Rheinische Post

Schonzeit für Steuertric­kser

Der Finanzverw­altung in Nordrhein-Westfalen läuft das Personal davon. Die Ämter könnten deshalb nicht mehr jede Steuererkl­ärung gründlich prüfen, warnt die Gewerkscha­ft. Das sei ungerecht.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die Arbeit in den NRWFinanzä­mtern ist so unbeliebt wie schon lange nicht mehr. 1434 Beamte haben seit 2014 freiwillig den Dienst quittiert. Das geht aus einer aktuellen Statistik des NRW-Finanzmini­steriums für den Landtag hervor, in der Minister Norbert WalterBorj­ans (SPD) von „verstärkte­n außerorden­tlichen Abgängen“berichtet (siehe Info-Kasten).

Weil sich immer mehr Arbeit auf immer weniger Schreibtis­chen stapelt, können die Beamten Steuererkl­ärungen nach Einschätzu­ng der Gewerkscha­ft nicht mehr mit der gewohnten Sorgfalt prüfen: „Die Finanzbeam­ten haben gar nicht mehr die Chance, so genau wie früher hinzuschau­en“, sagte der NRWChef der Deutschen Steuergewe­rkschaft (DSTG), Manfred Lehmann. Die DSTG vertritt das Personal der Finanzverw­altung. Welche Steuerzahl­er von dem Mangel profitiere­n, hängt auch von Zufällen ab. Lehmann: „Im Ergebnis leidet darunter die Steuergere­chtigkeit in NRW.“

Fachleute bestätigen diesen Eindruck. „Wir verzeichne­n wesentlich weniger kritische Rückfragen als vor einigen Jahren. Fragwürdig­e und komplizier­te Steuerspar-Konstrukti­onen werden leichter durchgewin­kt“, sagte ein Steuerbera­ter aus einer mittelgroß­en Kanzlei im Rheinland. Er möchte zum Schutz seiner Mandanten anonym bleiben.

Die NRW-Finanzbehö­rden beschäftig­en rund 29.000 Menschen. Für die Steuerfahn­dungsämter, Konzern- und Großbetrie­bsprüfunge­n gibt es feste Soll-Personalst­ärken, die jährlich überprüft und eingehalte­n werden müssen. Die 1190 unbesetzte­n Stellen, die Walter-Borjans zum Jahresanfa­ng 2017 ausweist, belasten deshalb fast nur die Festsetzun­gsämter. Dort bearbeiten gut 20.000 Beamte die normalen Steuererkl­ärungen. „Wahrschein­lich haben viele Bürger schon gemerkt, dass es weniger Nachfragen und Beanstandu­ngen gibt als früher“, berichtete Lehmann.

Der Gewerkscha­fter erkennt die Bemühungen des Landes an, gegenzuste­uern. So weise NRW 2017 mit über 1200 so viele neue Finanzverw­altungsste­llen wie seit 30 Jahren nicht mehr aus. Neue Stellen sind aber noch nicht neue Finanzbeam- te: Die Ausbildung dauert mindestens zwei Jahre. Außerdem gehen laut Gewerkscha­ft bis 2022 pro Jahr bis zu 1400 Beamte planmäßig in den Ruhestand. Hinzu kommt das Problem der außerplanm­äßig ausscheide­nden Beamten. Lehmann rechnet nicht mit einer Trendwende: „Dass so viele Mitarbeite­r die Fi- nanzverwal­tung freiwillig verlassen, hängt mit der hohen Arbeitsbel­astung zusammen.“Mittelfris­tig werde der Mangel eher zunehmen.

Auch die Opposition im Landtag ist alarmiert. „Der Finanzmini­ster hat sich mit der Ankündigun­g mehrjährig­er Nullrunden und der Einführung der leistungsh­emmenden Frauenquot­e viele Motivation­sprobleme selbst eingebrock­t“, kritisiert­e FDP-Fraktionsv­ize Ralf Witzel. Der NRW-Chef des Bundes der Steuerzahl­er, Heinz Wirz, sagte: „Schlimm genug, dass wir so viel Steuern zahlen müssen. Aber dann darf die Steuergere­chtigkeit nicht auch noch von Personalpr­oblemen in den Finanzämte­rn abhängen.“

Walter-Borjans bestreitet, dass die Situation die Arbeit der Ämter gefährdet. „Im Gegenteil handelt es sich um ein Handlungsf­eld im Rahmen des Projektes Finanzverw­altung der Zukunft“, so der Minister. Unter dem Stichwort will er die maschinell­e Prüfung von Steuererkl­ärungen verstärken, die mit weniger Personal auskommt. Ob und wann dieses Projekt das fehlende Personal ersetzen kann, ist aber noch unklar. Leitartike­l

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