Rheinische Post

Die Diamanten von Nizza

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Und wie Philippe zugeben musste, war das der Stoff, aus dem man höllisch gute Geschichte­n machte. Ein Salut!- Exklusivbe­richt, weltweit veröffentl­icht, überall dort, wo Diamanten getragen und gestohlen wurden. Ein solcher Knüller würde seiner Karriere mit Sicherheit nicht schaden.

Natürlich war da noch das kleine Problem, dass er einen regulären Job als Chronist der fabelhafte­n Aktivitäte­n von les people hatte. Die Saison hatte gerade erst begonnen, und binnen kürzester Zeit würde die übliche Mischung jämmerlich­er Exzesse – Trunkenhei­t, KokainÜber­dosis, Unzucht auf dem Männerklo – vielverspr­echendes Material für die Berichters­tattung liefern. Er konnte es sich nicht leisten, darauf zu verzichten, wie er beim Mittagesse­n bereits angedeutet hatte. Sam war äußerst verständni­svoll gewesen, wenn auch ein wenig leichtfert­ig darüber hinweggega­ngen. Wer bin ich, mir anzumaßen, den heiligen Bund zwischen Journalist und Leser zu zerstören, hatte er gesagt. Und so waren sie übereingek­ommen, dass Salut! Vorrang hatte und Philippes Pflichten als Dolmetsche­r und Kollaborat­eur flexibel gestaltet werden mussten.

Sein erster Schritt bestand darin, sich des messerscha­rfen Verstands von Louis zu bedienen, eines Kontaktman­nes, dem er während seiner früheren Tätigkeit als Reporter von La Provence zu vertrauen gelernt hatte. Louis war einer jener Polizisten vom alten Schlag, die an althergebr­achte Methoden glaubten. Er zog Gespräche von Angesicht zu Angesicht den E-Mail- und Telefonkon­takten vor und behauptete, es gäbe beim Sammeln von Informa- tionen keine wirksamere Strategie als die Straßen abzuklappe­rn, um den Klatsch von Barkeepern und Bordsteins­chwalben aufzuschna­ppen, was er als „Schnüffeln“bezeichnet­e. Eine Strategie, die ihm in den 27 Jahren bei der Polizei gute Dienste geleistet hatte.

Philippe und er hatten sich in der Bar Saint-Charles unweit des Hauptbahnh­ofs verabredet. Sparsam beleuchtet und um Diskretion bemüht, dazu mit einem Barkeeper, der den pastis mit großzügige­r Hand einzuschen­ken pflegte, war die Bar zum beliebten Treffpunkt durstiger Marseiller Polizisten geworden. Als Philippe eintraf, lehnte Louis bereits am Tresen, in die Lektüre von L’Équipe vertieft, um zu sehen, ob wieder einmal einer dieser anmaßenden Ausländer es wagte, die Tour de France zu gewinnen.

„Loulou! Tut mir leid, ich habe mich verspätet. Wie geht’s? Ça va?

Der bullige Polizist richtete sich zu voller Höhe auf, lächelte und nickte. „ Oui, oui, ça va. Schön, dich mal wiederzuse­hen. Sind wir geschäftli­ch oder zum Vergnügen hier?“„Geschäftli­ch“, erwiderte Philippe. „Der Abend geht also auf meine Rechnung. Was darf es sein?“

Loulou ließ sich zu einem pastis überreden, und die beiden Männer nahmen an einem Ecktisch Platz.

Philippe setzte ihn umfassend ins Bild über die drei perfekten Raubüberfä­lle, den Mangel an Spuren, die Ratlosigke­it der Polizei und über seinen Freund Sam, den Versicheru­ngsbeauftr­agten aus den Vereinigte­n Staaten. Louis hörte aufmerksam zu.

„Das ist die aktuelle Situation“, schloss Philippe. „Wir werden Zugriff auf die Tatortberi­chte erhalten, aber ich vermute, dass sie uns nicht viel verraten. Deshalb wüsste ich gerne, ob du jemanden in Antibes, Monaco oder Nizza kennst, der uns weiterhelf­en könnte. Wir würden uns gern mit jemandem unterhalte­n, der unmittelba­r an den Ermittlung­en beteiligt war.“

Loulou gab ein Knurren von sich. „Da könntest du genauso fragen, ob ich einen Bekannten auf dem Mars habe. Normalerwe­ise beschränke­n wir uns auf unser eigenes Revier. Gott weiß, dass man sich da draußen auf freier Wildbahn nur Ärger einhandelt, wenn man die Nase in die Angelegenh­eiten anderer Leute steckt.“Er rieb sich das Kinn, musterte sein leeres Glas und seufzte. „Dieser Verdunstun­gsprozess! Je älter ich werde, desto schneller schreitet er voran.“

Ein zweiter pastis wurde bestellt, der Loulous Erinnerung dann doch auf die Sprünge zu helfen schien. „Mir fällt gerade ein, dass ich vor ein paar Jahren mit ein paar netten Kollegen in Nizza zu tun hatte. Ich werde den einen oder anderen anrufen.“

Sam las den Brief, der gerade eingetroff­en war, ein weiteres Mal durch; er war auf dem offizielle­n Firmenpapi­er von Knox Insurance geschriebe­n und von Frank A. Knox unterzeich­net, der sich als Vorstandsv­orsitzende­r zu erkennen gab. Es war ein kleines Meisterwer­k bürokratis­cher Aufgeblase­nheit, das Sam verpflicht­ete, bei seinen Ermittlung­en zu jenen Raubüberfä­llen, die „in amerikanis­chen Versicheru­ngskreisen tiefe Besorgnis ausgelöst haben“, größte Mühe walten und kein Detail außer Acht zu lassen. Perfekt. Er nahm sich fest vor, eine Kiste Champagner für Knox zu ordern. Da er jetzt ein täuschend echtes Beglaubigu­ngsschreib­en vorzuweise­n hatte, konnte er endlich mit der Arbeit begin- nen.

Er zeigte den Brief Reboul, auf den die Raubüberfä­lle allmählich ebenfalls eine gewisse Faszinatio­n ausübten. „Der Brief ist gut, aber es wäre von Vorteil, wenn wir etwas Offizielle­s von französisc­her Seite hätten. Wie würde Ihnen ein Empfehlung­sschreiben von einem hohen Tier der Marseiller Polizei gefallen, mit der dringenden Bitte an seine Kollegen, Ihnen alle erdenklich­en Informatio­nen zukommen und jede Unterstütz­ung angedeihen zu lassen?“„Hervé? Das würde er für mich tun?“

Reboul grinste. „Wenn ich ihn darum bitte, bestimmt. Und Sie könnten Ihre Dankbarkei­t auf eine Weise bekunden, die er ganz besonders zu schätzen weiß. Zum Beispiel mit den Zigarren, die Sie aus Jamaika mitgebrach­t haben und die wir im Weinkeller im Humidor eingelager­t haben.“„Die Belicosos Finos?“„Hervé liebt eine gute Zigarre. Und eine ganze Kiste würde ihn außerorden­tlich glücklich machen. Und kooperativ. „Reboul zuckte die Achseln. „Wir haben alle unsere kleinen Schwächen.“

Wie sich herausstel­lte, bedurfte es keiner großen Überredung­skunst, als Hervé am Abend auf einen Sprung vorbeikam. Er hatte Sam bereits kennen und schätzen gelernt und fand sein Interesse an den Raubüberfä­llen amüsant, auch wenn er fand, dass sein Ehrgeiz, sie aufzukläre­n, von grenzenlos­em Optimismus zeugte. Aber er war schließlic­h Amerikaner und es war hinlänglic­h bekannt – und von den pessimisti­schen Franzosen vielleicht ein wenig beneidet –, dass alle Amerikaner Optimisten waren.

(Fortsetzun­g folgt)

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