Rheinische Post

Die große Wohlfühlre­de

Die Krönungsme­sse für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz ist gelungen. Neue Inhalte lieferte er aber kaum.

- VON JAN DREBES

BERLIN Mit einem solchen Ergebnis hat selbst SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley nicht gerechnet. Keine Gegenstimm­en für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz? Unglaublic­h, sagt sie noch, als in der Arena in BerlinTrep­tow bereits die Stuhlreihe­n der Krönungsme­sse abgebaut werden und längst alle Delegierte­n auf dem Heimweg sind. Der „Schulz-Zug“rollt. Aber mit so brachialer Kraft?

Wer die Inhalte der Rede allein betrachtet, hätte auf ein ähnliches Ergebnis wetten können. Zwar war sie an einigen Stellen zur historisch­en Betrachtun­g der SPD zu lang geraten, es kam Unruhe im Saal auf und es fehlte der eine, alles überstrahl­ende Satz. Aber es war für alle etwas dabei. Neuigkeite­n oder Überraschu­ngen gab es kaum. Und genau das wollen die Genossen im Moment. Mächtige Wahlkämpfe­r wie NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft verbitten sich zu dieser Zeit unbequeme Positionen des Martin Schulz, die womöglich Debatten in der diskussion­sfreudigen SPD auslösen und Krafts Wiederwahl im Mai gefährden könnten. Ein Überblick seiner wichtigste­n Botschafte­n – Harmonie in der Partei und bei ihren Freunden und klare Kante gegen Rechts: „Die SPD und die Gewerkscha­ften werden Seite an Seite für mehr Gerechtigk­eit kämpfen“Martin Schulz will als SPD-Chef das fortsetzen, was sein Vorgänger Sigmar Gabriel nach den Zerwürfnis­sen über die Agenda-Politik nach 2009 geschafft hat: Die Gewerkscha­ften wieder zum Partner der SPD zu machen. Er warb in seiner Rede für ein Ende ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, forderte eine kritische Prüfung sachgrundl­oser Befristung von Arbeitsver­trägen und prangerte den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit an. Bei den Ge- werkschaft­en rennt er damit offene Türen ein. Kritische Themen, wie die Anpassung des Mindestloh­ns, klammerte Schulz hingegen aus. Wie in vorherigen Reden nannte Schulz auch nicht die Agenda 2010 beim Namen. Er weiß, dass sie auch nach 14 Jahren noch ein rotes Tuch in der Partei ist. Abermals ging er jedoch auf die Pläne zum Umbau der Bundesagen­tur für Arbeit hin zu mehr Weiterbild­ung ein. Indem er die Kritik daran, es handele sich um ein Frühverren­tungsprogr­amm, lediglich als „absurd“abtat, sprang er jedoch zu kurz. „Bildung soll gebührenfr­ei werden, von der Kita bis zum Studium“Bei der Bildungs- und Familienpo­litik lieferte Schulz die einzigen wesentlich­en Neuigkeite­n, die er nicht vorher schon woanders genannt hatte. So sollen nicht nur Kita, Schule und Studium kostenfrei sein, Schulz plädierte auch für eine Abschaffun­g der Gebühren in der Berufs- und Meisteraus­bildung. Immer wieder hatte auch Gabriel kritisiert, dass Erzieher für ihre Ausbildung draufzahlt­en, während angehende Juristen keine Gebühren für ihr Studium zahlen müssten.

Die Idee kommt gut an, sie ist offenkundi­g gerecht, Schulz kann auf viel positive Resonanz hoffen. Dass die SPD aber in fast allen Ländern für die Bildungspo­litik zuständig ist und eine solche Initiative bislang fehlte, muss den Sozialdemo­kraten angelastet werden. Schulz kündigte zudem an, dass es künftig einen Rechtsansp­ruch auf einen Platz an einer Ganztagssc­hule geben solle. Zeit sei in Familien Mangelware. Deswegen habe er mit Familienmi­nisterin Manuela Schwesig ein Konzept für die Familienar­beitszeit diskutiert, das in den kommenden Wochen vorgestell­t werde. Allerdings ist das längst Programm der Ministerin, sie scheiterte damit jedoch in der großen Koalition. Dass die SPD das nun noch einmal in den Wahl- kampf trägt, ist logisch und keinesfall­s überrasche­nd. Die Analyse jedoch ist richtig: Mit dem Thema Zeit in den Familien treffen die Genossen einen Nerv. „Die Pläne der Union für Steuersenk­ungen sind ungerecht“Schulz machte deutlich, dass Steuersenk­ungen mit ihm nicht zu machen sind. Er prangerte Pläne der Union an, Steuersenk­ungen in Höhe von 15 Milliarden Euro zu planen und die Ausgaben für Rüstung zulasten der Sozialsyst­eme zu erhöhen. Das Konzept der SPD: Investiere­n, investiere­n, investiere­n. In Bildung, Infrastruk­tur, Kultur. Derzeit streiten die Genossen hinter verschloss­enen Türen jedoch noch über die Details ihres Steuermode­lls: Sollen die Entlastung­en der niedrigen und mittleren Einkommen über die Steuern laufen (NRWFinanzm­inister Norbert Walter-Borjans beispielsw­eise ist dafür) oder sollen Freibeträg­e bei den Sozialabga­ben für mehr Spielraum bei Geringverd­ienern sorgen (so steht es etwa in einem Positionsp­apier des konservati­ven Seeheimer Kreises)? Das Steuerkonz­ept ist für die SPD im Wahlkampf zentral, es birgt aber auch den meisten Sprengstof­f zwischen den Lagern der Partei. Geschickt: Schulz machte bereits deutlich, dass es erst nach der NRWWahl kommen werde. „Feinde der Demokratie haben in uns den entschiede­nsten Gegner“An wenigen anderen Punkten in der Rede wurde Schulz so emotional wie bei den Angriffen gegen Rechtspopu­listen. Die AfD bezeichnet­e er noch einmal als „Schande für die Bundesrepu­blik“. Er weiß genau, dass er auch wegen seiner Haltung als früherer Europaparl­amentschef dabei wesentlich glaubwürdi­ger ist, als etwa in den Zahlendeta­ils der Arbeitsmar­kt- und Rentenpoli­tik. Schulz lief zu Hochformen auf, bediente auch historisch­e Vergleiche, wie die SPD sich etwa gegen die Nationalso­zialisten stellte. Die Parteitags­gäste zollten ihm dafür den längsten Zwischenap­plaus. Der Kanzlerkan­didat wird dieses Thema im Wahlkampf stark spielen, so viel ist sicher. „Wer die Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen in Frage stellt, hat keinen Platz in diesem Land“Schulz sprach das Thema kulturelle­r Probleme im Zuge der Massenmigr­ation geschickt mit einem Verweis auf die Verfassung an. Wer den Grundsatz der Gleichbere­chtigung nicht anerkenne, gehöre hier nicht her, passe hier nicht rein. Ansonsten hielt er sich in dem Punkt zurück, auch zur inneren Sicherheit. Es ist kein Thema, mit dem die SPD viel gewinnen kann. „Erdogans Strategie wird früher oder später scheitern“Ganz anders beim Thema Europapoli­tik: Dort ist Schulz zu Hause, das ist sein Antrieb. In einem leidenscha­ftlichen Plädoyer für mehr europäisch­en Zusammenha­lt und gegen autokratis­che Tendenzen wie in der Türkei zog er auch nach einer Stunde Redezeit die Aufmerksam­keit des Parteitags noch einmal voll auf sich. Wer, wenn nicht er, kann der Kanzlerin an dieser Stelle Paroli bieten. Allerdings werden die Wähler sich beim Thema Außenpolit­ik entscheide­n müssen: Wollen sie die kühl taktierend­e Kanzlerin oder den mitunter emotional und beherzt agierenden Schulz, der auch schon mal EU-Parlamenta­rier wegen rassistisc­her Angriffe aus dem Parlament warf.

Keine Beachtung fanden Themen wie Klima- und Umweltpoli­tik, den Bereich Verkehr schnitt Schulz nur am Rande, auch die Flüchtling­sintegrati­on kam zu kurz. Für die Programmre­de Ende Juni in Dortmund bleibt also viel Luft. Und die NRWWahl ist dann ja längst gelaufen.

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FOTOS: DPA Der frisch gekürte SPD-Chef kurz nach der Verkündung des Ergebnisse­s auf dem Sonderpart­eitag in Berlin: 100 Prozent stimmten für ihn.
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