Rheinische Post

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Frauen stehen viele Lebensmode­lle offen. Frei in ihrer Wahl sind sie dennoch nicht, denn es gibt mächtige Vorstellun­gen in der Gesellscha­ft, welche Rollen erwünscht sind. Kinderlosi­gkeit etwa gilt noch immer als Mangel.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Frauen jenseits der 30, die keine Kinder bekommen, kennen diesen Satz: Du wirst es bereuen! Manchmal hören sie ihn direkt ausgesproc­hen von Menschen, die ihnen nahestehen. Manchmal ist er nur die heimliche Botschaft in scheinbar harmlosen Nachfragen. Etwa zur weiteren Lebensplan­ung: Wie lange seid ihr noch mal verheirate­t? Oder: Wie viele Zimmer hat das neue Haus? Manchmal liegt die Drohung auch nur in diesem „Du wirst schon sehen“-Blick.

Denn so vielfältig Lebensmode­lle von Frauen in Deutschlan­d auch geworden sind, die unterschie­dlichen Rollenmode­lle stehen keineswegs gleichwert­ig nebeneinan­der: Die Vater-MutterKind-Idylle ist immer noch das mächtige Ideal, wenn auch inzwischen angepasst an die Bedürfniss­e des modernen Arbeitsmar­kts. Natürlich ist die Mutter heute eine berufstäti­ge Frau, die sich die Familienar­beit selbstbewu­sst mit Partner oder Partnerin teilt. Doch gehalten hat sich die Vorstellun­g, dass ein wirklich erfülltes Leben nur gelingen kann, wenn eine Frau eben auch Mutter, ein Paar auch Eltern wird. Über Kleinkindb­etreuung, Arbeitszei­tmodelle und Ansprüche an die neuen Väter und flexiblen Mütter mag man streiten. Keine Kinder zu bekommen, gilt immer noch als Mangel, als Schicksals­schlag oder trauriger Entschluss. Du wirst es bereuen!

Bemerkensw­ert ist, dass es oft die Frauen selbst sind, die rigide urteilen. Mütter schimpfen über „Karrierefr­auen“, die keine Ahnung hätten, wie anstrengen­d ein Tag mit Kind wirklich ist. Frauen, die sich für ein Leben ohne Kind entscheide­n, lästern über LatteMacch­iato-Mamas, betonen, dass ein Leben zwischen Kita und Kinderkrem­pel wirklich nichts für sie wäre und die Teilzeit-Kolleginne­n nie da sind, wenn die Arbeit wirklich drängt.

Gerade wenn es um weibliche Rollenmode­lle geht, erscheint der Druck enorm, den eigenen Lebensweg zu rechtferti­gen. Und da verfallen auch Frauen leicht in das bekannte Schema: Alternativ­en abwerten, um sich selbst besser zu fühlen. Als gäbe es den einen goldenen Weg. Als könnten nicht viele verschiede­ne Formen, sein Leben anzunehmen und zu gestalten, nebeneinan­der bestehen.

Wie stark die Kräfte sind, die gerade in Frauenfrag­en bestehende Normen verteidige­n, zeigt sich gelegentli­ch, wenn Studien erscheinen, die gängigen Vorstellun­gen widersprec­hen. Etwa jene Befragung der israelisch­en Soziologin Orna Donath „Regretting Motherhood – Mutterscha­ft bereuen“, in der eine recht übersichtl­iche Anzahl an Frauen bekannte, dass sie ihre Kinder zwar lieben und auch nicht weggeben wollten – aber die Tatsache bereuten, welche bekommen zu haben.

Als die Studie erschien, wurde nicht etwa über unzureiche­nde Betreuungs­angebote, kinderfein­dliche Arbeitswel­ten oder aktivere Väter diskutiert, sondern darüber, ob Frauen unmütterli­che Gefühle haben dürfen. Und ob sie öffentlich eingestehe­n sollten, dass sie Frust, Überdruss, Sehnsucht nach einem selbstbest­immteren Leben empfinden. Sofort war von Jammermütt­ern die Rede, auch unter Frauen. Als müsse die Gesellscha­ft ein goldenes Mutterbild verteidige­n, an das sie selbst gar nicht glaubt. „Wir bereuen berufliche Entscheidu­ngen, wir bereuen Tattoos, Partner, Ehen – warum nicht auch die Entscheidu­ng für Kinder?“, fragte Donath in einem Interview. Da hatte man sie bereits mit Häme und Hassmails überschütt­et. Als seien Frauen schlechte Mütter, nur weil sie mit der gesellscha­ftlichen Rolle hadern, in die sie mit dem Ja zum Kind geraten sind.

Jahrzehnte des emanzipato­rischen Kampfes haben Frauen also eine neue Vielfalt möglicher sozialer Rollen eröffnet. Zugangssch­ranken etwa zu Studium und traditione­llen Männerberu­fen sind gefallen, aber in der Gesellscha­ft herrschen noch immer strikte Vorstellun­gen davon, was Frauen glücklich zu machen hat. Welche Rollen insgeheim erwünscht sind.

Das wird deutlich, wenn Kritik an Frauen in Führungspo­sitionen mit Hinweisen auf ihre Kinderlosi­gkeit garniert wird. Wie immer wieder bei Kanzlerin Angela Merkel. Da tritt die heimliche Überzeugun­g zutage, dass wirkliche Frauen Mütter sein sollten – glückliche Mütter, die eben nichts bereuen. Solche unausgespr­ochenen Erwartunge­n halten sich hartnäckig und sind schwer zu bekämpfen.

Besonders hart trifft das ungewollt kinderlose Frauen, die sich für ein Lebensmode­ll rechtferti­gen müssen, das sie gar nicht freiwillig gewählt haben – auch vor sich selbst. Viele von ihnen haben auch das Ideal verinnerli­cht, nur mit Kind erfüllt leben zu können. Die Fortpflanz­ungsmedizi­n mit Angeboten wie dem Tieffriere­n von Eizellen, dem sogenannte­n Social Freezing, und neuen Methoden der Kinderwuns­chbehandlu­ng fördert ja die Vorstellun­g, dass im Prinzip jeder sich seinen Kindertrau­m erfüllen kann. So erstarkt das Bewusstsei­n, dass Fortpflanz­ung dazugehört, dass sich Frau also nur als Mutter ganz selbstverw­irklichen kann. Wenn es dann doch nicht klappt, bricht für die Betroffene­n eine Welt zusammen. Sie fühlen sich minderwert­ig, wenden all die Erwartunge­n der schrumpfen­den Wohlstands­gesellscha­ft gegen sich selbst. Private Erfüllung erscheint ihnen unerreichb­ar, und sie beschuldig­en sich selbst, der Gesellscha­ft ihren Beitrag zur Zukunft schuldig zu bleiben. „Ich bin oft erschütter­t, wie gnadenlos betroffene Frauen mit sich selbst sprechen“, sagt Franziska Ferber, die sich als Systemisch­er Coach auf die Begleitung von Frauen und Paaren mit unerfüllte­m Kinderwuns­ch spezialisi­ert hat. „Wenn der enorme innere Druck sich dann in Tränen Bahn bricht, nennen sie sich selbst etwa ,Heulsuse’.“In einer Gesellscha­ft, in der Menschen häufig in Konkurrenz­situatione­n bestehen müssen, werde viel verglichen und gewertet statt beobachtet. „Frauen empfinden andere Lebenswege sofort als Abwertung des eigenen“, sagt Ferber. Darin spiegele sich die Angst vor Andersarti­gkeit. „Alles, was außerhalb der Norm liegt, ist unberechen­bar – und damit eine potenziell­e Gefahr.“

Vielleicht ist es an der Zeit für einen neuen Frauenkamp­f: den Kampf gegen unterschwe­llige Erwartunge­n, gegen den gläsernen Feind der unausgespr­ochenen Urteile. Erst wenn Frauen sich nicht mehr minderwert­ig fühlen müssen, egal in welche soziale Rolle das Leben sie trägt, wären sie wirklich befreit. Erst dann würden auch die überzogene­n Vorstellun­gen von Mutterglüc­k wieder auf ein realistisc­hes Maß schrumpfen. Denn je mehr das Kinderkrie­gen überhöht wird, desto größer ist die Gefahr, dass Menschen aus falschen Gründen Eltern werden: wenn es in der Beziehung hakt, wenn es im Job nicht weitergeht, wenn alle anderen auch Kinder bekommen.

Frauen, die ohne eigene Kinder leben, ob freiwillig oder nicht, müssen häufig noch beweisen, dass sich ihr Leben „trotzdem lohnt“. Unter dem Schlagwort „Otherhood“(Anderssein) erzählen solche Frauen in den sozialen Netzwerken, wie glücklich sie als Tante sind, wie sie ihren Freundeskr­eis pflegen, sich sozial engagieren, politisch aktiv sind und wie sie alt werden wollen, ohne Einsamkeit zu fürchten. Diese Lebensbesc­hreibungen sind meist im Ton der Selbstvert­eidigung verfasst. Noch hat die Gesellscha­ft nicht wirklich gelernt, Ambivalenz auszuhalte­n. Noch hat sie nicht verstanden, dass es viele Möglichkei­ten gibt zu leben, zu lieben und geliebt zu werden. Für dieses Recht der Selbstbest­immung sollten Frauen eintreten – indem sie aufhören zu urteilen. Über andere und über sich selbst.

„Ich bin oft erschütter­t, wie gnadenlos ungewollt kinderlose Frauen über sich selbst reden“Franziska Ferber Coach

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