Turbo-Abi: Bürgermeister gegen ihre Parteien
CDU und SPD lehnen eine Komplett-Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium ab. Nicht alle Rathauschefs folgen dieser Linie.
DÜSSELDORF Eine Reihe von Bürgermeistern der Region hegt Sympathien für das Volksbegehren zur flächendeckenden Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9). Das ergab eine Umfrage unserer Redaktion. Die Zustimmung kommt aus beiden großen Parteien. Zu den Befürwortern gehört Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners (CDU). Er sagte: „Die gleichen Lerninhalte in acht statt neun Jahren zu vermitteln, bedeutet nicht nur mehr Lerndruck, sondern auch weniger Zeit für individuelle Aktivitäten außerhalb der Schule.“Er werde das Volksbegehren „bei nächster Gelegenheit“unterschreiben.
Noch bis 7. Juni liegen in den 396 NRW-Kommunen Listen aus. Unterstützer des Volksbegehrens können sich dort eintragen. Zudem darf die Initiative „G 9 jetzt“in eigener Regie ein Jahr lang Unterschriften sammeln. Das Begehren hat Erfolg, wenn acht Prozent der deutschen Stimmberechtigten unterschreiben – etwa 1,1 Millionen Menschen. Lehnt der Landtag dann den mit dem Volksbegehren verbundenen Gesetzentwurf ab, kommt es zu einem bindenden Volksentscheid.
Für G 9 ist auch der Moerser Bürgermeister Christoph Fleischhauer (CDU). „Als überzeugter Sportler, Vereinsmensch und Ehrenamtler begrüße ich eine längere Schulzeit“, sagte er bereits Anfang Februar, als er sich in die Listen eintrug. Zu den Unterzeichnern gehört außerdem der von der CDU aufgestellte Klaus Kleinenkuhnen aus Rheurdt im Kreis Kleve. Sein Kollege aus Brüggen im Kreis Viersen, Frank Gellen (CDU), sagte: „In NRW muss Schluss sein mit dem Hin und Her der Schuldiskussionen. Wenn die Initiative dazu beiträgt – klasse!“
Wermelskirchens Bürgermeister Rainer Bleek (SPD) beklagte „die Verdichtung des Schulalltags“. Deshalb werde er unterschreiben. Noch unentschieden, was eine Unterschrift angeht, ist sein Parteifreund aus Wegberg im Kreis Heinsberg, Michael Stock. „Nach meiner persönlichen Meinung ist G 8 gescheitert“, sagte er; die Ziele der Initiative könne er „in großen Teilen nachvollziehen“. Düsseldorfs Rathauschef Thomas Geisel (SPD) wollte sich nicht äußern. Er hatte allerdings 2014 Unterstützung für die Unterschriftensammlung gegen das „Turbo-Abi“bekundet.
Die Bürgermeister stellen sich damit gegen ihre Landesparteien – von den Parteien im Landtag unterstützen nur die Piraten „G 9 jetzt“. Die SPD favorisiert ein zweigleisiges Modell an jeder Schule mit einem G 8- und einem G 9-Zug; die CDU will die Schulen entscheiden lassen.
Andere Bürgermeister formulierten deutliche Ablehnung. Uwe Rich- rath (SPD) aus Leverkusen etwa kritisierte, die G 9-Initiatoren wollten zu „festen Strukturen eines Halbtagsgymnasiums“zurück. Sabine Anemüller (SPD) aus Viersen fürchtet, G 9 bestrafe die Schulen, die die verkürzte Gymnasialzeit gut umgesetzt hätten. Ähnlich äußerten sich die CDU-Rathauschefs aus Straelen, Geldern, Xanten und Weeze.
Marcus Hohenstein von „G 9 jetzt“zeigte sich erfreut: „Offenbar sind die Bürgermeister wirklich näher an den Bürgern als die Abgeordneten in Düsseldorf.“Hohenstein warf CDU und SPD vor, Druck auf ihre Mitglieder auszuüben: „Nur wer frei von landespolitischen Ambitionen ist, kann sich in einer solchen Umfrage ungefährdet äußern.“Leitartikel
„Nach meiner Meinung ist G 8 gescheitert“
Michael Stock (SPD) Bürgermeister von Wegberg
Natürlich ergibt die Bürgermeister-Umfrage zur Zukunft des Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen kein repräsentatives Bild. Sie zeigt aber eins: Die „große Lösung“, die flächendeckende Rückkehr zur neunjährigen Schulzeit, hat mittlerweile gewichtige Unterstützer sowohl in der CDU als auch in der SPD. Die Parteiführungen in Düsseldorf sollten gewarnt sein: Ihre mehr (SPD) oder weniger (CDU) ausgegorenen Konzepte, die beide Modelle zu versöhnen suchen, müssen sie auch den eigenen Leuten viel besser erklären – vom Volk ganz zu schweigen.
Die Sympathien für „G 9 für alle“machen aber diesen Weg nicht richtiger. Gerade den Kommunen sollte daran gelegen sein, ihre Gymnasien so weit wie möglich in Ruhe arbeiten zu lassen. Veränderungen muss es geben, denn G 8 ist nicht mehr akzeptiert. G 8 kann aber funktionieren; Hunderte Schulen beweisen das täglich. Niemand sollte sich etwas anderes einreden lassen, denn es ist schlicht nicht wahr.
All das in der gebotenen Deutlichkeit anzusprechen, erfordert angesichts des Meinungsbilds – große Mehrheiten wollen G 9 zurück – zweifellos politischen Mumm. Andererseits: Der anrollende Wahlkampf ist ja eine hervorragende Gelegenheit dafür.
BERICHT TURBO-ABI: BÜRGERMEISTER GEGEN . . ., TITELSEITE