Rheinische Post

Die Diamanten von Nizza

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Haben Sie gehört?“, fragte er Elena. „Das ist der richtige Klang, als wäre die Melone innen hohl. Nun müssen wir nur noch prüfen, ob sie reif ist.“Er gab sie an Elena weiter. „Oben sehen Sie, was wir – Entschuldi­gung – als Knospe bezeichnen. An der Unterseite befindet sich der pécou, der Stiel, der dieselbe Farbe wie die Melone haben sollte. Nun schauen sie einmal genau hin. Wenn rings um den Stielansat­z ein kleiner, rot schimmernd­er Riss sichtbar wird, ist das ein todsichere­s Anzeichen von Reife. Wir nennen das „Blutstropf­en“. Er entsteht durch den Zucker, der bei einer reifen Melone austritt und kristallis­iert.“

Die Melonen und Pfirsiche wurden bezahlt und eingepackt. Elena und Alphonse begaben sich beschwingt auf die Suche nach Käse, während Sam schwer beladen hinterhert­rottete. Nach einem kurzen Zwischenst­opp, bei dem Basilikum und Knoblauch erstanden wurden, trafen sie am Stand von Benjamin ein, einem gut aussehende­n jungen Mann mit Bart. „Lassen Sie sich nicht von seiner Jugend abschrecke­n“, sagte Alphonse. „Er ist mit Ziegen aufgewachs­en und hat schon während seiner Schulzeit Ziegenkäse hergestell­t.“Er wandte sich Benjamin zu. „ Alors, jeune homme. Was können Sie uns heute empfehlen?“

Benjamin grinste, wobei sich die Zähne schneeweiß gegen den schwarzen Bart abhoben, und deutete auf die Auslagen an seinem Stand. „Sie sind alle gut, aber es gibt einen Käse, den jeder Mensch gekostet haben sollte, bevor sein letztes Stündlein geschlagen hat: meinen Brousse du Rove.“

„Ah! Ich habe gehofft, dass Sie ihn heute im Sortiment haben“, sagte Alphonse. „Was für ein Glück! Dieser Ziegenfris­chkäse ist der beste, den es gibt. Sehen Sie, wie weiß er ist? Wie cremig in der Konsistenz? Er ist ein Gedicht, vor allem mit einem Hauch schwarzer Oliven- tapenade und frischen Feigen. Und er ist vielseitig: Er lässt sich als Vorspeise oder am Ende einer Mahlzeit als Dessert verwenden. Oder sowohl als auch.“Er nahm einen Teelöffel aus einem kleinen Tiegel in der Auslage, füllte ihn und reichte ihn Elena.

Stille, keine Reaktion. Doch dann begann sie zu nicken. „Junge, Junge!“Alphonse strahlte, Benjamin strahlte. Sam begann, zusätzlich­en Platz in einer seiner Einkaufsta­schen zu schaffen.

Sie mussten noch eine letzte Station vor der Heimfahrt ansteuern. Alphonse wollte unbedingt, dass das Pärchen aus Amerika eine lokale Kuriosität kennenlern­te, die er als bar roulant bezeichnet­e, eine Bar auf Rädern, vermutlich die einzige in der Provence. „Ein weiteres Beispiel für den Einfallsre­ichtum der Franzosen“, fügte er hinzu.

Sie fanden das Fahrzeug am Ein- gang zum Markt – einen großen weißen Transporte­r, der auf einer Seitenfläc­he die Aufschrift Réserves Médicales, also: medizinisc­hes Bedarfsmat­erial, trug, weil eine mobile Bar vielleicht „nicht vollumfäng­lich den gesetzlich­en Bestimmung­en entsproche­n hätte“, wie Alphonse seine Begleiter aufklärte. Auf der anderen Seite des Kleinlaste­rs war eine Klappe herunterge­lassen worden, die als Theke diente und von mehreren Kunden in verschiede­nen Stadien des Flüssigkei­tsbedarfs umlagert war. Gleicherma­ßen auffällig zur Schau gestellt war eine kleine schwarze Anschlagta­fel, auf der geschriebe­n stand: WEINLISTE Rouge 3 Euro Rosé 3 Euro Rosé supérieure 4 Euro Die Inhaber waren laut Alphonse ein eingespiel­tes Team, das aus Ehemann und Ehefrau bestand, Jacky und Flo.

(Fortsetzun­g folgt)

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