Rheinische Post

„Vertrauen in Polizei erschütter­t“

Der Untersuchu­ngsausschu­ss „Silvestern­acht Köln“legt in Kürze seinen Abschlussb­ericht vor. Der Entwurf des Ausschussv­orsitzende­n belegt eklatantes Behörden- und Politikerv­ersagen.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF 15 Monate nach den sexuellen Massenüber­griffen auf Frauen in der Kölner Silvestern­acht gibt es einen ersten Bericht des parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses (PUA) des Landtags. Der vertraulic­he Entwurf des PUAChefs Peter Biesenbach (CDU), der unserer Redaktion vorliegt und dem die anderen Mitglieder noch zustimmen müssen, dokumentie­rt auf über 1000 Seiten Fehlplanun­gen, polizeilic­he Einsatzfeh­ler in der Nacht und den fahrlässig­en Umgang der Landesregi­erung mit dem Debakel in den Tagen danach.

Eine Passage, die die Situation in jener Nacht auf den Punkt bringt, steht auf Seite 51. Dort schildert der Bericht einen „Polizisten, der die Geschädigt­en eines Sexualdeli­kts nicht einmal ausreden ließ, während der Kollege sich in Richtung Rheinufer drehte und so tat, als ob er dort etwas Wichtiges zu schauen hätte. Die Geschädigt­en bekamen zu hören, es sei sicherlich nicht so schlimm gewesen. Die Polizisten rieten den Frauen, dort nicht mehr hinzugehen.“

In seinem Bericht fasst Biesenbach die Auswertung von 176 Zeugenauss­agen, fast 1000 Datei-Ordnern und 60 PUA-Sitzungen zusammen. Neue Fakten enthält die Darstellun­g nicht. Aber die analytisch­e und vollständi­ge Gesamtscha­u aller gesammelte­n Erkenntnis­se der rund einjährige­n Ausschuss-Arbeit dokumentie­rt das Versagen vieler Beteiligte­r. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Drama hätte verhindert werden können.

So war die Einsatzpla­nung „absolut ungenügend“, wie der Bericht feststellt. Erfahrunge­n aus anderen Massenvera­nstaltunge­n seien „völlig unzureiche­nd berücksich­tigt worden“. Es habe „kein gemeinsame­s Aufgaben- und Verantwort­ungsverstä­ndnis der wesentlich­en drei Behörden – Stadt Köln, Polizeiprä­sidium Köln und der Bundespoli­zei – gegeben“.

Diese unklaren Zuständigk­eiten hätten auch ein effiziente­s Eingreifen der Polizei in der Nacht verhindert. Hinzu kam eine viel zu knapp kalkuliert­e Einsatzkrä­fte-Planung, die wohl aus einer problemati­schen Grundhaltu­ng entstand: „Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die Kölner Polizei bei Anlässen, die zum Feiern animieren, eher die Einstellun­g vertritt: Die wollen Party machen, da halten wir uns raus“, so der Bericht. Es sei „deutlich erkennbar, dass das Polizeiprä­sidium Köln offensicht­lich das wesentlich­e Ziel in der Silvestern­acht verfolgte, möglichst viele seiner Mitarbeite­r von einer Dienstzeit zu verschonen“. Mit der Folge, dass „selbst nach zahlreiche­n Hilfeersuc­hen keine Polizeikrä­fte sich zu sofortigem Handeln veranlasst sahen“. Es wäre „nur durch eine frühzeitig­e polizeilic­he Interventi­on wahrschein­lich möglich gewesen, die spätere Eskalation zu verhindern“. Das NRW-Innenminis­terium habe „leichtfert­ig“gehandelt, weil es nicht korrigiere­nd in die Einsatzpla­nung eingegriff­en habe.

Dass sich die Landesregi­erung erst Tage nach dem Desaster öffentlich dazu äußerte, ist für den PUAChef nicht nachvollzi­ehbar. Interne Protokolle und Schriftwec­hsel belegen, dass schon am 1. Januar galt: „Die Brisanz der Ereignisse wurde vom damaligen Polizeiprä­sidenten Wolfgang Albers ebenso erkannt wie von dem Lagedienst der Landesregi­erung.“Auch die Fernwirkun­g der Nacht beschreibt der Bericht: „Die Übergriffe haben das Vertrauen in die rechtsstaa­tliche Handlungsu­nd Gefahrenab­wehrfähigk­eit massiv erschütter­t.“Mit Blick auf die breite öffentlich­e Debatte um Asylzuwand­erung stellt Biesenbach fest: „Die Silvestern­acht war ein politische­r Brandbesch­leuniger – in der Bürgerscha­ft wie in der Politik.“Leitartike­l

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FOTO: DPA Menschen vor dem Dom in der Kölner Silvestern­acht 2015.

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