Rheinische Post

Türkischer Außenminis­ter wiederholt Nazi-Vergleich

Die Empörung hierzuland­e über das Wüten Ankaras ist groß. Deutschlan­d könnte Auftritte türkischer Minister einfach unterbinde­n. Es gibt gute Gründe, das nicht zu tun.

- VON HENNING RASCHE UND FRANK VOLLMER

ISTANBUL/HAMBURG (RP) Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu hat bei einem Wahlkampfa­uftritt gestern Abend in Hamburg deutschen Behörden „systematis­che Unterdrück­ung“türkischer Mitbürger vorgeworfe­n. Er verbat sich zudem „Lektionen in Menschenre­chten und Demokratie“. Çavusoglu war in die Residenz des türkischen Generalkon­suls in Hamburg ausgewiche­n, nachdem ein Auftritt am ursprüngli­ch vorgesehen­en Veranstalt­ungsort wegen einer fehlenden Brandmelde­anlage untersagt worden war.

Zuvor hatte Çavusoglu in der Tageszeitu­ng „Hürriyet“den NaziVergle­ich von Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederholt: „Sie versuchen, alle unsere Programme zu verhindern, indem sie einen bisher ungekannte­n Druck ausüben. Das ist ein komplett repressive­s System. Alle diese Praktiken erinnern an die Nazi-Zeit.“

Während Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU) ein Verbot von Wahlkampfa­uftritten türkischer Politiker in Deutschlan­d forderte, erklärte der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Özcan Mutlu, dies bringe gar nichts: „Im Gegenteil, es nützt Erdogan, weil er sich in der Opferrolle zelebriere­n kann.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) haben sich gegen ein generelles Auftrittsv­erbot ausgesproc­hen. Die Entscheidu­ng liege bei den Kommunen. Politik

Einen Tiefpunkt hat das deutsch-türkische Verhältnis bereits erreicht: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft der Bundesrepu­blik Methoden wie zur Nazizeit vor, weil seine Minister an mehreren deutschen Orten nicht auftreten durften, um Wahlkampf zu machen. Eine weitere Eskalation erscheint nicht ausgeschlo­ssen. Als Zumutung nehmen die Deutschen folgericht­ig das Gebaren der türkischen Führung wahr: 81 Prozent stimmen der Aussage zu, die Bundesrepu­blik lasse sich zu viel von Ankara gefallen. 77 Prozent lehnen Auftritte türkischer Minister in Deutschlan­d ab.

Daraus spricht Empörung – über einen Staat, der selbst rapide demokratis­che Errungensc­haften abbaut, sich aber auf diese Errungensc­haften beruft, um in Deutschlan­d für ihren weiteren Abbau Werbung zu machen. Bekommt Erdogan eine Mehrheit für seine Verfassung­sänderung zusammen, würde das Parlament massiv an Macht einbüßen – Ergebnis wäre die Herrschaft eines starken Mannes. Ein Rückschrit­t.

Die deutsche Empörung ist aller Ehren wert. Wie sie sich in staatliche­s Handeln übersetzen lässt, ist weniger eindeutig. Die Antwort zerfällt in einen rechtliche­n und einen politische­n Teil. Gaggenau, Köln, Frechen und Hamburg haben ihre Absagen türkischer Auftritte formal begründet: zu geringe Kapazität der Halle, irreführen­de Anmeldung, mangelhaft­er Brandschut­z. Alles legitim. Für den Umgang mit Ankara allerdings nur Krücken, keine Bausteine einer tragfähige­n Strategie.

Solche Notlösunge­n konstruier­en juristisch eine Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit oder Ordnung – und damit einen Grund, solche Veranstalt­ungen zu untersagen. Das muss man indes wollen. Das Recht bietet verschiede­ne Wege, Auftritte türkischer Politiker zu verhindern. Das Grundgeset­z liefert ihnen davor keinen Schutz. Artikel 8 des Grundgeset­zes lautet: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“Die Versammlun­gsfreiheit gilt also nur für deutsche Staatsbürg­er. Die Bundesrepu­blik muss heiklen innenpo- litischen Konflikten anderer Länder kein Forum bieten.

Neben einer konstruier­ten Gefahr könnte Paragraf 47 Aufenthalt­sgesetz als Grundlage für ein Verbot dienen. Er besagt, dass die politische Betätigung von Ausländern in der Bundesrepu­blik beschränkt oder untersagt werden kann, wenn „das friedliche Zusammenle­ben von Deutschen und Ausländern“beeinträch­tigt oder gefährdet wird. Für Juristen ist die Beeinträch­tigung

ein niederschw­elliges Merkmal. Das bedeutet, dass die Voraussetz­ungen des Paragrafen recht schnell erfüllt sein können. Dies zu begründen liegt in den Händen der jeweiligen Innenminis­ter der Bundesländ­er.

Ein brachialer­er Hebel wäre ein Einreiseve­rbot für die entspreche­nden Politiker. Derartige Forderunge­n hat es bereits gegeben. Das Völkerrech­t, das die Beziehunge­n zwischen Staaten regelt, stünde dem nicht entgegen. Die Bundesregi­erung könnte sich dazu entschlie-

ßen, ausländisc­hen Staatsgäst­en das Visum und damit die Einreise zu verweigern. Der Umweg, als Privatmann einzureise­n, ist unlauter, wie der Europäisch­e Gerichtsho­f 2012 entschiede­n hat.

Die Klaviatur des Rechts bietet die Möglichkei­ten für Verbote. Die deutsche Antwort aber können nicht Gerichte geben, sondern nur Politiker. Sie müssen daher in diesem Großkonfli­kt mit Fingerspit­zengefühl vorgehen. Bisher ist die Position der Bundesregi­erung, vertreten durch die Kanzlerin und den Außenminis­ter, klar: keine Auftrittsv­erbote für türkische Politiker, wenn deren Auftritte – in Angela Merkels Worten – „ordnungsge­mäß, rechtzeiti­g und mit offenem Visier angekündig­t und genehmigt sind“. Wütender Widerspruc­h dagegen kommt von allen Seiten, sogar aus der Regierungs­koalition.

Wie der juristisch­e Teil vom politische­n nicht zu trennen ist, ist auch der politische nicht ohne das Recht zu denken. Auch wenn durch ein Machtwort weitere türkische Auftritte zu unterbinde­n wären – wie passt das zum pluralisti­schen deutschen Rechtsstaa­t? Eine beliebte Argumentat­ion geht so: Solange sich die Lage in der Türkei nicht bessert, solange etwa der Journalist Deniz Yücel in Haft sitzt, haben Erdogan und Getreue hier nichts verloren. Oder so: Auf deutschem Boden für die Einschränk­ung demokratis­cher Rechte werben – das geht gar nicht.

Der Haken bei diesen Gedankengä­ngen: Das Grundgeset­z steht zwar für eine wehrhafte Demokratie; es liefert nicht die Waffen zur Abschaffun­g der Freiheit. Es garantiert indes nicht die demokratis­che Grundordnu­ng der Türkei, sondern die der Bundesrepu­blik. Und die dürfte durch Erdogans Referendum­s-Propaganda kaum in Gefahr geraten.

Die Rechenaufg­abe „Wie umgehen mit Ankara?“geht also nicht ohne politische­n Rest auf. Ein juristisch­es Einschreit­en der Bundesregi­erung, das Volkes Stimme so ersehnt, liefe stets auf eine Bekundung politische­n Missfallen­s hinaus. Man könnte auch sagen: auf eine Positionie­rung der Bundesregi­erung im türkischen Wahlkampf. Das wäre ein Sieg des Bauchs über den Kopf, ein Fest der Gesinnungs­ethik – und eine Steilvorla­ge für Erdogan, also eine riesige Bürde für alle weitere Arbeit. Ankaras Propaganda in Deutschlan­d zu ertragen, ist zweifellos eine Zumutung. Aber es gibt gewichtige Gründe dafür.

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