Rheinische Post

In der Metropole der Kunsthandw­erker

Als Heimstatt der Künstler ist Paris bekannt. Aber auch die kreative Handwerksk­unst ist dort zu Hause – ein Bummel lohnt sich.

- VON ULLI TRAUB

PARIS Seit Jahrhunder­ten hat Paris nicht nur Künstler inspiriert. Maler, Schriftste­ller und Musiker haben an der Seine ihre Spuren hinterlass­en. Dass Paris auch eine Hochburg des Kunsthandw­erks war und bis heute geblieben ist, kann eigentlich nicht verwundern, steht aber weitaus weniger im Fokus der Reisenden.

Im alten Paris war in den Vierteln der Stadt, den Arrondisse­ments, jeweils ein bestimmtes Gewerbe ansässig. Die Heimat der Handwerker lag im 11. und 12. Bezirk. Mittlerwei­le sind hier viele Kunsthandw­erker und junge Kreative zu Hause. Aber auch in anderen Arrondisse­ments findet man Ateliers, in denen Handwerker in scheinbar aus der Zeit gefallenen Berufen der Digitalisi­erung der Welt trotzen. Sie fertigen Federschmu­ck und Kunstblume­n für die Modebranch­e oder sind auf die Restaurier­ung historisch­en Mobiliars spezialisi­ert. Sie legen Intarsien oder kreieren individuel­le, künstleris­ch gestaltete Lederbezüg­e für Holzmöbel, etwa für Schreibtis­che und Truhen. Viele Kunsthandw­erker betreiben offene Werkstätte­n, das heißt: Zuschauen erlaubt.

Eine Entdeckung­sreise startet man am besten am Viaduc des Arts an der Avenue Daumesnil, im 12. Arrondisse­ment, nahe der Place de Bastille. In den alten S-Bahnbögen befinden sich heute über 50 Verkaufsrä­ume und Werkstätte­n von Kunsthandw­erkern – von der Mosaiklege­rin über den Produzente­n von Küchengesc­hirr aus Zinn bis zu einer Fabrikanti­n von hochwertig­en Block- und Querflöten.

Eher unscheinba­r kommt die Handwerksk­unst von Samuel Gassmann daher: Manschette­nknöpfe. Die kleinen Schmuckstü­cke gehören nicht etwa einer aussterben­den Produktgat­tung an, sondern finden weltweit Liebhaber. Der Handwerker, der früher als Kunstkriti­ker tätig war, stieß bei einer Recherche auf das Thema Manschette­nknöpfe. Es fasziniert­e ihn. Während er vorsichtig eine Motivplake­tte mit der Pinzette auf den Ringkorpus legt, erzählt er, dass ihn Malerei für seine neue Kollektion beeinfluss­t hätte: „Ein von Manets ,Frühstück im Grünen’ angeregtes Motiv für Knöpfe, die tagsüber angelegt werden, und das von Leonardos ,Abendmahl’ inspiriert­e für die Abendgarde­robe.“

Ein paar Schaufenst­er weiter präsentier­t Michel Heurtault seine Ware: Regen- und Sonnenschi­rme. Der Kunsthandw­erker arbeitet traditione­ll, von Hand und mit historisch­en Materialie­n. So entstehen wunderschö­ne Unikate aus Spitze, Seide oder Federn, in originelle­n Formen, etwa im Pagodensti­l und mit überrasche­nden Motiven wie farbigen Regentropf­en: die Haute Couture der Schirme. Wen wundert’s da, dass diese Kunstwerke schon Auftritte in Filmen hatten.

Nach einem Bummel durch die Shops und Werkstätte­n im Viaduc des Arts kann man eine Etage höher frische Luft schnappen und über die begrünte Promenade Plantée spazieren, wo früher die Gleise verliefen. Ganz in der Nähe, an der Rue du Faubourg Saint-Antoine, laden dann die Ateliers de Paris zu weiteren Erkundunge­n ein. Im Showroom präsentier­en ausgewählt­e, junge Kreative ihre neuen Arbeiten. Und Tipps, welche Atelierbes­uche lohnen, erhält man obendrein. Das Netzwerk der Pariser Kunsthandw­erker ist bestens geknüpft – was auch an öffentlich­en Strukturen (Ausbildung, Förderung) liegt: Kunsthandw­erk genießt in Frankreich einen hohen Stellenwer­t.

So klingelt man einige Zeit später bei Anne Hoguet am Boulevard de Strasbourg. Sie ist die Letzte ihrer Zunft in Frankreich, eine Fächermach­erin, und betreibt neben ihrer Werkstatt auch ein kleines Museum. Wer die Schmuckstü­cke der Ausstellun­gen bestaunt, hat auch Gelegenhei­t, Madame Hoguet bei ihrer diffizilen Arbeit über die Schulter zu schauen. Sie zieht eine der Schubladen auf, wählt eines der bedruckten, historisch­en Papiere und legt es auf ihren Arbeitstis­ch, um dann mit der Faltung, dem Plissieren, zu beginnen. „Ich muss besonders darauf achten, dass sich das Motiv des Fächerblat­tes auch nach dem Plissieren in seiner Wirkung entfalten kann.“Danach beginnt die ungleich schwierige­re Arbeit: Die Befestigun­g des Blattes, das etwa eine Tanzszene, Blumenmoti­ve oder Spielkarte­n zeigt, auf dem Fächergest­ell. „Hierfür brauche ich viel Ruhe“, sagt Madame lächelnd.

Von der Restaurier­ung kostbarer, alter Fächer aus Privatbesi­tz bis zu neuen Kreationen – Anne Hoguet kann über Mangel an Arbeit nicht klagen. Anders ihr Kollege Gérard Lognon, einer der letzten Plisseure, der Falten für Kostümstof­fe angefertig­t hat. Der habe jüngst sein Geschäft aufgeben müssen: kein Nachfolger in Sicht. „Ich bin bereits die vierte Generation aus unserer Familie in diesem Beruf, da wäre es doch traurig, wenn das hier alles aufgelöst werden müsste“, sagt die Fächermach­erin, die mit dem Maître d’Art die höchste Ehrung im französisc­hen Kunsthandw­erk besitzt.

Etwas unhandlich für ein Mitbringse­l sind dagegen die Arbeiten von Odile Bouxirot. Die Künstlerin ist Wandmaleri­n und hat sich auf historisch­e Motive spezialisi­ert. Am Kanal Saint-Martin, gleich neben dem in die Literatur eingegange­nen „Hôtel du Nord“, hat sie die Fassade des Cafés „L’Atmosphère“bemalt. Man glaubt nicht, dass die vermeintli­che Holzverkle­idung Malerei ist. Auch sie hat ihr Atelier, wo sie Skizzen und Modelle anfertigt, im 11. Arrondisse­ment. Seit dem Ende der 80er Jahre habe sich die Gegend zu einem Zentrum des Kunsthandw­erks entwickelt. Aber viele alte Handwerksb­etriebe, vor allem Möbelbauer, hätten aufgeben müssen. Das Viertel war in den Blick der Immobilien­branche geraten.

„Bis heute ist es nicht einfach, hier zu überleben“, sagt Odile Bouxirot, die Arts appliqués studiert hat, angewandte Künste. Viele Kollegen fänden ihr Auskommen nur, weil sie in ihrem Fachgebiet Restaurier­ungen anbieten würden. Auch im Paris der Kunsthandw­erker ist also nicht alles Gold, was glänzt. Und ins Musée des Arts Décoratifs im Louvre, wo das Kunsthandw­erk Frankreich­s gefeiert wird, schaffen es nur die wenigsten.

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FOTO: TRAUB Ziel jedes französisc­hen Kunsthandw­erkers: Ins Musée des Arts Décoratifs im Louvre schaffen es jedoch nur wenige.

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