Rheinische Post

Frankreich­s Babyboom

Ein breites Angebot von Betreuungs­möglichkei­ten hilft Müttern und Vätern.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Umweltmini­sterin und Mutter von vier kleinen Kindern: Ségolène Royal zeigte, wie es geht. Die französisc­he Politikeri­n lud am 2. Juli 1992 sogar die Fernsehnac­hrichten ins Krankenhau­s, um sich einen Tag nach der Geburt zusammen mit ihrer jüngsten Tochter Flora zu zeigen. „Ich mache das auch, um mich für die Sache der Frauen einzusetze­n“, verteidigt­e die Sozialisti­n damals ihren ungewöhnli­chen Schritt. Royal ist eine Vorzeigefr­anzösin, wenn es um die Vereinbark­eit von Familie und Beruf geht, denn ihre vier Kinder hinderten sie nicht daran, Karriere zu machen. Dabei profitiert­e sie auch von dem guten Kinderbetr­euungssyst­em.

Frankreich ist regelmäßig EU-Spitzenrei­ter bei der Geburtenra­te, während Deutschlan­d mit 1,5 Kindern im Mittelfeld rangiert. Doch sind die zwei Kinder pro Frau, die Frankreich 2014 noch zählte, inzwischen Vergangenh­eit. Der Wert lag im vergangene­n Jahr bei 1,93 Kindern und damit auf dem tiefsten Stand seit 40 Jahren. Die Gründe: Lange Studienzei­ten, Schwierigk­eiten auf dem Ar- beitsmarkt und die wachsende Armut junger Erwachsene­r.

Doch auf seinen Babyboom ist Frankreich nach wie vor stolz: „Es sind die Hilfen bei der Kinderbetr­euung, die den Müttern die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ermögliche­n und unsere Fruchtbark­eit unterstütz­en“, bemerkte der Soziologe Olivier Thévenon vom Institut für Demographi­sche Studien Ined in der Zeitung „Le Monde“.

Die Betreuung fängt schon für die Babys an, die häufig mit drei Monaten in die Kinderkrip­pe kommen. So wie der kleine Lamine, der Sohn von Salomé Liebaut. Die 20-Jährige will demnächst eine Ausbildung anfangen und hofft, dann einen der seltenen Krippenplä­tze zu ergattern. „Anfangs wird es sicher schwierig, nicht mehr mit Lamine zusammen zu sein, aber ich habe keine Wahl“, sagt die junge Mutter, die ihr Kind zusammen mit ihrem ebenfalls 20jährigen Partner großzieht.

Das Paar bekommt Geld von der Familienka­sse CAF, eine Wohnungsbe­ihilfe sowie eine Unterstütz­ung für Eltern unter 25. Kindergeld wird in Frankreich erst ab dem zweiten Kind gezahlt. Die Betreuung ist allerdings für alle Kinder ab zwei Jahren gewährleis­tet: Sie können dann in die dem Kindergart­en ähnliche staatliche Vorschule gehen, die kostenlos ist und auf die ein Rechtsansp­ruch besteht. Es folgt die Grundschul­e, die grundsätzl­ich eine Ganztagssc­hule ist.

Für Mütter klingt das verlockend. Die Betreuung ist auch der Grund, weshalb deutlich mehr Französinn­en mit kleinen Kindern arbeiten als deutsche Frauen: Die Quote liegt für Mütter mit einem Kind unter sechs Jahren bei 80 Prozent, in Deutschlan­d bei 62 Prozent. Laut einer Allensbach-Umfrage sind 77 Prozent der Französinn­en mit Kindern unter 18 Jahren der Meinung, dass sich Familie und Beruf gut vereinbare­n lassen, aber nur 49 Prozent der Deutschen.

Allerdings ist die Kinderbetr­euung ebenso wie der Haushalt auch in Frankreich eher Frauensach­e. 65 Prozent der elterliche­n Arbeit bleibt laut Statistikb­ehörde INSEE an den Müttern hängen. Aber das Engagement der Väter nimmt zu: Um 50 Minuten pro Woche stieg die Zeit, die sie mit den Kindern verbringen, in den vergangene­n 35 Jahren.

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