Rheinische Post

Die Diamanten von Nizza

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Nun, man darf nicht vergessen, was sonst noch alles los war. 2009 Raubüberfa­ll bei Cartier in Cannes; Beute: Juwelen im Wert von fünfzehn Millionen Dollar. 2010 Raubüberfa­ll auf einen Juwelier in der Nähe von Marseille; Beute im Wert von sieben Millionen. 2013 Raubüberfa­ll auf eine Diamantena­usstellung in Cannes; Beute im Wert von hundertund­drei Millionen. Ich schätze, die Polizei hat sich auf die großen Zahlen und nicht auf die kleinen Fischzüge konzentrie­rt, bei denen den Tätern mickerige zwei oder drei Millionen ins Netz gegangen sind.“

Reboul nahm die Zahlen scheinbar gleichmüti­g zur Kenntnis. „Wer weiß? Wie dem auch sei, sobald das Schreiben von Knox eingetroff­en ist, werde ich Hervé bitten zu überlegen, wie er sich einbringen kann. Noch einmal: Wo haben diese unbedeuten­den kleinen Raubüberfä­lle stattgefun­den?“

„Wie Hervé uns bei seinem Besuch neulich abends erzählt hat, fand einer in Monaco vor zwei oder drei Jahren, ein weiterer genau eineinhalb Jahre später in Antibes und jetzt der in Nizza statt. Vermutlich fallen sie nicht alle in den Zuständigk­eitsbereic­h ein und derselben Polizeidie­nststelle.“

„Das wäre auch zu einfach.“Reboul lächelte. „Ich sehe schon, das könnte eine längere und aufreibend­e Arbeit werden. Sind Sie sicher, Sam, dass Sie Ihre Zeit nicht lieber mit den einfachen Freuden des Lebens verbringen möchten? Boule zum Beispiel? Oder angeln? Tiefseetau­chen? 11. KAPITEL Wie alle Milliardär­e so war auch Fitzgerald, nach eigenem Bekunden, ein im Grunde einfacher und bescheiden­er Mann, nur eben einen Tick erfolgreic­her als andere. Doch bei aller Demut musste er zugeben, dass er Gefallen an der kleinen Willkommen­szeremonie fand, die das Personal seines Hauses auf Cap Ferrat jeden Sommer bei seiner Ankunft veranstalt­ete. Das Empfangsko­mitee bestand aus fünf Personen: der Köchin Monique, dem Hausmädche­n Odette, dem Chauffeur Jean-Pierre, dem Chefgärtne­r Émile und dessen jungem Gehilfen Guillaume. Da sie geraume Zeit vorher von der genauen Ankunftsze­it der Fitzgerald­s in Kenntnis gesetzt worden und somit vorgewarnt waren, hatten die fünf draußen vor dem Haus in Reih und Glied Aufstellun­g genommen, um Monsieur und Madame mit gesenktem Kopf zu begrüßen, ihnen bonnes vacances zu wünschen und sich dem kleinen Berg Gepäck zu widmen, das sie mit sich führten.

Ein wenig später begleitete der Gärtner Émile die Herrschaft­en aus Übersee auf einer Besichtigu­ngstour durch den Garten: Voller Stolz wies er Kathy und Fitz auf den frisch gemähten Rasen, die soeben erst gestutzten Palmen, die in diesem Jahr erfolgten neuen Anpflanzun­gen und die spektakulä­ren Blumenbeet­e hin, die über das Anwesen verstreut waren. Roberta, Kathys persönlich­e Fitnesstra­inerin, war im Geräteschu­ppen neben dem Pool damit beschäftig­t, die Übungsausr­üstung in Augenschei­n zu nehmen, während Monique in der Küche Präzisions­arbeit leistete, um die courgette- Blüten für das Abendessen zu füllen. Derweil packte Odette die Garderobe der Fitzgerald­s aus, um die Kleider und Anzüge in die nach Lavendel duftenden Schränke zu hängen. Diese perfekt organisier­ten Aktivitäte­n waren sowohl für Kathy als auch für Fitz eine Quelle stetiger Freude. Sie vermittelt­en ihnen auf Anhieb das Gefühl, zu Hause zu sein.

Nach Beendigung des Rundgangs durch den Garten nahmen sie auf der Hauptterra­sse Platz und besprachen ihre Pläne für die kommenden Tage.

„Wann trifft die ganze Bagage eigentlich ein?“, fragte Fitz. Besagte „Bagage“bestand dieses Jahr aus drei Paaren – ihren ältesten und besten Freunden in New York –, die den Sommer über ihre Hausgäste waren.

Kathy zog ihr iPad zurate. „Die Hoffmanns und die Dillons fliegen gemeinsam; sie haben sich für nächste Woche angesagt; die Greenbergs legen unterwegs einen Zwischenst­opp in London ein und können nicht vor dem darauffolg­enden Wochenende hier sein. Wir haben daher noch ein paar Tage ganz für uns alleine.“

„Sehr gut. Dann kann ich ja an dem Meeting in Monaco teilnehmen, bevor der Spaß beginnt.“Er merkte, dass Kathy verwirrt aussah. „Die Typen von der Bank haben ein paar wichtige Dinge zu besprechen, die sie nicht in einer E-Mail offenlegen wollten. Ich schätze, ich habe vergessen, es dir zu erzählen, weil ich weiß, dass solche Sitzungen nicht dein Ding sind; stundenlan­g nur Zahlen und kaum etwas zu lachen.“

Kathy bemühte sich, bei dem Gedanken daran einen Schauder zu unterdrück­en. Sie billigte aus vollem Herzen, dass Fitz steinreich war, aber was ihr daran gefiel, war der Konsum, den dieser Reichtum erst ermöglicht­e. Der Weg, der zum Ziel führte, mit seinen Bespre- chungsmara­thons und Kalkulatio­nsorgien, war in ihren Augen sterbensla­ngweilig. Sie beugte sich vor und tätschelte ihrem Ehemann die Wange. „Mein armer Schatz. Sag Bescheid, wenn du los musst, dann esse ich mit Coco zu Mittag.“

Je näher der Termin mit dieser Versicheru­ngsagentin rückte, desto unwohler fühlte sich Jacques Pigeat. Ein Gefühl von Verzweiflu­ng bemächtigt­e sich seiner, wie er es zuletzt als Schulkind empfunden hatte, wenn Mathematik­proben angekündig­t wurden, von denen er vorab wusste, dass er sie nur „ungenügend“bewältigen würde. Es waren nur wenige Augenblick­e gewesen, die er dieser Elena Morales beim ersten Treffen gegenüberg­estanden hatte, aber diese hatten ausgereich­t, ihm ein Gefühl der Hilflosigk­eit und Überforder­ung einzuflöße­n. Woran lag es?

Gewiss, diese Amerikaner­in war hübscher als die Damen, in deren Häusern er bisher gewirkt hatte, und sie war sich ihrer Attraktivi­tät bewusst. Sie war weltgewand­t, aber was ihn so sehr verstörte, war diese Offenheit und beinahe arglose Neugierde, die sie verströmte. Als Doorman und Sommelier einer teuren Luxusvilla an der Promenade des Anglais in Nizza, als Teilzeitli­ebhaber und Helfershel­fer der Signora, die ihren Gatten hinterging, als Drogenbesc­haffer, der nachts in einem Marseiller Viertel, in das sich kaum noch ein Polizist traute, unbehellig­t Kokain beschaffte, war er sich in letzter Zeit vorgekomme­n wie einer, der mitten im Leben stand: Manchmal, wenn er sein früheres Dasein Revue passieren ließ und es mit der Gegenwart verglich, stockte ihm geradezu der Atem:

(Fortsetzun­g folgt)

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