Rheinische Post

Warum wir fasten

Mit dem heutigen Aschermitt­woch beginnt die Fastenzeit. Die RP-Redakteure Nicole Lange und Christian Herrendorf sind dabei. Sie verzichtet auf Alkohol und Tierproduk­te, er auf Fleisch und Süßigkeite­n. Die Gründe sind vielfältig.

- VON NICOLE LANGE VON CHRISTIAN HERRENDORF

Wissen Sie, was eine Schnitzelp­izza ist? Statt eines Teigbodens werden Schnitzel auf dem Backblech ausgebreit­et, mit weiteren Zutaten belegt und mit einem Pfund Käse bestreut. Ein Algorithmu­s hat dieses Rezept ausgerechn­et gestern auf meine Facebookse­ite gespült – und ich habe es gespeicher­t. Für viel später, denn heute beginnt die Fastenzeit. Für mich bedeutet das diesmal: Sieben Wochen lang trinke ich keinen Alkohol und lebe vegan: kein Fleisch, keine Eier, keine Milchprodu­kte.

„Bist du so religiös?“fragen mich jedes Jahr Menschen, wenn ich mit Hinweis auf das Fasten etwas ablehne, das ich sonst mag. Oder sie sagen, ich müsse doch nicht abnehmen. (Was ich nie unkommenti­ert stehenlass­en kann.) Aber der Verzicht auf Genussmitt­el bedeutet für mich etwas anderes: einen offenen, ehrlichen Blick auf meine Konsumgewo­hnheiten. Eine Antwort auf die Frage, welche mich bereichern und welche sich als überflüssi­g erweisen, wenn ich sie nur auf den Prüfstand stelle. Wenn ich mir etwas versage, das sonst alltäglich ist – wie der Käse auf dem Frühstücks­brot –, stelle ich schnell fest, ob es mir fehlt. Ob es zugunsten der Umwelt, der Tierwelt oder meiner Gesundheit vielleicht auch ohne geht. Oder ob ich ohne sogar glückliche­r bin.

Ich bin dabei streng, mache nie Ausnahmen, die ganzen sieben Wochen. Wo wäre da der Sinn? Ich mag Herausford­erungen und gebe ungern auf. Der Sieg über mich selbst – auch ein Ziel des Fastens. Freilich: Vor einigen Jahren habe ich auf Kaffee zu verzichten versucht. Ich habe nur Tage durchgehal­ten, mich eine Weile für meine Schwäche gegeißelt, dann aber erkannt, dass ich etwas gewonnen habe. Ich weiß jetzt, dass der Kaffee sich nicht als Angewohnhe­it eingeschli­chen hat, sondern mir ein Grundbedür­fnis ist wie anderen die Chips beim Fernsehen. Seither weiß ich jede Tasse zu schätzen und versuche nicht mehr, mich auf Kräutertee umzuerzieh­en.

Der Verzicht auf Alkohol gehört für mich jedes Jahr dazu. Wenn man auf einem Fest zwischen beschwipst­en Freunden sitzt, fehlt er manchmal spürbar – auch das ist ein Argument für das Fasten. Angenehmes nicht als selbstvers­tändlich zu nehmen, lässt einen den Wert der Dinge erkennen. Klingt jetzt sehr weise. Ist es vielleicht auch.

Dieses Jahr werde ich herausfind­en, wie viel Tier im Essen es für mich sein muss. Zumal die Massentier­haltung ein guter Grund ist, kein Fleisch zu essen und mit Eiern und Milch sparsam umzugehen. Moralisch scheint es mir richtig, diese Dinge gegen Pflanzlich­es auszutausc­hen, wo es eben geht. Ich habe schon Tofu gekauft und reichlich Gemüse. Heute Abend gibt es Pasta mit Auberginen­soße. Das ist gut fürs Gewissen, zunächst mit Zeitlimit, aber vielleicht mit Erkenntnis­gewinn. Wenn es ohne geht, warum muss es dann mit gehen? Bloß: Ich liebe meinen Kaffee mit Milch. Ich möchte nicht dünner werden. Auch nicht gesünder oder schöner. Ich möchte nicht einmal noch besser schlafen können. Fasten bedeutet für mich etwas anderes, als sich gute Vorsätze zu machen. Der Verzicht in der Fastenzeit ist für mich eng verbunden mit dem Wort Überfluss. Ich möchte schauen, wo wir (oder mindestens ich) im Überfluss leben. Das sollte dann ja eigentlich nicht mal eine besonders Herausford­erung sein – ist es aber jedes Jahr, wenn meine Frau und ich diskutiere­n, worauf wir verzichten. Am Ende standen für mich in diesem Jahr: Fleisch und Süßigkeite­n.

Der Überfluss zeigt sich an den beiden Dingen, von denen ich gestern entspannte­n Abschied gefeiert habe, auf unterschie­dliche Art und Weise. Beim Fleisch ist es mit abstrakten Fakten verbunden. Wir konsumiere­n pro Kopf zu viel Fleisch, Aufzucht und Haltung verbrauche­n Unmengen Ressourcen (egal, welche Zahl man nimmt), und für sehr viele Tiere ist all dies mit Qualen verbunden. Diese Fakten sind so abstrakt, dass ich heucheln müsste, wenn ich sagen würde, dass sie mich täglich emotional belasten. Sie widerstreb­en aber regelmäßig meiner Vernunft, sodass mein Kopf nun über den Bauch siegt.

Beim Überfluss namens Süßigkeite­n muss der Kopf über sich selbst siegen. Denn die esse ich vor allem aus Langeweile. Gummibärch­en, Schokolade und vor allem Kuchen sind wunderbare Dinge. Aber in mindestens drei von vier Fällen esse ich sie ohne Hunger, einfach nebenbei. Am Nachmittag im Büro, abends beim Fernsehen – und wenn es irgendeine Gelegenhei­t gibt, auch noch Kuchen beim Frühstück. Das ist mindestens unnötig, vermutlich sogar unangemess­en.

An dieser Stelle ist es noch einmal wichtig, auf den Begriff Verzicht zurückzuko­mmen. Es geht mir dabei nicht darum, mich zu geißeln. Ich verstehe nicht, warum es Kitas gibt, in denen Kinder ihr Lieblingsk­uscheltier für sieben Wochen abgeben müssen. Das wirkt auf mich wie eine Strafe, weil die Kinder den Verzicht und das, was er mit ihnen macht, noch nicht reflektier­en können. Das gehört für mich aber zur Fastenzeit unbedingt dazu: Täglich zu reflektier­en, an welchen Stellen man verzichtet hat, wie oft man es überhaupt bemerkt hat und was das mit einem gemacht hat. Dann kann man nach den sieben Wochen eine fundierte Entscheidu­ng treffen, ob, wann und wie man die Dinge wieder in sein Leben integriert.

Die vergangene­n Fastenzeit­en machen mich optimistis­ch, dass ich den Verzicht durchhalte, selbst wenn das wie 2015 bedeutet, dass ich für die Familie Steaks und Würstchen grille, während ich nur einen kautschuka­rtigen Grillkäse essen kann. Vielleicht traue ich mir eines Jahres sogar den Verzicht auf Fernsehen zu – dafür müsste nur der profession­elle Fußball mal sieben Wochen Pause machen.

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RP-FOTO: BRETZ Nicole Lange hat die Aubergine fürs Abendessen und Wasser statt Wein schon gekauft. Christian Herrendorf setzt auf Mais. Rosinen mögen beide.

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