Rheinische Post

„Marx als Mensch ist fast vergessen“

Der Schauspiel­er verkörpert in „Der junge Karl Marx“den Philosophe­n und politische­n Aktivisten während seines Exils in Paris.

- VON DOROTHEE KRINGS

BERLIN August Diehl (40) kann manische Typen spielen, junge Menschen, die von etwas getrieben sind, so wie der Computer-Hacker in dem Film „23“, mit dem er 1998 seinen Durchbruch erlebte. Inzwischen spielt er auch in internatio­nalen Großproduk­tionen wie „Inglouriou­s Basterds“oder Terrence Malicks neuem Film „Radegund“und ist seit 2013 festes Ensemblemi­tglied am Wiener Burgtheate­r. Ein Gespräch über Menschen, die etwas bewegen wollen – in der Politik und in der Kunst. Was hat Sie an Marx gereizt? DIEHL Ich habe mich zuerst tatsächlic­h gefragt: Warum sollte ich den spielen? Man verbindet mit Marx ja mehr eine Idee als eine Person. Als ich mich dann aber eingelesen habe, habe ich gemerkt, wie spannend seine Zeit war. Und dass Marx auch einmal jung war und während seiner Emigration in Brüssel und Paris viel erlebt hat. Der Film konzentrie­rt sich ja auf diese Lebensphas­e, das finde ich richtig. Warum sollten wir uns denn für den Menschen Marx interessie­ren,geht es nicht zu Recht um sein Denken? DIEHL Sicher, seine Ideen sind das Wichtigste, aber hinter den Ideen steht auch ein Mensch, der in Vergessenh­eit geraten ist. Mit Marx erzählt der Film von jungen Leuten, die daran geglaubt haben, dass sie die Welt verändern können. Und er erzählt von einer Freundscha­ft – der zwischen Marx und Engels. Noch vor ein paar Jahren hat man über solchen Enthusiasm­us zynisch gelächelt. Denken Sie, dass der Film inzwischen in eine Zeit fällt, die sich wieder politisier­t? DIEHL Ja. Vor allem trifft er in eine Zeit, die begriffen hat, dass der Kapitalism­us nicht „gewonnen“hat. Gerade seit der Finanzkris­e 2008 spüren wir doch, dass auch diese Wirtschaft­sform ihre Tücken und Gefährlich­keiten hat. Es lohnt sich deswegen, wieder über Marx nachzudenk­en. Und überhaupt wieder darüber nachzudenk­en, wie wir eigentlich leben wollen und welche Alternativ­en es zum bestehende­n System gibt. Schon Marx hat ja dargelegt, dass der Kapitalism­us in die Katastroph­e führt. Darum ist er aktiv geworden. Muss man „Das Kapital“gelesen haben, um Marx spielen zu können? DIEHL Ich hab durchaus hineingegu­ckt und auch das „Kommunisti­sche Manifest“gelesen. Aber das taugt nicht wirklich für die Rollenvorb­ereitung, weil man den Menschen darin nicht so stark spürt. Dafür waren seine Briefe an Friedrich Engels und an seine Frau Jenny ergiebiger. Darin merkt man, dass er ein sehr intelligen­ter, humorvolle­r, zynischer Mensch war, der ärgerlich um Geld bitten und über andere Menschen herziehen konnte. In den Briefen lernt man ihn kennen. Mochten Sie etwas nicht, das Ihnen da begegnet ist? DIEHL Da war nicht alles sympathisc­h, aber für eine Rolle ist es weniger hilfreich, darüber nachzudenk­en, was einem an einer Figur nicht gefällt. Er war sicher nicht nur ein angenehmer Mensch, aber er hatte einen sehr genauen Sinn für Gerechtigk­eit und einen Blick für das, was schiefläuf­t. Haben Sie schon als Jugendlich­er Marx gelesen? DIEHL Nein, ich habe mich überhaupt erst im Zuge des Films mit ihm beschäftig­t. Allerdings glaube ich, dass Marx etwa während meiner Schauspiel­ausbildung an der ErnstBusch-Schule präsenter war, als es mir bewusst war. Er hing da auch nach der Wende noch in jedem Raum, nicht als Bild, sondern als Bewusstsei­n, an dem man sich reiben musste. Marx hat eben sehr, sehr viele Menschen geprägt. Als ich nach der Wende nach Berlin zog, hingen dort überall Plakate von ihm. Darunter stand: Sorry, war nur so eine Idee von mir. Da kann man wieder drüber nachdenken. Aber erst mussten wir Marx vom Sockel stürzen, um neu über ihn nachdenken zu können? DIEHL Ja, wahrschein­lich war das nötig. Was aus seinem Denken gemacht wurde, hat ja auch viel Leid über Menschen gebracht. Mit dem Menschen Marx hatte das allerdings wenig zu tun. Und wahrschein­lich nicht mal mit seinen Ideen. Seine Theorien taugen nicht, um sie in großen Reichen anzuwenden. Wir verbinden Marx mit dem 20. Jahrhunder­t und der Sowjetunio­n. Er selbst stand aber den Ideen der Französisc­hen Revolution viel näher. Das müssen wir wieder sehen, dann kann man sich ihm auch wieder annähern. Wie streift man als Schauspiel­er die Gegenwart ab, um in einer historisch­en Rolle glaubwürdi­g zu wirken? DIEHL Das ist gar nicht mein Ziel. Ich bringe mich auch selbst ins Spiel, bei jeder Rolle. Aber natürlich muss man in die Zeit abtauchen, um gut spielen zu können. Marx hat ja selbst stark hervorgeho­ben, wie sehr der Mensch Produkt seine Milieus ist. Das habe ich für die Rolle ernst genommen und mich in das Milieu seine Umfelds hineingeda­cht. Die ganze politische Stimmung seiner Denken Sie, dass Sie Ihr Talent auch deswegen entfalten konnten, weil Sie eine alternativ­e Schule besucht haben? DIEHL Nein, bei Schulen hängt alles davon ab, auf welche Menschen man trifft. Das ist keine Systemfrag­e. Warum sind Sie Schauspiel­er geworden? DIEHL Uhh, da denke ich gar nicht drüber nach. Ich hab einfach das weitergema­cht, was ich schon als Kind gut konnte: Rollen spielen. Und mir vorstellen, dass ich jemand anders bin. Wahrschein­lich hat es auch damit zu tun, dass ich gemerkt habe, dass ich das gut kann. Jeder macht doch das gerne, wofür er Anerkennun­g bekommt. War es gut, Marx zu sein? DIEHL Ja. Ich hab noch nie so eine Rolle gespielt, so eine schwere Autorität, einen Denker und gleichzeit­ig einen Revolution­är, einen wütenden Menschen. Das hat mir gefallen.

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