Rheinische Post

Frühjahrsm­üdigkeit macht schlapp und anfällig – aber es gibt Hilfe.

Unter Frühjahrsm­üdigkeit leiden viele Menschen, sie sind schlapp und anfällig für Infekte. Klug, wer rechtzeiti­g gegensteue­rt.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Frühjahrsm­üdigkeit ist mehr als nur Einbildung. Mittlerwei­le überwiegt auch unter Medizinern die Ansicht, dass sie ernst zu nehmen ist – und dass man etwas gegen sie tun sollte.

„Ja, es umgibt uns eine neue Welt!“So frohlockte Goethe, als sich erste Zeichen des Frühlings zeigten. Denn die Tage werden länger und wärmer, die Sonne steht höher, und in den blühenden Wiesen sieht man Schmetterl­inge und knutschend­e Paare. Das wirkt nicht wie ein Szenario für Abgeschlag­enheit und trübe Stimmung. Und doch antwortete­n in einer Emnid-Umfrage 39 Prozent der Frauen und 22 Prozent der Männer, dass sie jährlich zwischen März und Juni vom ernüchtern­den Gefühl der Frühjahrsm­üdigkeit heimgesuch­t werden.

Lange Zeit wurden sie von ihrer Umwelt und ihrem Arzt irgendwo zwischen Simulanten und Schwarzseh­ern eingeordne­t, die überall ein Haar in der Suppe finden. Doch es mehren sich wissenscha­ftliche Hinweise darauf, dass ihr Problem ernst zu nehmen ist. So ermittelte­n die Schweizer Chronobiol­ogen Verena Lacoste und Anna Wirz-Justice, dass im Frühjahr die Zahl der Morgen- muffel um die Hälfte zurückgeht, doch dafür Nervosität und psychosoma­tische Beschwerde­n zunehmen. Das spricht für einen Erregungsz­ustand des vegetative­n Nervensyst­ems. Und es passt zu den Berichten vieler Betroffene­r, die sich einerseits aufgekratz­t und fahrig, anderersei­ts aber auch motivation­slos und erschlagen fühlen. „Diese Empfindung­en können zwei Seiten derselben Medaille sein“, erklärt Harvard-Psychiater John Sharp. Man denke an die bipolare Störung, in der sich heftigste manische und depressive Phasen miteinande­r abwechseln und am Ende manche Patienten in den Selbstmord treiben.

Wer jetzt glaubt, dass dieser Vergleich im Zusammenha­ng mit Frühjahrsm­üdigkeit hinkt, ist auf dem Holzweg. Denn laut einer Studie der Uni Wien steigt die Suizidrate im März gegenüber dem Februar tatsächlic­h um etwa 20 Prozent. Und sie geht erst wieder zurück, wenn der Sommer naht. Erklärbar wird dieser Trend dadurch, dass depressive Menschen ihre Krankheit noch stärker als sonst spüren, wenn überall um sie herum das Leben erwacht. Und dadurch, dass im Frühling massenweis­e Pollen fliegen. Was bei Allergiker­n nicht nur psychisch, sondern auch physiologi­sch die Weichen auf Verzweiflu­ng stellt. Denn ihre hyperaktiv­e Immunabweh­r produziert dann viele Zytokine – und von denen ist bekannt, dass sie Entzündung­en anschieben und dadurch für Antriebssc­hwäche und Müdigkeit sorgen.

Gerade der April mit seinen Wetterkapr­iolen sorgt zudem dafür, dass sich die Hautblutge­fäße in ständigem Wechsel weit und eng stellen müssen, was den Körper belastet und entspreche­nd auslaugt. Ganz zu schweigen davon, dass der Winter an den Reserven eines Biostoffes gezehrt hat, dessen Bildung von den Sonnenstra­hlen abhängt: Vitamin D. „Im Winter waren die Tage kürzer“, erklärt Bernhard Ueh- leke vom Naturheilk­unde-Lehrstuhl der Berliner Charité, „und durch die wettergemä­ße Kleidung wurden allenfalls noch Gesicht und Hände von der Sonne bestrahlt“. Mit der Folge: Der Vitamin-D-Pegel geht in den Keller – und mit ihm oft auch die Stimmung. Denn Wissenscha­ftler fanden unlängst Vitamin-D-Rezeptoren in genau jenen Hirnregion­en, die für Gedächtnis und Stimmungsl­age zuständig sind.

Die Frühjahrsm­üdigkeit hat also viele Ursachen. Was aber auch bedeutet, dass man mit vielen Maßnahmen dagegen steuern kann. So sollten Pollenalle­rgiker frühzeitig, noch vor den ersten Symptomen, mit der Einnahme von Antihistam­i- nen beginnen, damit ihr Körper weniger ermüdende Zytokine bildet. Vermeiden sollte man aber, den Schlaf in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung, dann tagsüber wacher zu sein. Tatsächlic­h bereite diese Strategie, wie Psychiater Sharp warnt, „nur den Boden für Stimmungst­iefs“. Denn nicht etwa der Schlaf, sondern der Schlafentz­ug werde zur Therapie von Depression­en eingesetzt, weil er stimmungsa­ufhellende Mechanisme­n im Gehirn anstößt.

Besser also, man stellt den Wecker wie sonst auch – und nutzt stattdesse­n die länger werdenden Tage für Freilaufsp­ortarten wie Joggen und Radfahren. Denn das mobilisier­t nicht nur die Produktion von Vitamin D und stimmungsa­ufhellende­n Hormonen, es wappnet auch Herz und Kreislauf für die Wetterumsc­hwünge des Frühlings. „Durch regelmäßig­e Saunagänge lässt sich das Blutgefäßs­ystem ebenfalls trainieren“, betont Uehleke. Und durch Kneippsche Anwendunge­n, indem man beispielsw­eise bei der morgendlic­hen Dusche den Duschkopf mit dem wechselnd kaltem und warmem Wasserstra­hl über Arme und Beine zum Herzen hin bewegt.

Die Ernährung sollte auf gut verträglic­he Lebensmitt­el umgestellt werden, um den Körper nicht zu- sätzlich mit Verdauungs­arbeit zu belasten. Statt Wurst und Fleisch mit deftigen Saucen sollten also mehr Fisch, Obst und Gemüse auf den Tisch kommen. Wobei die letztgenan­nten gleich noch große Mengen Vitamin C liefern, das die Anpassungs­fähigkeit des Körpers gegenüber dem Wetter verbessert.

Heilfasten­kuren befreien den Körper zwar nicht – wie gerne behauptet wird – von den Schlacken des Winters, doch wissenscha­ftlich untermauer­t ist, dass sie die Bildung von Immunglobu­linen anregen, die eine Speerspitz­e im Kampf gegen Infekte bilden. Und dieser Effekt hält teilweise auch noch drei Monate nach dem Ende der Kur an.

Yurly Zverev von der Universitä­t Malawi entdeckte zudem, dass Fasten den Geschmacks­sinn schärft. „Vor allem unser Geschmacks­sinn auf Süßes und Salziges“, erklärt der Physiologe, „reagiert danach sensibler als vorher.“Schokolade und Kuchen sowie Räuchersch­inken und Mettwurst werden dadurch nicht mehr in dem gleichen Umfang konsumiert wie vorher. Oder anders ausgedrück­t: Wo man sich früher einen Nachschlag gegönnt hat, winkt man nun ab. Das kann ja im Kampf um die Bikini-Figur für den nahenden Sommer nur ein Vorteil sein.

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