Rheinische Post

Am Blackout vorbeigesc­hrammt

Wegen einer langen Phase ohne ausreichen­d Wind und Sonne ist das deutsche Stromnetz nach Angaben der IG BCE im Januar unter Druck geraten. Die Gewerkscha­ft kämpft für den Weiterbetr­ieb konvention­eller Kraftwerke.

- VON C. LONGIN UND M. PLÜCK

HALTERN Der Januar dieses Jahres war kalt und grau. Der Deutsche Wetterdien­st verzeichne­te Durchschni­ttstempera­turen von minus 2,3 Grad – deutlich kühler als für den Jahresanfa­ng üblich. Eine dicke Wolkendeck­e lag über dem Norden. Die Sonne brach nur selten durch. Hinzu kam eine Phase der Windstille. „Dunkelflau­te“nennt das die Energiewir­tschaft. Ein gefährlich­er Zustand für das Stromnetz, schließlic­h setzt Deutschlan­d im Zuge der Energiewen­de immer stärker auf Windkraft und Solarstrom.

Nach Angaben von Michael Vassiliadi­s, Chef der IG Bergbau Chemie Energie, wurde der Zustand am 24. Januar kritisch: Energieunt­ernehmen und Netzbetrei­ber hätten an diesem Tag die Stromverso­rgung nur mit größter Mühe aufrechter­halten können, sagte der Gewerkscha­fter auf einer Veranstalt­ung in Haltern am See vor Journalist­en. Denn die Deutschen forderten ungeachtet der Probleme – wie an anderen Tagen auch – mehr als 80 Gigawatt Leistung ab. „Die Erneuerbar­en konnten nicht einmal fünf Prozent davon bieten“, sagte Vassiliadi­s.

Auch der Import von Strom war keine Option. Frankreich hatte zu diesem Zeitpunkt angesichts der Kältewelle selbst enorme Schwierigk­eiten, den eigenen Bedarf zu decken. Denn viele Franzosen heizen mit Strom. Schon Mitte Januar hatte die Regierung in Paris einen AntiKälte-Plan in Gang gesetzt und in den betroffene­n Präfekture­n Krisenstäb­e eingesetzt. Einem Black- out entgingen die Franzosen nur, weil die Inspektion mehrerer Atommeiler verschoben wurde. Frankreich hatte also genug mit sich selbst zu tun.

Dass ein Blackout hierzuland­e ausblieb, gelang laut Vassiliadi­s nur, weil die deutschen Energiever­sorger „auch noch das letzte Reservekra­ftwerk“ans Netz nahmen. „Kohle, Gas und Kernkraft hielten das Land quasi im Alleingang unter Strom.“Die Bundesnetz­agentur äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Netzüberla­stung.

Natürlich verfolgt Vassiliadi­s, der vor allem die Beschäftig­ten in den konvention­ellen Kraftwerke­n vertritt, mit seiner Darstellun­g der Ereignisse eine Agenda. Er will den von den Grünen verlangten vorzeitige­n Ausstieg aus der Braunkohle verhindern. „Allein für die Jahre 2016 bis 2019 erwarten wir den Rückbau von 30 Anlagen mit einer Leistung von mehr als sechs Megawatt“, sagte der Gewerkscha­ftschef. Die Erneuerbar­en würden immer abhängig von Wind und Sonne sein, größere Technologi­esprünge seien nicht mehr zu erwarten. Der IGBCE-Chef forderte eine Neuausrich­tung der Energiewen­de. „Wir benötigen einen Strukturwa­ndel, der intelligen­t gemanagt ist“, sagte er und kritisiert­e, dass für den Umbau auf erneuerbar­e Stromerzeu­gung bereits rund 500 Milliarden Euro an Förderunge­n und Verbindlic­hkeiten angefallen seien – und das für die Produktion von Strom mit einem Marktwert von 100 Milliarden Euro. Allein die EEG-Umlage, die den Löwenantei­l bei der Energiewen­de-Förderung ausmacht, habe die Bürger schon mehr Geld gekostet als alle Kohlesubve­ntionen der vergangene­n fast 60 Jahre zusammen. Die Verteilung der Lasten über den Strompreis sei sozial unausgewog­en. Sozial Schwache wohnten meist zur Miete und hätten kaum Einfluss auf ihren Stromverbr­auch. Besser Verdienend­e könnten sich eine Solaranlag­e aufs Dach setzen und seien dann für diesen Strom von der Umlage befreit. Die IG Bergbau Chemie Energie fordert deshalb eine Finanzieru­ng der Energiewen­de über Steuern.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Neue und alte Energiewel­t dicht beieinande­r: ein Windrad in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zum RWE-Kraftwerk Grevenbroi­ch-Neurath.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Neue und alte Energiewel­t dicht beieinande­r: ein Windrad in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zum RWE-Kraftwerk Grevenbroi­ch-Neurath.

Newspapers in German

Newspapers from Germany