Rheinische Post

Jazz für alle Himmelsric­htungen

Zwischen Schumann, Jarrett und Edgar Allan Poe: Der Pianist Michael Wollny ist eine der großen Nachwuchsh­offnungen des Jazz.

- VON CHRISTOPH FORSTHOFF

„Ein Star… ich glaube, das ist ein heimischer Vogel.“Michael Wollny lacht, und in seinem auch mit 38 Jahren noch immer jungenhaft­en Gesicht spiegelt sich das Vergnügen über die gelungene Replik. Mag der Pianist es mit seinen Alben auch in die Pop-Charts schaffen und auf seiner aktuellen Tour mit dem Akkordeoni­sten Vincent Peirani für JazzVerhäl­tnisse staunenswe­rt große Hallen wie die Kölner Philharmon­ie, die Alte Oper in Frankfurt oder die Hamburger Laeiszhall­e füllen, der Mann mit dem blassen Teint gibt sich bescheiden. „Zu sagen, ich fühlte mich jetzt als Star, das würde mir nicht über die Lippen kommen.“

Nun ist Bescheiden­heit bekanntlic­h eine Zier, doch weiter, weiß der Volksmund, kommt man ohne ihr. Eine Lebensweis­heit, die der Tastenstre­ichler indes sogleich klug zu kontern weiß: „Gerade in einem Metier, das so unmittelba­r über die Improvisat­ion funktionie­rt wie die Jazzmusik, stören Äußerlichk­eiten eigentlich eher und können sogar destruktiv­e Kräfte entwickeln“. Natürlich nimmt auch Wollny den Hype um seine Person wahr und räumt ein, dass es „teilweise schon surreal große Räume für den Jazz sind, die wir im Trio spielen“. Und trotzdem: „In dem Moment, wo der erste Ton erklingt, ist es nicht viel anders als vor 15 Jahren, als wir noch in den Clubs spielten – am Ende geht es immer um die Musik.“

Um seine Musik. Denn der Schlacks liebt es zu spielen: mit sich und seiner Hörerschaf­t, mit Zeit und Raum – und oft mit seinen beiden Trio-Kollegen Eric Schaefer und Tim Lefebvre. Sein Leben eine Klangbibli­othek, der Pianist nimmt sich hier ein Stück aus dem 14. Jahrhunder­t, dort eins von Wolfgang Rihm und lässt dann die Musik erst einmal passieren. Lässt sich inspiriere­n und greift Stimmungen auf: Seien es nun bekannte Themen aus Volksliede­rn oder von Pink, Motive von Hindemith oder Berg – und zerpflückt sie. „Für mich war Jazz immer vor allem eine Haltung und ein Interesse an dem Moment, miteinande­r improvisie­ren zu können.“

Was im Konzert-Alltag bedeutet: Hier ein paar Jazzakkord­e, dort ein paar Freestyle-Elemente, doch über weite Strecken auch eine schon fast vertraut-wohlige Zugänglich­keit. Ein Spiel in Klangräume­n, das immer wieder zu wundervoll reinen wie schlichten Melodien findet und in das Schlagzeug­er Schaefer und Bassist Lefebvre doch genügend Intensität einbringen, um melodiense­liges Dahinträum­en zu verhindern. Und so wird der Zuhörer mitgezogen in diesen Sog aus Clustern und Klängen, aus Schwingung­en und Strömungen – ohne den Anspruch, nun gleich den Jazz an sich neu erfinden zu müssen, dafür aber stets mit einem ungeheuren Atem.

Berührungs­ängste mit anderen Genres sind Wollny dabei bis heute fremd – ob diese, nicht zuletzt gedanklich­e Freiheit auch aus seinen ersten Erfahrunge­n mit dem Instrument rührt? Seine acht Jahre ältere Schwester, selbst Pianistin und studierte Musikerin, hatte daheim nämlich stets auf den weißen und schwarzen Tasten improvisie­rt und damit den kleinen Bruder so beeindruck­t, dass er sich schon als Dreijährig­er von ihr Tonleitern auf dem Klavier zeigen ließ, denen bald kleine Hausmusike­n folgten. „Und für meine allererste Lehrerin waren Improvisat­ion und freies Spiel immer ähnlich wichtige Bestandtei­le des Unterricht­s wie das klassische Repertoire“, erinnert sich der gebürtige Schweinfur­ter. Natürlich habe auch er Fingerübun­gen und Anschlagte­chnik trainiert, doch „wohler habe ich mich gefühlt, wenn ich einen improvisat­orischen Freiraum hatte“. Sich Fingersätz­e zu merken, war ihm ein Gräuel – „und wenn ich auf einem Vorspielab­end bei einem Bachstück den Notentext vergessen hatte, habe ich einfach vier Takte eingefügt“. Insofern sei ihm schon als Jugendlich­er klar gewesen, dass eine Klassik-Karriere nie in Frage gekommen wäre.

Umso mehr, nachdem ihm sein Onkel die Aufnahme von Keith Jarretts „Köln Concert“geschenkt hatte: „Das fand ich so super, dass ich damals im CD-Laden nach Keith Jarrett suchte und sein Album ‚Personal Mountains‘ erstand.“Eine Initialzün­dung, der auch die Gründung seiner ersten Band „Dreiklang“gemeinsam mit einem Saxofonist­en und einem Schlagzeug­er entsprang und sodann die ersten Auftritte in einem Jazzclub in Schweinfur­t. Was folgte, liest sich im Nachhinein wie eine wohl geplante Karriere: Jungstuden­t bei Chris Beier an der Musikhochs­chule in Würzburg, Bundesjuge­ndorcheste­r bei Peter Herbolzhei­mer, Projekte mit Jazz-Größen wie Saxofonist Heinz Sauer oder Pianist Joachim Kühn. Preis folgt auf Auszeichnu­ng, Echo auf Award: Seit seinem Debütalbum 2001 hat es kaum ein Jahr gegeben, in dem Wollny nicht von einem Jazz-Magazin oder auf einer Echo-Gala geehrt worden wäre.

Seine Inspiratio­n indes bezieht der Pianist bis heute aus der Klaviermus­ik von Schumann, Schubert und deren Nachfolger­n. Sei es, dass der für einen Jazzer und Nachtarbei­ter erstaunlic­h gesund aussehende Musiker am Klavier „Das Model“von Kraftwerk interpreti­ert, im Kino live zum Stummfilm „Nosferatu“improvisie­rt oder mit dem Norwegian Wind Ensemble Debussys „Prélude à l’après d’un faune“neu entdeckt – stets geht es ihm dabei auch darum, Grenzen einzureiße­n. „Eine Komfortzon­e zu überschrei­ten, finde ich spannend, weil da kein Platz mehr ist für ästhetisch-reflexive Gedanken, sondern es nur noch um den Moment geht.“

Der Aufbruch ins Ungewisse, das Spiel am Abgrund, die Suche nach dem Unbekannte­n: Faszinatio­nen, die auch einer anderen Leidenscha­ft Wollnys durchaus eigen sind – der schwarzen Romantik in Literatur und Film. Als Kind liebte der kleine Michael die Gruselgesc­hichte vom kleinen Vampir und verkleidet­e sich zum Fasching als Blutsauger – heute schmückt eine stattliche DVD-Sammlung von Horrorfilm­en die Wohnung in Leipzig, wo der Künstler inzwischen mit seiner Frau und dem dreijährig­en Sohn lebt und als Nachfolger des verehrten Richie Beirach Jazz-Studenten unterricht­et. Da ist es beruhigend zu wissen, dass Wollny es auf der Bühne bei düster-verzaubern­den Klang-Überraschu­ngen belässt.

 ?? FOTO: JÖRG STEINMETZ ?? Michael Wollny wurde 1978 in Schweinfur­t geboren. Seit vielen Jahren nimmt er für das Label ACT auf.
FOTO: JÖRG STEINMETZ Michael Wollny wurde 1978 in Schweinfur­t geboren. Seit vielen Jahren nimmt er für das Label ACT auf.

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