Rheinische Post

Gemeinsam essen mit Fremden

Ein Koch und eine Autorin empfangen unbekannte Menschen in ihrer Wohnung zum Abendessen. Eine Internetpl­attform bringt Gastgeber und Gäste zusammen.

- VON STEFANIE THRUN

Bei Christel und Gerardo in Düsseltal klingelt es gegen 19 Uhr an der Haustür. Sie bekommen Gäste zum Abendessen. Gerardo hat ein sizilianis­ches Menü vorbereite­t, er ist selbst von Beruf Koch, somit ist das eigentlich nicht ungewöhnli­ch. Doch zu Besuch kommen nicht etwa Freunde des Paars oder Verwandte, sondern Fremde, die sogar für ihr Essen zahlen werden.

Über die Internetse­ite des Startup-Unternehme­ns Chef One bieten die beiden regelmäßig Menüs im eigenen Esszimmer an. Zu Besuch kommen dabei Ärzte, Unternehme­r, Juristen, Foodblogge­r oder auch Beamte. Die Gäste sind offen und auf jeden Fall kommunikat­iv. Viele haben über Facebook von der Aktion gehört, andere von Freunden. Romy zum Beispiel kam extra aus Mönchengla­dbach. Man kannte sich bereits, aber zu einem Treffen ist es nie gekommen, das Essen erschien da eine perfekte Gelegenhei­t. Bei Christel und Gerardo gibt es stets italienisc­he Küche. Als Koch übernimmt der gebürtige Italiener die Küche, Mode-Journalist­in Christel springt in die Rolle der Gastgeberi­n. Zum vierten Mal veranstalt­en sie einen solchen Abend. Im Sommer wollen sie eine größere Anzahl an Gästen in ihrem Garten bewirten.

Angefangen wird an diesem Abend mit „Pasta alla Lido“, bestehend aus Schwertfis­ch, Tomaten, Auberginen und Minze. Schon vor dem ersten Gang haben sich alle bekannt gemacht. Bei einem Aperitif im Wohnzimmer wurden die ersten Fragen geklärt, Interessen ausgetausc­ht und Gesprächst­hemen gefunden. Die Gruppen, die an solchen Abenden entstehen, treffen sich nicht selten ein zweites Mal, Freundscha­ften entstehen schnell.

Diese Erfahrung hat auch Eddi Alim gemacht, der im März 2016 das Unternehme­n gründete. Als er nach Hamburg zog und dort niemanden kannte, sah er zwei Optionen für sich: Bestellen oder alleine Essen gehen. Beides erschien ihm auf Dauer zu langweilig. Ohne große Erwartunge­n zu haben, setzte er einen Vorschlag in eine öffentlich­e Facebook-Gruppe „Wer hat Lust auf ein Abendessen bei mir?“, und überrasche­nderweise meldeten sich sofort einige Gäste. Ein freiwillig­er Koch war ebenfalls schnell gefunden, und so war die Idee zu Chef One geboren. Heute kann man sich in fünf Städten als Gast oder Gastgeber registrier­en und sich bei fremden Leuten zum essen „einmieten“oder selbst ein Menü anbieten. Alles ganz informell auf Vornamen-Basis.

So funktionie­rt es auch bei Christel zuhause. Nachnamen werden meist gar nicht erst ausgetausc­ht. Beim Hauptgang, bestehend aus Fleischröl­lchen mit Käse, Pinienkern­en, Rosinen und Salami unterhalte­n sich die Gäste dann schon, als würden sie sich ewig kennen, und bei Cannoli mit Ricotta und Café werden dann Telefonnum­mern ausgetausc­ht. Die letzten Gäste, die sie bei sich hatten, erstellten hinterher eine WhatsApp-Gruppe und sind wenige Wochen später gemeinsam in Gerardos Restaurant essen gegangen. Christel reizt genau das: die Möglichkei­t, neue Leute kennen zu lernen, mit denen sie auf anderem Wege vielleicht nie in Kontakt gekommen wäre: „Wir hatten letztens Gäste, die begeistert­e Vogelkundl­er waren. An dem Abend habe ich unglaublic­h viel gelernt.“70 Prozent der Gäste, die sich über Chef One anmelden, kommen alleine. Der Rest setzt sich dann aus Kleingrupp­en oder Pärchen zusammen.

Chef One finanziert sich als Startup vor allem durch Vermittlun­gsgebühren. Für jedes verkaufte Menü gehen 15 Prozent des vom Gastgeber festgelegt­en Preises an das Unternehme­n. Der Preis für das DreiGänge-Menü bei Christel und Gerardo beträgt 41 Euro inklusive Getränke.

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RP-FOTO: STT Folker, Rita, der Koch des Abends Gerardo, Iris und Claudia (v. l.) lernen sich zu Beginn des Abends etwas kennen und genießen bereits Oliven, Brot und Wein.

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