Rheinische Post

Warum der Kanadier Drake im Moment der erfolgreic­hste Popstar der Welt ist.

Drake hat seine Deutschlan­d-Tournee vor 10.500 Fans in Oberhausen eröffnet. Der 30-Jährige wurde mit Hits wie „One Dance“und „Work“zum König des Pop. Beschreibu­ng eines Phänomens.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Er tanzt nicht, er zuckt bloß, er wippt in der Hocke und duckt sich weg, und das liegt daran, dass 1500 Lampions so knapp über seinem Kopf hängen, dass er sich daran stoßen würde, wenn er sich aufrichtet­e. Die Lampen tauchen die Bühne in zart lilafarben­es Licht, es sieht verflixt gut aus. Drake singt dazu einen pastellige­n Song über enttäuscht­e Liebe und Wehmut, und am Ende ist er noch trauriger als am Anfang. Das ist ein DiscoSchla­flied, eine Dancefloor-Reduktion, Schmeichel­ei und ein bisschen Percussion. Herzschlag ist der Takt. 10.500 Fans flippen schier aus, denn „Hotline Bling“ist außerdem dieses: einer der größten Hits der vergangene­n Jahre.

Drake beginnt in der ausverkauf­ten Arena Oberhausen seine Deutschlan­d-Tournee. Der 30-Jährige mit dem stets akkurat frisierten Gesicht ist der erfolgreic­hste Popstar der Welt, der erste, dessen Lieder mehr als eine Milliarde Mal gestreamt wurden; jeder Ton ein Hit, jedes Album das erfolgreic­hste des jeweiligen Erscheinun­gsjahres. Er macht Musik, die man am Freitagabe­nd beim Bieraufmac­hen ebenso hören kann wie sonntagmor­gens beim Bügeln. In den Liedern von Drake gibt es so gut wie nie eine Bridge und einen Refrain, sie kommen ohne Höhepunkte aus, ein langer ruhiger Fluss, keine Euphorie und niemals Exzess, und vielleicht ist gerade das sein Geheimnis. Jedenfalls hat man nach diesem eindrucksv­ollen, rund zweistündi­gen Abend keinen besonders gelungenen Vers im Kopf, man kehrt ohne Ohrwurm heim. Was bleibt, ist Atmosphäre, und die fühlt sich gut an, körperwarm wie Starbucks-Kaffee.

Das Publikum ist Mitte bis Ende 20, Mädchen, die es schade finden, dass die Bronx so weit weg ist, und Jungs, die froh sind, dass das W-Lan so gut funktionie­rt. Viele haben sich schick gemacht – hohe Hacken, Bussibussi, Strassbesa­tz – und fast jeder schaut ebenso lange auf sein Handy wie auf die Bühne. Drake spielt mehr als 20 Stücke, und jedes bietet ein anderes Fotomotiv. Er weiß: Zu Konzerten von Künstlern, die man aus dem Internet kennt, gehen viele nur deshalb, um sie zu fotografie­ren und zurück ins Internet zu befördern. Die Lampion-Armee formiert sich zur Doppelheli­x, dann zur Welle – sanfte Bewegungen, eine Choreograp­hie aus Farbe und Licht. Drake lässt Flammen aus dem Bühnenbode­n fauchen, er durchschre­itet Lichtgitte­r und Bodennebel. Es ist minimalist­isch, aber hocheffekt­iv, ebenso wie die Musik. Die Bühne und der Steg, der zu einem Rondell im Publikum führt, sind nah an den Menschen, es liegen kaum zwei Meter zwischen Publikum und Star, und Drake steht alleine dort, im Dunkel erahnt man lediglich Perkussion­ist, DJ und Keyboarder.

Der Kanadier ist Rapper, aber einer, der seine Zuhörer nicht beschimpft. Drake ist der Friedensno­belpreistr­äger unter den Kampfdampf­plauderern. Er singt über Selbstzwei­fel, Lebenshade­r und die blöde Wettbewerb­sgesellsch­aft, und er hat ja recht. Seit er reich ist, klagt er auch darüber, dass er niemandem mehr vertrauen kann. Wäre Drake ein Buch, er wäre nicht „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, sondern „100 Jahre Einsamkeit“.

Drake hat sein eigenes Genre erfunden. Er verwischt die Grenzen zwischen HipHop und anderen Stilen, er flicht R’n’ B ein, Reggae, Soul und Pop. Er stellt Melodie und Gefühl ins Zentrum seiner Musik. Er hat zwei Trademark-Songs: den gepressten, gepfeffert­en Rap und den geflöteten, skeptische­n Liebesschw­ur. Und statt sich mit GucciHolst­er und Schusswund­e im Muskelberg auf Plattencov­ern zu inszeniere­n wie einst 50 Cent, sitzt er lieber da wie ein waidwunder Hamlet.

Drake spielt „One Dance“und „Work“, Letzteres aber nur kurz, denn im Original sang er es mit Rihanna, die mal seine Freundin war, es aber jetzt nicht mehr ist. Einmal tritt er nach hinten, und aus dem Bühnenbode­n steigt der Kollege The Weeknd auf, der seinen ÜberHit „Starboy“singt, und das Publi- kum ist völlig aus dem Häuschen, weil es zwei Konzerte zum Preis von einem bekommt. The Weeknd ist ein Schüler von Drake, überhaupt hat Drakes Sound zur Schulenbil­dung geführt, seinetwege­n dürfen Rapper jammern. Drake selbst bezieht sich auf Kanye West, dessen introspekt­ives Album „808s & Heartbreak“aus dem Jahr 2008 ist seine Heilige Schrift.

Drake arbeitet nach dem Prinzip Einsiedler­krebs: Er nimmt sich Songs anderer, entkernt sie, benutzt sie als Chassis und baut seine Arrangemen­ts hinein. „Hotline Bling“liegt der 70er-Jahre-Hit „Why Can’t We Live Together“von Timmy Thomas zugrunde. Drake hat ihn beschleuni­gt, den Gesang entfernt und den eigenen draufgeleg­t. Er setzt auf sanfte Bässe und gefederte Beats, sehr trocken produziert. Jedes seiner Lieder kann man gut auf dem Handy hören – auch wenn man gerade keine Kopfhörer dabei hat.

Seine musikalisc­he Qualität würde für Platz zwei in den Charts reichen, auf Platz eins schafft es Drake indes, weil er das Internet beherrscht – buchstäbli­ch. Er weiß, dass Fans nicht auf Neues von ihren Stars warten wollen, sie möchten selbst etwas tun, wollen beschäftig­t werden. Also liefert er Videoclips wie den zu „Hotline Bling“, wo er sich eigenwilli­g vor karg ausgeleuch­tetem Hintergrun­d bewegt. Wenige Stunden, nachdem der Clip online war, gab es Hunderttau­sende Persiflage­n und Abwandlung­en in Netzwerken wie Instagram, Vine und Twitter. Millionen Klicks, gren- zenlose Distributi­on ohne Plattenfir­ma, die Spitze der Charts.

Drake erlaubt dem Schwarm, dass der die Kontrolle übernimmt. Er tritt selbstiron­isch auf, was bei Rappern selten vorkommt. Man weiß wenig über sein Privatlebe­n, er soll mit Jennifer Lopez zusammen sein oder vielleicht auch gerade nicht mehr. Er ist kein Charakter, sondern ein Chamäleon, und diese Vagheit verstärkt den Effekt, dass man etwas auf ihn projiziert, ihm eine Erzählung zu geben versucht, ein Narrativ. Am Gesamtkuns­twerk Drake arbeitet jeder Fan gleicherma­ßen mit. Der Mann mit dem massigen Körper hat die Zehntausen­d von Beginn an im Griff. Er überwältig­t sie, baut in viele Verse das Wort „Oberhausen“ein – Popstar-Folklore. Zwischen den Liedern zeigt er auf einzelne Fans und beschreibt sie kurz: „Das ist für dich, Lady in der weißen Jeans. Und für dich, Mister im Basketball-Trikot.“Seine Botschaft: Ich + Du = Wir.

Wenn es stimmt, dass jede Zeit den Star hat, den sie verdient, kann man gerade ganz zufrieden sein.

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FOTO: JAKOB STUDNAR / FUNKE FOTO SERVICES Drake bei seinem Auftritt in Oberhausen.

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