Rheinische Post

In den Katakomben der Messe

Technik-Chef Clemens Hauser zeigte RP-Lesern die Höhe und Tiefen des Messegelän­des in Stockum.

- VON UWE-JENS RUHNAU UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Die Düsseldorf­er Messe hat 19 Hallen und fällt im Norden der Stadt vor allem durch ihre beiden Hochhäuser auf. Die Hallen bieten knapp 262.000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche. Eine beeindruck­ende Zahl, aber viel beeindruck­ender ist, was diese Hallen alles „können“, welche Variabilit­ät an Nutzung sie zulassen. Das erfahren drei RP-Leser und ihre Begleitung bei einer Exklusiv-Führung mit dem TechnikChe­f der Messegesel­lschaft, Clemens Hauser. Nach gut zwei Stunden urteilt Vera Niermann: „Ich werde Messehalle­n jetzt ganz anders anschauen.“Ihre Eltern hatten ein Bekleidung­sgeschäft, deswegen war sie bei der Igedo Stammgast, und die Boot stand und steht bei der Taucherärz­tin ebenso auf dem Besuchszet­tel wie die Medica.

Hauser lässt die Gäste die Höhen und Tiefen der Messe erleben. Das ist wörtlich zu verstehen, denn erst geht es aufs Dach eines Messeturms, dann in die Katakomben. Aus 50 Metern Höhe lässt sich erkennen, was auf dem Areal in den vergangene­n 15 Jahren passiert ist. „Die grünen Hallen müssen noch modernisie­rt werden, die grauen sind neu.“Als man im Jahr 2000 einen Masterplan beschloss, war die „neue Messe“30 Jahre alt, und so lange wird es auch dauern, bis sie überholt ist. Bislang ist ungefähr die Hälfte der kalkuliert­en 1,2 Milliarden Euro verbaut.

Bis 1970 war die Messe an der Fischerstr­aße untergebra­cht, wo heute die Ergo-Versicheru­ng residiert. Dort hatte man Gebäude mit mehreren Ebenen und eine schlechte Verkehrsan­bindung. „Dann konnte man ein Gelände planen, wie man es sich erträumte.“Ein Areal am Autobahnkr­euz Hilden stand zur Auswahl, man entschied sich Mitte der sechziger Jahre aber fürs Bauernland in Stockum. Die richtige Entscheidu­ng, denn heute rollen die meisten Autos und Lkw gleich von der A44 auf die 20.000 Messeparkp­lätze, ist die Innenstadt nah und der Flughafen noch näher.

Die Technik hat sich rasant entwickelt, aber die Altvordere­n haben sehr viel richtig gemacht. „Wir leben von ihren Ideen.“Man startete mit 120.000 Quadratmet­ern, baute nur ebenerdige und von allen Seiten zugänglich­e Hallen. Das Gelände war teilbar, Röhren, durch die die Besucher in der Höhe liefen, verbanden die Bereiche, „das war damals hypermoder­n und sah aus wie Raumschiff Enterprise“, schwärmt Hauser. Den Clou jedoch erfahren die RP-Leser, als sie hinabsteig­en in die Katakomben: Das Gelände ist in sechs Meter Tiefe durchzogen von einem gigantisch­en Tunnelsyst­em. Im Abstand von 30 Metern befinden sich parallel laufende begehbare Gänge. Im rechten Winkel dazu gibt es alle fünf Meter kleinere, von oben zugänglich­e Kanäle. Über dieses Schachtsys­tem ist jede Stelle am Hallenbode­n innerhalb der Stände erreichbar. Auf 15,4 Kilometer kommen die begehbaren und auf 70 Kilometern die kleineren Kanäle.

Dieses Tunnelsyst­em ermöglicht die Belieferun­g der Stände mit Wasser und Energie, ohne dass Leitungen oder Rohre zu sehen sind. Kommt es, was hin und wieder geschieht, bei einer Leitung von 70 Megawatt zu Muffenschä­den und dadurch auch zu einem Brand, wird unten gelöscht und parallel die Energie über eine andere Leitung zum Stand geleitet. Der Kunde bekommt davon kaum etwas mit. Unter den rund 650 Mitarbeite­rn der Messe gibt es 23 freiwillig­e Feuerwehrl­eute, drei Brandinspe­ktoren und einen Hauptbrand­meister, und wenn es brennt, sind sie in ein bis zwei Minuten vor Ort (die „richtige“Feuerwehr braucht mindestens elf Minuten). Auf dem Gelände gibt es drei Tiefbecken, zwei Brunnen und ein Becken unter der Großhalle 6. Wenn die Brandmelde­anlage alarmiert, gehen die Sprinklerp­umpen an und bringen das Wasser zur gewünschte­n Stelle. Im Becken unter der Halle 6 befinden sich 300.000 Liter Wasser, 10.000 Liter pro Minute werden im Ernstfall zur Brandstell­e transporti­ert.

Es wird viel gestaunt bei dieser Führung. Über fantastisc­h anmutende Zahlen und den Umstand, mit welchem Willen zur Perfektion das System Messe funktionie­rt; sowie über technische Daten, die Patentanwa­lt Fabian Kiendl während des Rundgangs per Smartphone sichtbar macht. Dieses hat auch eine Wärmebildk­amera, mit der der RPLeser, der Physik studiert hat, eine Sammlung von Anlagen- und Röhrenaufn­ahmen anfertigt. In ihren Energiezen­tralen kann die Messe 56.000 Kilowatt Wärme oder bei Bedarf 58.000 Kilowatt Kühlung erzeugen. Diese Leistungen werden benötigt, um kurzfristi­g den Aufheizbez­iehungswei­se Abkühlvorg­ang in den Hallen durchzufüh­ren. Denn die Anlagen werden erst eingeschal­tet, wenn die letzten der 149 Tore zum Aufbau geschlosse­n sind.

Es gibt an mehreren Stellen Wärme-Mengenzähl­er. „Wir wollen das Netz nachhaltig betreiben“, sagt Hauser. Ebenso wichtig ist es, dass das Wasser in der Heizungsan­lage „tot“ist, es also nicht zu Rost- und anderen Schäden in den Leitungen kommt. Allein in den Heizungsro­hren befinden sich etwa 1,2 Millionen Liter Wasser, das entspricht einer Menge von 40 Tanklastzü­gen.

Als es wieder nach oben geht, stehen die RP-Leser in der fast leeren Halle 6. Eine Großjacht steht da und wartet auf den Abtranspor­t zu einem Schiff. Es wird auf dem Tieflader durch das 14 mal 16 Meter große Haupttor der Halle rollen. „Big Willi“, der Spezialkra­n der Boot, kann halt „nur“Schiffe heben, die bis zu 100 Tonnen schwer sind. Apropos Gewicht: Die Dächer der meisten Messeständ­e, die ja bestenfall­s stützenfre­i sind, werden durch Seile gehalten, die von den Hallendeck­en herabgelas­sen werden. In jedem der 30 mal 30 Meter großen Raster der Raumtragwe­rke können 22.000 Kilogramm Last angehängt werden. Und die Fußböden, unter denen das Erdreich zerlöchert ist wie ein Schweizer Käse, halten 10.000 Kilogramm pro Quadratmet­er aus. Große Maschinen können durch Lkw also problemlos in die Hallen gebracht werden. Bei großen Investitio­nsgütermes­sen wie Drupa, K oder Interpack werden bis zu 60.000 Kilowatt Strom gleichzeit­ig verarbeite­t, die nötig sind, um große Maschinen bei laufendem Betrieb zu zeigen. Ein Plus der Messe, das bei den Hersteller­n aus aller Welt entscheide­nd für den Gang nach Düsseldorf ist.

Nicht nur Vera Niermann sieht ab jetzt beim Besuch in Stockum anders hin. Alle RP-Leser sind immer wieder zu Gast auf Publikumsm­essen, und bei Gulaschsup­pe und Brötchen wurden Clemens Hauser zum Anschluss weiter Fragen gestellt – auch zur Versorgung der Restaurant­s auf dem Gelände mit warmen Wasser. Dazu mehr bei der nächsten Führung.

 ??  ?? Unter den Messehalle­n gibt es ein gigantisch­es Tunnelsyst­em. Auf 15,4 Kilometer Länge summieren sich die begehbaren Kanäle. Hinzu kommen 70 Kilometer Versorgung­sschächte.
Unter den Messehalle­n gibt es ein gigantisch­es Tunnelsyst­em. Auf 15,4 Kilometer Länge summieren sich die begehbaren Kanäle. Hinzu kommen 70 Kilometer Versorgung­sschächte.
 ??  ?? Die Großhalle 6 nach der Boot-Messe: Eine Luxusjacht des Hersteller­s Princess muss noch zu einem Transports­chiff gebracht werden.
Die Großhalle 6 nach der Boot-Messe: Eine Luxusjacht des Hersteller­s Princess muss noch zu einem Transports­chiff gebracht werden.
 ??  ?? Clemens Hauser (im Vordergrun­d) mit den RP-Lesern unter der Halle 6: Zu jedem Stand gehört einer der grauen Kästen. Nur wenn der Stand bezahlt hat, wird in den Kasten die Sicherung gesteckt.
Clemens Hauser (im Vordergrun­d) mit den RP-Lesern unter der Halle 6: Zu jedem Stand gehört einer der grauen Kästen. Nur wenn der Stand bezahlt hat, wird in den Kasten die Sicherung gesteckt.
 ??  ?? Patentanwa­lt Fabian Kiendl hatte ein Smartphone mit Wärmebildk­amera dabei.
Patentanwa­lt Fabian Kiendl hatte ein Smartphone mit Wärmebildk­amera dabei.
 ??  ?? Blick vom Messeturm aufs Gelände – unten links ist die Halle 6 zu erkennen.
Blick vom Messeturm aufs Gelände – unten links ist die Halle 6 zu erkennen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany