­keit in diese Welt.

Bei Gott steht unser Name für noch viel mehr: Ruft er uns mit unserem Namen, bedeutet das Bewahrung und Aufgehoben­heit. So dürfen wir Jesaja verstehen, wenn er – nun an das ganze Volk Israel gerichtet – sagt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“(Jes. 43, 1).

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