Die Diamanten von Nizza
Und dass es sich dabei um einen Mann handelt, der verehrt wird von anderen Versicherungsmanagern, die ihn kennen – auch wenn es nur wenige sind, denn er rühmt sich seiner Bescheidenheit und persönlichen Diskretion – geradezu verehrt wird, vor allem wegen seiner Gabe, selbst die gewieftesten Gesetzesbrecher auszutricksen. Ein echtes Ausnahmetalent, das ihn befähigt, die wirksamsten Sicherheitslösungen für seine Klienten bereitzustellen.“
„Sag nichts! Daraufhin wollte Ettore Castellaci wissen, wo der gute Mann war, als sie ihn gebraucht hätten!“, warf Sam ein.
„Dazu habe ich dem Kunden keine Gelegenheit gegeben. Ich habe ihm umgehend erklärt, dass dieses Genie gerade erst in Nizza eingetroffen ist und es sehr zu schätzen wüsste, wenn er die Chance bekäme, Signor Castellaci gemeinsam mit mir und unserem KTF einen Besuch abzustatten.“Sie blickte Sam und Philippe erwartungsvoll an und freute sich eindeutig über ihre verständnislosen Mienen. „Ihr Jungs wisst offenbar nicht, was ein KTF ist – könnt ihr auch nicht, weil ich mir das Kürzel gerade erst ausgedacht habe; es steht für Knox-Tatort-Fotograf und liefert uns einen guten Grund, warum wir Philippe im Schlepptau haben. Wie dem auch sei, Ettore Castellaci ist ein Sicherheitsfanatiker, er war durchaus angetan von der Idee einer technologischen Aufrüstung und schlug Mittwochnachmittag für die Ortsbegehung vor.“
Sam und Philippe hoben ihr Glas und tranken gerade auf Elena, als Julie, die Frau des Küchenchefs, mit dem ersten Gang erschien. Auf Empfehlung von Philippe hatten sie eine Spezialität des Chez Marcel bestellt, gebackene Auberginen an einem Tomaten-Basilikum- Coulis. Und wie alle Spezialitäten des Hauses ging sie mit einer detaillierten Beschreibung einher, dargeboten von Julie und von Philippe übersetzt.
Die Auberginen werden in dicke Scheiben geschnitten, fächerförmig ausgelegt und jede Schicht mit Salz aus der Camargue bestreut, das über Nacht einziehen muss, um ihnen das Wasser zu entziehen. Am nächsten Morgen wird jede Auberginenscheibe einzeln abgetupft, in Olivenöl schwimmend ausgebacken und danach abermals auf saugfähigem Küchenkrepp ausgebreitet, um abzutropfen. Und um ihr den letzten Schliff zu geben, la touche finale, werden die Scheiben in Form eines Gänseblümchens arrangiert und mit dem Tomatenpüree in der Mitte, frischem Basilikum und ein paar Tropfen Olivenöl serviert. Bon appétit.
Unisono küssten Sam und Philippe ihre Fingerspitzen, die Gläser wurden nachgefüllt und die Unterhaltung wieder aufgenommen.
Elena kostete ihre Aubergine mit einem rundum zufriedenen Seufzer. „Ihr müsst euch für den Besuch in Schale werfen, das ist euch doch hoffentlich klar, oder? Das heißt, dunkler Anzug und Krawatte für dich, Sam. Und ein T-Shirt für dich, Philippe, das ein wenig würdevoller aussieht als das hauseigene von Salut!“
„Und was ist mit dir?“, erkundigte sich Sam. „Shorts und High Heels?“
„Klar, was sonst. Sind diese Auberginen nicht köstlich?“Und das galt auch für die Gänge, die folgten: einfache, aber perfekt zubereitete Lammkoteletts mit Kartoffeln, auf provenzalische Art in Oli- venöl gebraten, und zum Abschluss ein hausgemachtes Nougatparfait mit Lavendelhonig von heimischen Bienen. Beim Kaffee begannen sie, die Einzelheiten des Besuchs bei den Bestohlenen zu besprechen. „Eine Sache an der ganzen Geschichte bereitet mir Kopfzerbrechen“, sagte Sam, an Elena gewandt. „Und zwar die Frage, wie es dir dabei geht. Ich meine, was wir vorhaben, mag nicht als schwerwiegende Straftat gelten, aber ganz sicher als bewusste Irreführung, möglicherweise Betrug. Kann sich eine wohlerzogene junge Dame wie du denn damit anfreunden? Hast du überhaupt schon einmal darüber nachgedacht?“Elena streckte den Arm aus und drückte Sams Hand. „Natürlich. Vergiss nicht, wie viele Jahre ich in der Versicherungsbranche tätig war. Ich habe feststellen müssen, dass unsere Klienten ständig lügen, und normalerweise gilt: Je reicher sie sind, desto größer die Lügen. Das ist keine Entschuldigung für unser Vorhaben, aber ein guter Grund. Und es gibt noch einen: Es würde mich überraschen, wenn nicht mindestens einer dieser Diebstähle fingiert, also ein Insider-Job wäre, sprich ein selbst zugefügter Versicherungsschaden. Das ist eine Straftat, keine Frage, und ich würde mich freuen, mein Scherflein zur Aufklärung beizutragen. Und ganz abgesehen davon – schaden wir irgendwem? Ich denke nicht. Mit anderen Worten, um deine Frage zu beantworten, ja, ich kann mich durchaus mit dieser Aktion anfreunden.“Die Haushälterin öffnete ihnen die Tür und führte sie ins Wohnzimmer, wo der Hausherr darauf wartete, sie zu empfangen. Er trug eine Anzughose mit perfekter Bügelfalte und ein weißes Hemd, dessen oberster Knopf offen war. Wie von Elena angewiesen, trug Sam einen dunkelblauen Anzug und eine schlichte Krawatte, während Philippe sein saloppes T-Shirt gegen ein ansehnliches weißes Leinenjackett und frisch gebügelte Jeans eingetauscht hatte. Um die Schulter hatte er Mimis Nikon geschlungen. Elena in ihrem schwarzen Businessoutfit übernahm die allseitige Vorstellung. Als sie beiläufig fragte, wo denn die Signora sei, antwortete Ettore recht kühl, sie sei mit dem Hauspersonal – damit war in diesem Fall wohl Pigeat gemeint – einkaufen. Elena frohlockte innerlich. „Kommen wir zur Sache“, sagte Ettore Castellaci. „Ihre Kollegin, Miss Morales, hat mir bereits den Zweck Ihres Besuches erklärt. Wo wollen Sie anfangen?“Der Inspektionsrundgang begann beim Safe. Sam testete in seiner Rolle als Sicherheitsexperte das Kombinationsschloss und wies Philippe an, den Safe mit geöffneter und geschlossener Tür zu fotografieren. Danach machten sie sich daran, die Alarmvorrichtungen, die Verkabelungen in jedem Raum und das Ausmaß an Schutzvorkehrungen an Fenstern und Fensterläden zu überprüfen, wobei Philippe auf dem Weg durchs Haus Aufnahmen und Sam sich ausgiebig Notizen machte. Elena stahl sich heimlich davon und stieg die Treppe hinauf zum Zimmer des Sommerliers. Sie klopfte an die Tür und drückte die Klinke im gleichen Moment nieder. Die Tür war abgeschlossen. Elena fluchte leise und ging schnell wieder zurück. Castellaci, der ihr bereits entgegenkam, hatte sehr wohl gemerkt, dass sie sich entfernt hatte. Elena lächelte ihm möglichst arglos zu.
(Fortsetzung folgt)