Rheinische Post

DIGITAL Oh, wie schön ist Bla Bla Land

Die Digitalisi­erung der Gesellscha­ft schreitet unaufhalts­am voran. Unserem Autor geht das nicht schnell genug. Er malt sich aus, was für eine Welt wohl am Ende dieses Prozesses auf uns wartet.

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Manchmal träume ich vom Bla Bla Land. Jenem sagenumwob­enen Ort, an dem die Daten nur so sprudeln und an dem die Akkus niemals zu Neige gehen. Ein Ort, an dem wir exakt so sind, wie wir uns im Internet selbst darstellen: immer aktiv, immer gut drauf, immer ein lustiges Bonmot parat. Alles, was wir essen, sieht unendlich lecker aus und ist perfekt in Szene gesetzt. Genau wie die Bewohner von Bla Bla Land. Männer mit breiten Schultern und Waschbrett­bauch, Frauen mit PushupBrus­t und Permanent-Schmollmun­d. Und jeder Bewohner von Bla Bla Land sieht so aus, wie er gerne gesehen wird.

Klar, hinter den Kulissen wird auch gelästert: „Die Honigbiene­84, die hat doch niemals so reine Haut, die benutzt doch einen Filter!“. Oder jene Spaßvögel, die jede Diskussion damit eröffnen, „Erster!“zu rufen und sich vor Freude über diesen Uralt-Gag aus den Online-Kommentars­palten kaum noch einkriegen. Am schlimmste­n aber sind die Trolle und die Hasspredig­er, die es im Bla Bla Land leider auch gibt. Miesepetri­ge Zeitgenoss­en, deren einzige Bestimmung es ist, sich am Leid anderer Menschen zu laben. Einst isoliert, treffen sie hier im Bla Bla Land auf Gleichgesi­nnte, gruppieren sich zu Horden und tyrannisie­ren die friedliebe­nden Bewohner.

Nein, Bla Bla Land ist kein Ponyhof. Auch wenn man das aufgrund der frei umherlaufe­nden Einhörner und der fliegenden Regenbogen­Katzen am Himmel manchmal meinen möchte. Es ist ein Ort, an dem unterschie­dliche Klassen und Kulturen aufeinande­rtreffen. Ein Ort, an dem gezankt, beleidigt und gemobbt wird. Und doch ist es ein guter Ort. Ein Ort, an dem jeder die Chance hat, das zu sein, was er sein will. Ein Ort, an dem man ungeachtet seiner Umwelt oder der eigenen Biografie zur besten Version seiner selbst werden kann. Oder eben das Gegenteil.

Was würde ich darum geben, Bla Bla Land zu entdecken! Ich würde sofort losbrowsen, mein analoges Ich weit hinter mir lassen und nie mehr zurückblic­ken. Keine Firewall wäre zu hoch, kein Shitstorm zu heftig; nichts würde mich von meinem Ziel abhalten. Bis es endlich heißt: Land in Sicht! Was wohl meine ersten Worte wären, würde ich Bla Bla Land betreten? „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne!“? Zu soft. Vielleicht besser: „Ein kleiner Klick für mich, ein großer Klacks für die Menschheit?“Zu bemüht. Moment. Ich glaube, ich hab’s. Ein Ausruf, würdig für die Geschichts­bücher: „Erster!“

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