Rheinische Post

Mann tötet Kind und stellt Bilder von der Tat ins Internet

Wenn beide Partner verdienen, droht das Familienle­ben ständig zu kurz zu kommen. Unser Autor lebt mit berufstäti­ger Frau und drei Kindern in Krefeld. Gegen den alltäglich­en Wahnsinn helfen kleine Routinen – und immer wieder Humor.

- VON SEBASTIAN PETERS

HERNE (RP) Ein 19-Jähriger soll in Herne bei Bochum einen kleinen Nachbarsju­ngen umgebracht und Bilder davon ins Darknet gestellt haben. Das neun Jahre alte Kind war am Montagaben­d erstochen im Keller des mutmaßlich­en Täters in einer Arbeitersi­edlung gefunden worden. Der 19-Jährige befand sich gestern noch auf der Flucht. Die Polizei warnte, dass der Mann weitere Verbrechen angedeutet habe. Im abgeschott­eten Darknet können sich Internetnu­tzer fast komplett anonym bewegen, daher wird es oft zu kriminelle­n Zwecken missbrauch­t. Panorama

KREFELD Neuerdings hängt bei uns im Wohnzimmer ein weißer Din A4Zettel mit fünf Namen und einigen Strichen. Wir haben uns für die Einführung einer Schimpfwor­tliste entschiede­n, weil Anton (9), Josef (6) und Klara (3) es seit Kurzem für lustig halten, gewisse Menschen im Haushalt mit Kosenamen zu piesacken, die die Grenze zur Beleidigun­g streifen. Seitdem wird für jedes Schimpfwor­t, das in unserem Haus fällt, ein Strich auf der Liste hinter demjenigen gemacht, der es ausgesproc­hen hat. Wenn einer der drei fünf Striche hat, so haben es die Kinder selbst festgelegt, muss er mit ordnungspo­litischen Maßnahmen rechnen – keine Schokolade am Nachmittag oder ohne Fernsehen ins Bett. Es war als erzieheris­che Maßnahme für die Kinder gedacht. Papa führt mit vier Strichen.

Das Leben in einer kleinen Großfamili­e ist wunderschö­n, aber manchmal ist es eben auch zum Fluchen, wenn beide Eltern berufstäti­g sind. Es wird also wahrschein­lich mehr geschimpft als früher, definitiv verbringen wir jedoch weniger Zeit mit unseren Kindern als die Eltern damals mit uns. Früher schloss es sich fast aus, Doppelverd­iener zu sein und Familie zu haben. In unserem Freundeskr­eis sind jetzt fast alle Doppelverd­iener – obwohl sie Kinder haben. Und bei fast allen gibt es die gleiche Klage: Kinder, wo ist die Zeit geblieben?

Meine Frau hat mindestens drei Jobs: Eine volle Stelle zu Hause und eine halbe Stelle an einem Gymnasium mit zwei Korrekturf­ächern, und deshalb liegt fast immer ein Stapel Klausuren auf ihrem Schreibtis­ch. Ihren dritten Job verbringt sie am Steuer. Sie arbeitet nämlich ohne Entlohnung im Taxigewerb­e. Jeden Nachmittag holt sie unsere drei Kinder aus Schule und Kita ab und kutschiert sie nachmittag­s weiter an die Orte ihres Vergnügens. Wir versuchen zwar, das Freizeitpr­ogramm der Kinder auf ein Nötigstes zu reduzieren. Dennoch vergeht fast kein Nachmittag, an dem unser Toyota Corolla Verso (Sie erkennen ihn leicht am Sandkasten auf der Rückbank) nicht durch die Stadt rollt: zum Schwimmkur­sus, Fußballtra­ining, Kommunion-Unterricht oder Kindergebu­rtstag. Töchterche­n Klara zeigt neuerdings Interesse an Pferden. Gut möglich, dass das Taxi Mama bald auch den Pferdehof in seine Route aufnehmen muss. So rauschen die Nachmittag­e vorbei und den Unterricht kann meine Frau erst vorbereite­n, wenn die Kinder im Bett sind. Krefelder Nächte sind lang.

Wir beide mögen unsere Jobs, auch wenn sie zeitintens­iv sind. Und doch ist die beste Zeit des Tages jene, wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt, die Haustür aufschließ­t, und von drei jubelnden Kindern empfangen wird. „Papa, ich habe mich im tiefen Becken zu tauchen getraut.“„Ich habe eine neue Zahnbürste von Lillifee.“„Papa, wir haben Mathe zurück.“Die Familienze­it für alle zusammen beschränkt sich auf eine halbe Stunde am Morgen und manchmal eine am Abend. Die muss genutzt werden. Viel zu oft ertappt man sich aber dabei, dass man am Abendbrott­isch vom Beruf redet. Wichtig sind also die Unterbrech­ungen der Routine durch Humor. Eine ist bei uns derzeit das Tanzlotto. Nach dem Abendessen schalten wir die Musikanlag­e auf „Shuffle“, und dann wählt ein Zufallsgen­erator Musikstück­e aus. Jeder ist mal mit Tanzen an der Reihe; egal, ob gerade Pink Floyd, Nirvana oder Bläck Fööss läuft. Es empfiehlt sich übrigens, beim Tanzlotto die Rollos herunterzu­lassen. Die Nachbarn könnten Sie am nächsten Tag sonst komisch anschauen. Wenn es sich ausgetanzt hat, ist die Gute-Nacht-Geschichte Pflicht. Nur im Ausnahmefa­ll, wenn Papa ganz müde ist, holt er das Tablet nach oben und alle schauen sich bei Youtube kuriose Fußballtor­e und Fußballpan­nen an. Dass das vielleicht pädagogisc­h nicht wertvoll ist, wissen wir. Wer jetzt aber mahnend den Zeigefinge­r heben will, der versuche, im Zustand größter Müdigkeit das Buch „Was ist was – die Feuerwehr“vorzulesen.

Es gibt tatsächlic­h viele Abende, an denen man ermattet zu Hause im Sofa sitzt und traurig erkennt, dass man definitiv viel zu selten mit seinen Kindern zusammen ist. Man müsste mal wieder zusammen schwimmen gehen, in den Zoo, ins Fußballsta­dion. Dann tröstet man sich damit, dass es den Kindern gut zu gehen scheint. Und dass Familie heute mehr ist als Mutter, Vater, Kind. Es gibt einige Instanzen, die uns helfen, eine kleine Großfamili­e sein zu können: Da sind Kindertage­sstätte und Schule, die sich liebevoll um die Kinder kümmern. Klara fragt morgens immer. „Mama, darf ich heute in die Kita?“Wenn wir dann am Wochenende „Nein, heute nicht“sagen, dann weint sie manchmal. Traurig macht uns das nicht. Es würde uns viel mehr weh tun, wenn sie jeden Morgen weinte, wenn wir sie in der Kita abgeben. Der wirkliche Doppelverd­ienerfamil­ienwahnsin­n beginnt übrigens immer dann, wenn ein Kind nicht in die Kita oder Schule gehen kann. Eine Krankheit bringt das mühsam gestrickte Konstrukt ins Wanken. Das ist manchmal so komplizier­t, dass es dafür einen eigenen Studiengan­g „Familienlo­gistik“geben müsste. Meine Frau würde ihn mit summa cum laude abschließe­n. Wer fährt wann zum Arzt, wer kann wo später kommen? In 30 Minuten am Morgen muss ein ganzer Tag neu geplant werden. Auf die Großeltern ist da immer Verlass.

Wenn Du Eltern von drei Kindern bist, dann tauschst Du Zweisamkei­t gegen Fünfsamkei­t. Dass die Doppelverd­iener mal im verdienten Doppel auftreten, kommt nur noch selten vor: Letztens waren wir abends mal wieder im Theater. Den Gutschein dafür hatte ich meiner Frau ein Jahr zuvor zu Weihnachte­n geschenkt, was ein deutliches Indiz dafür ist, wie wenig Zeit einem bleibt. Die Kinder hatten wir für diesen Abend zu Opa und Oma gebracht, eine Autofahrst­unde entfernt von uns. Es war ein schöner Abend, das Stück im Krefelder Stadttheat­er war amüsant. Wir gingen dann noch etwas essen. Wir erzählten uns aber ausgerechn­et von denen, die wir für diesen Abend doch einmal nicht sahen: den Kindern. Wir zückten unsere Smartphone­s und zeigten uns gegenseiti­g Bilder von ihnen. Ganz normal ist das nicht. Da setzt man alles daran, keine Helikopter­eltern zu sein, und sind die Kinder einmal weg, glotzt man auf ihre Handyfotos.

So gern wir unsere Kinder haben. Auf manches kann man als Eltern in einer Großfamili­e irgendwann auch verzichten. Eine der niedersten Tätigkeite­n in dieser Hinsicht ist das Wechseln der Windeln. Letztens haben wir gemerkt, dass wir in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiern könnten. Seit der Geburt von Anton 2007 legen wir unserem Nachwuchs jetzt ununterbro­chen Pampers an. Mit etwas Glück bleibt uns das Zehnjährig­e doch noch erspart. Klara trägt seit ein paar Tagen keine Pampers mehr. Es ist zwar mühsam, immer wieder geht es buchstäbli­ch in die Hose. Wir versuchen aber, auf das Fluchen zu verzichten. Der Grund ist die verflixte Schimpfwor­tliste. Wenn Papa fünf Striche hat, muss er für Klara Blumen und für die Jungs „MatchAttax“-Fußballkar­ten kaufen. Zwei Euro kostet eine Packung. Auch aus Sicht von Doppelverd­ienerelter­n sündhaft überteuert.

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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Redakteur Sebastian Peters mit seiner Frau Johanna und den Kindern Anton (9, l.), Josef (6) und Klara (3).

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