Rheinische Post

Von der Buße bis zur frohen Botschaft

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF In unserer Leistungsg­esellschaf­t klingt das fast nach Revolution: Innehalten sollen wir; mal nicht funktionie­ren, mal nicht Maschine sein, sondern Mensch. „Augenblick mal – Sieben Wochen ohne Sofort“heißt das aktuelle Fastenmott­o der Evangelisc­hen Kirche, die vor über drei Jahrzehnte­n mit solchen Kampagnen erstmals unters Gottesvolk trat und aktuell damit unsere Bedürfniss­e zu treffen scheint. Noch nie sind so viele Menschen hierzuland­e fürs Fasten: Waren 2012 noch 15 Prozent für den Verzicht, stieg der Anteil nach einer diesjährig­en Umfrage auf fast 60 Prozent. Dabei ist es fast egal, worauf verzichtet wird – ob auf Alkohol, Süßes, Fleisch, aufs Fernsehen oder Handy. Wichtig ist die Unterbrech­ung, vielleicht die Umkehr, zumindest ein Wandel. Wie auch das „Augenblick mal!“, das sich der Ungeduld unseres Handelns in den Weg stellt. Wir sind es ja gewohnt, zu funktionie­ren und größtmögli­ch effektiv zu sein – am besten an jedem Ort und zu jeder Zeit. Daraus entsteht dann eine Eigendynam­ik, die nichts mehr hinterfrag­t und zu Folgen wie diesen führen kann: Die Krankmeldu­ngen mit Burn-out-Diagnosen sollen in den vergangene­n zehn Jahren um das Elffache gestiegen sein. Sich dem Sofort an den kommenden 40 Tagen ein klein wenig zu verweigern, kann einem eins der wichtigste­n Güter vor Augen treten lassen: die Zeit.

Darin findet sich auch die größte ökumenisch­e Nähe zur katholisch­en Kirche. Der Fastenzeit­begleiter von Papst Franziskus (CaminoVerl­ag, 112 Seiten, 14,95 Euro) beginnt mit den Worten: „Immer gibt es die Möglichkei­t zur Kehrtwende; wir haben noch die Zeit, zu reagieren und das, was uns als Volk zer- stört, das, was uns als Menschen entwürdigt, zu verwandeln . . .“Dem Christen geht es in den kommenden 40 Tagen nicht ums Abnehmen. Ihm geht es auch um die spirituell­e Nachfolge Christi, der sich vor seinem öffentlich­en Wirken 40 Tage in die Wüste zurückzog. Der Fastende ist also nicht allein; er wird mit seinem Verzicht auch Teil des christlich­en Gedächtnis­ses. Am Anfang steht die Buße – mit dem Aschekreuz auf der Stirn –, und am Ende die frohe Botschaft der Auferstehu­ng. Das ist eine große Zeit. Sie intensiv zu erfahren, ist für die meisten ein Gewinn, kein Verzicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany