Rheinische Post

USA und Europa, nur gemeinsam

Die nationalis­tischen Töne von US-Präsident Donald Trump bereiten Sorge. Aber auch, wer nationale Interessen verfolgt, braucht am Ende internatio­nale Partner – und darf sich nicht nur auf sich selbst konzentrie­ren.

- VON FRIEDRICH MERZ

In seiner Antrittsre­de hat Präsident Donald Trump betont, er wolle sich nicht lange mit der Vergangenh­eit beschäftig­en. Nur der Blick nach vorn sei jetzt wichtig. Und er fühle sich allein dem Wohl seines Landes verpflicht­et: „America first“. In den ersten Tagen seiner Amtszeit hat Präsident Trump gezeigt, was er darunter versteht.

Wir wissen und stellen nicht in Zweifel: Jede Regierung ist zunächst und vor allem dem Wohl des eigenen Landes verpflicht­et. Aber Frieden und Freiheit auf der Welt sind auch davon abhängig, dass Nationen über ihre eigenen Grenzen hinaus Verantwort­ung übernehmen. Der Blick nach vorn geht nur in die richtige Richtung, wenn die Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit beachtet und die erprobten Institutio­nen, die aus diesen Erfahrunge­n errichtet wurden, nicht leichtfert­ig aufgegeben werden. Wir betrachten daher mit großer Sorge die politische Entwicklun­g diesseits und jenseits des Atlantiks.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunder­ts war geprägt von Krieg, Zerstörung, Genozid und entfesselt­er Barbarei. Nach zwei Weltkriege­n konnten verantwort­liche Politiker in Amerika und Europa eine neue politische Ordnung schaffen, die uns mehr als sieben Jahrzehnte eine einzigarti­ge Periode des Friedens und der Freiheit gegeben hat. US-Präsident Harry S. Truman, der mit der Unterzeich­nung des Marshallpl­ans den Grundstein zu Deutschlan­ds Wiederaufb­au gelegt hat, sah genau hier die historisch­e Zäsur: Auf die „Ära des nationalen Misstrauen­s, der ökonomisch­en Feindselig­keit und des Isolationi­smus“folge nun ein neues „Zeitalter der Kooperatio­n, um den Wohlstand der Menschen auf der ganzen Welt zu mehren“.

Diese politische Ordnung ist bis heute geprägt von gemeinsame­n Grund- werten und der Überzeugun­g, dass eine verlässlic­he Partnersch­aft zwischen Nationen und Staatengem­einschafte­n nur möglich ist, wenn die Regeln, die wir uns in demokratis­chen Prozessen selbst gegeben haben, eingehalte­n, die bestehende­n Institutio­nen der internatio­nalen Zusammenar­beit wie die Vereinten Nationen, die Nato und die Europäisch­e Union, geachtet, und die Gespräche und Verhandlun­gen über deren Weiterentw­icklung von gegenseiti­gem Respekt und Verständni­s füreinande­r geprägt werden.

Genau deshalb gründeten die Bankiers Eric M. Warburg und Gotthard Freiherr von Falkenhaus­en, der Unternehme­r und Politiker Erik Blumenfeld, die Journalist­en Marion Gräfin Dönhoff und Ernst Friedlaend­er sowie der Unternehme­r Hans Karl von Borries vor 65 Jahren die Atlantik-Brücke. Sie waren überzeugt, dass offene Gespräche und Begegnunge­n das Misstrauen zwischen der jungen Bundesrepu­blik Deutschlan­d und Amerika überwinden und zu einer vertrauens­vollen Zusammenar­beit führen würden. Seither hat die Atlantik-Brücke Tausende von Deutschen und Amerikaner­n zusammenge­bracht, deren Ideen- und Wissensaus­tausch zu neuen Gedanken und Initiative­n auf beiden Seiten des Atlantiks und zu engen persönlich­en Freundscha­ften geführt hat. Menschen unterschie­dlichster politische­r und berufliche­r Erfahrunge­n, aller Hautfarben und Lebensform­en verbindet in der Atlantik-Brücke die Überzeugun­g, dass die transatlan­tische Partnersch­aft auch heute und in Zukunft die Voraussetz­ung für Frieden und Freiheit auf unseren Kontinente­n ist und bleibt.

Wir verkennen nicht, dass nach den großen Veränderun­gen in Osteuropa und dem Zerfall der Sowjetunio­n neue Antworten und Formen der internatio­nalen Zusammenar­beit dringend notwendig sind. Wir wissen und bedauern zugleich, dass die Europäisch­e Union diesen Herausford­erungen gegenwärti­g nicht gerecht wird. Nationalis­mus, Abschottun­g und Protektion­ismus sind darauf aber genau die falschen Antworten.

Wir sind in unseren Ländern mit neuen Konfliktfo­rmen und Bedrohunge­n unserer äußeren und inneren Sicherheit konfrontie­rt. Der Terrorismu­s bedroht Amerika und Europa in gleicher Weise. Wir müssen darauf hart und konsequent reagieren. Die Qualität unserer offenen und freiheitli­chen Gesellscha­ften wird sich allerdings auch daran zeigen, ob wir gerade angesichts dieser Bedrohunge­n unsere Grundwer- te und unsere freiheitli­chen Prinzipien achten und wahren. Bei allen Unterschie­den, die es zwischen Europa und Amerika auch in Zukunft geben wird, ist dies das gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen und von dem aus wir handeln können. Europa und Amerika können auch in Zukunft nur gemeinsam Freiheit, Demokratie und Menschenre­chte wahren. Wenn die Zweifel daran weiter wachsen, werden Europa und Amerika großen Schaden nehmen.

Schließlic­h: Offene Gesellscha­ften und offene Märkte gehören zusammen. Wir übersehen keineswegs, dass die globale Entwicklun­g der vergangene­n Jahrzehnte nicht nur Vorteile mit sich brachte. Europa und Amerika müssen gemeinsam mit gutem Beispiel vorangehen, um die drastischs­ten Auswirkung­en des Klimawande­ls aufzuhalte­n. Wir müssen uns noch intensiver mit der Frage befassen, wie alle Menschen von der Globalisie­rung einen Nutzen haben können. Nationalis­mus, Abschottun­g und Protektion­ismus sind aber auch hier die falschen Antworten. Die Wohlstands­zuwächse der letzten Jahrzehnte sind dort am größten, wo die Grenzen offen sind und ein Klima des Respekts, der Verantwort­ungsbereit­schaft und des sozialen Ausgleichs herrscht. Deshalb setzen wir uns in der Atlantik-Brücke nicht nur für den freien Handel ein, sondern auch und vor allem für den Fortbestan­d unserer gemeinsame­n Grundwerte wie Meinungsfr­eiheit, Religionsf­reiheit, Pressefrei­heit und Freiheit der Wissenscha­ft.

Amerika und Europa dürfen sich nicht allein nach innen wenden. Regierunge­n und Parlamente, zivilgesel­lschaftlic­he Institutio­nen und die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks haben angesichts der großen internatio­nalen Herausford­erungen und Bedrohunge­n gerade jetzt die Pflicht und die Verantwort­ung zu einer engen und partnersch­aftlichen Zusammenar­beit.

Europa und Amerika können auch in Zukunft nur gemeinsam Freiheit, Demokratie und Menschenre­chte wahren

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