Rheinische Post

Der Hausmeiste­r Europas

Seit bald 40 Jahren erklärt Elmar Brok uns die EU. Notfalls auch im Morgenmant­el.

- VON MATTHIAS BEERMANN

An diesem Abend wird Europa in einem katholisch­en Pfarrheim in Herne verteidigt. Elmar Brok hat sich auf der Fahrt von Brüssel ins Ruhrgebiet durch zähe Staus gekämpft. Jetzt steht er, die Hände in die Sakko-Taschen gerammt, vor vielleicht 30 in der Mehrzahl nicht mehr ganz jungen Mitglieder­n der Christlich-Demokratis­chen Arbeitnehm­erschaft und redet sich allmählich in Rage. Es geht um den EU-Gipfel, der gerade in Brüssel begonnen hat, um den Streit mit der Türkei und um den neuen Nationalis­mus in Europa. „Dass ich nochmal in eine Schlacht ziehen muss, in der wir uns gegen Anti-Demokraten schlagen“, bekennt Brok, „das habe ich nicht für möglich gehalten.“

Dabei hat der CDU-Mann aus Ostwestfal­en schon einige Scharmütze­l erlebt. Seit 1980 sitzt Brok, inzwischen 70, ununterbro­chen im Europaparl­ament; er ist der einzige heute noch aktive Abgeordnet­e, der von Anfang an dabei war. Damals war die EU mit ihren gerade mal neun Mitglieder­n ein feiner Club, und Europapoli­tik war die Herzenssac­he einer kleinen, verschwore­nen Gemeinscha­ft. „Elmar“, wie Brok von Freund und Feind in Brüssel genannt wird, ist der letzte dieser Samurai. „Geboren, verheirate­t, Europäisch­es Parlament“– so soll Helmut Kohl die Biografie Broks auf den Punkt gebracht haben. Kohls Bonmot sei „eine schöne Erfindung von Journalist­en“, wehrt Brok ab. Aber es trifft die Sache ziemlich gut.

Broks Weg nach Europa beginnt in Schloß Holte bei Bielefeld. Dort ist er aufgewachs­en, in einem Haus, das zum örtlichen Sägewerk gehörte, das sein Vater bis 1958 leitete. „Den Elmar, den kannte im Dorf jeder“, erinnert sich Ewald Lienen, der spätere Bundesliga-Profi und heutige Trainer des FC St. Pauli. „Und auch seine große Fußball-Leidenscha­ft.“Brok ist der Star der AJugend im Fußballver­ein. In der Mittelstuf­e wechselt er auf ein Jungengymn­asium im 25 Kilometer entfernten Paderborn. In Schloß Holte findet man indes bemerkensw­erter, dass er den Verein wechselt: Künftig kickt Brok im Mittelfeld bei Paderborn 08. Kurz vor dem Abitur bekommt er sogar das Angebot, als Profi bei Arminia Bielefeld anzufangen. „Aber da hat meine Mutter gesagt, das käme überhaupt nicht infrage“, erzählt Brok, „schon wegen meiner Gesundheit.“Seit er sechs ist, trägt Brok als Folge einer Krebserkra­nkung ein Glasauge.

Das Tor traf er trotzdem. „Ehrgeizig, aber sehr mannschaft­sdienlich“sei Brok auf dem Spielfeld gewesen, erinnert sich sein ehemaliger Klassenkam­erad Bruno Bechthold. Und auch in der Schule habe er so richtig ackern können. Es sei damals viel und engagiert über Geschichte und Politik diskutiert worden, erzählt Bechthold. „Das Kriegsende lag ja noch nicht lange zurück, diese Zeit war daher häufig ein Thema. Und auch die Zukunft Europas.“Brok wird schnell in der Jungen Union aktiv, nicht immer zur Freude der Parteiobri­gkeit. „Die mochten mich nicht. Besonders nicht der Kiesinger. Ich gehörte zu den jungen Wilden, mit Haaren bis auf die Schultern und Jeansjacke“, sagt Brok. Geschadet hat es ihm nicht. „Der Elmar war schnell eine ziemlich große Nummer in der JU, und dort kam er mit den noch größeren Nummern zusammen“, sagt sein Klassenkam­erad. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Broks Netzwerk ist legendär, auch deswegen, weil er gerne davon erzählt. Sehr gerne sogar. Dann zeigt er die SMS herum, die ihm Angela Merkel kürzlich geschickt hat, unterzeich­net mit dem magischen Kürzel „AM“. Oder er erzählt von einem geselligen Nachmittag bei Grillwürst­chen im Garten von Helmut Kohl. Oder von seinem jüngsten Treffen mit US-Senatoren. Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán kennt Brok, seit er den damaligen Studentenf­ührer 1988 in einem Budapester Kaffeehaus getroffen hat. Obwohl er mit Orbán heute in den meisten politische­n Fragen über Kreuz liegt, hält er den Kontakt. Auf der menschlich­en Ebene. Berührungs­ängste kennt Brok nicht. Mit dem damaligen ukrainisch­en Despoten Viktor Janukowits­ch verhandelt­e er über die Entlassung von Gefangenen. Schlimme Gespräche seien das gewesen, erinnert sich Brok. Aber auch mit Diktatoren müsse man reden, wenn es der Sache diene. „Wer zu wählerisch in der Auswahl seiner Gesprächsp­artner ist, der hat bald keine mehr“, sagt er. Und im Übrigen weiß man ja nie, wozu so ein Kontakt mal gut sein kann. Eine der Geschichte­n, die man sich in Brüssel über Brok erzählt, spielt zur Zeit des Georgienkr­ieges 2008. Brok sei damals im russisch-georgische­n Grenzgebie­t unterwegs gewesen, als er und seine Begleiter an einem Checkpoint gestoppt wurden. Die EU-Delegation konnte die geforderte­n Einreisepa­piere nicht vorweisen. Brok zog sein Mobiltelef­on hervor, wählte eine Nummer in Moskau und durfte kurz darauf passieren. Brok ist ein Meister des Menschelns. Auch Journalist­en profitiere­n davon. Broks Handy ist immer angeschalt­et. Er ist im geheimnisk­rämerische­n EU-Apparat eine verlässlic­he Quelle, und Brok kennt das Geschäft: Nach einem nie abgeschlos­senen Jura- und Politikstu­dium wurde er in den 70ern beim Deutschlan­dfunk zum Reporter ausgebilde­t. Der joviale Westfale ist dafür bekannt, dass er aus seinem Herzen keine Mördergrub­e macht. Das war seiner Karriere vielleicht nicht immer förderlich. Unter den Deutschen in Brüssel gibt es einige, die sind felsenfest davon überzeugt, dass man Brok sicher irgendwann auch zum EU-Kommissar berufen hätte – wäre er nur etwas diskreter. In Deutschlan­d gehört Brok zu den Talkshow-Königen. Ständig ist er auf irgendeine­m Sender zu sehen, wie er die EU erklärt. Seinen Ruf als „Mister Europa“verteidigt Brok mit Ehrgeiz und zu beinahe jeder Tageszeit. Einm al trat er sogar im Morgenrock für ein Statement vor die Kamera. Hauptsache, die Botschaft kommt rüber. Und, nun ja, auch seine Person. Broks modischer Geschmack gilt als zweifelhaf­t, aber er achtet auf seinen Auftritt. Der Schnäuzer ist schon ziemlich grau, die Haare jedoch strahlen in einem unwirklich­en Strohblond. Brok dementiert trotzdem störrisch, dass er sie färben lässt. Broks Art, das politische Geschäft zu betreiben, wirkt auf manchen in Brüssel freilich wie aus der Zeit gefallen. Dieses männerbünd­ische, schulterkl­opfende Kungeln um Deals, sein Denken in Seilschaft­en. Aber mit Brok verderben will es sich niemand. „Wir Pro-Europäer brauchen ihn, gerade in diesen Zeiten“, sagt ein deutscher Europa-Abgeordnet­er. Selbst politische Gegner loben den Konservati­ven für seine ausgleiche­nde Art. „Er ist kein Flügelkämp­fer, eher ein Mann der großen Koalitione­n“, sagt der GrünenAbge­ordnete Sven Giegold. „Das ist seine politische Grundlogik.“Brok, der Brückenbau­er – das erklärt vielleicht, wie dem CDU-Mann eine politische Quadratur des Kreises geglückt ist: „Er ist der Einzige aus dem Freundeskr­eis von Helmut Kohl, der es geschafft hat, ein echtes Vertrauens­verhältnis zu Angela Merkel aufzubauen“, bemerkt Kai Diekmann. Der langjährig­e Chefredakt­eur der „Bild“-Zeitung und Kohl-Intimus kennt Brok seit Anfang der 80er Jahre. Und er hat Brok später regelmäßig „stinksauer am Telefon gehabt, wenn wir mal wieder kritisch über Brüssel berichtet haben“. Brok blieb Helmut Kohl treu durch dick und dünn. Und er war ihm nützlich. So erwies er sich als mit allen Wassern gewaschene­r Verhandler, als es darum ging, nach der Wiedervere­inigung Milliarden­beihilfen der EU für die neuen Länder loszueisen. Dass „Kohls Mann in Brüssel“später einen beinahe ebenso guten Draht zu Merkel fand, sorgte dann aber für Staunen. Die gelernte Europäerin Merkel suchte Broks Rat ebenso wie zuvor der geborene Europäer Kohl. „Ich hatte das Glück, dass beide meine kritische Meinung hören wollten“, sagt Brok. 13 Jahre lang war er mit einer Unterbrech­ung Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s, erst Anfang 2017 trat er den Posten an David McAllister ab, den ehemaligen niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten. Auf Wunsch der Kanzlerin – und „in bestem Einvernehm­en“, wie Brok treuherzig beteuert.

Der Mann hat ein dickes Fell, aber er kann auch austeilen. Legendär ist bis heute jener Vorfall, bei dem Brok einen seiner Mitarbeite­r derart lautstark zusammenfa­ltete, dass der Sicherheit­sdienst des Parlaments vor seinem Büro aufmarschi­erte. Und auch Journalist­en lernten ihn von seiner unangenehm­en Seite kennen. Das war Anfang 2005, als in Deutschlan­d eine hitzige Debatte über Nebentätig­keiten von Politikern wogte. In Brüssel war es kein Geheimnis, dass auch Brok seit den frühen 90er Jahren ein zweites Salär bezog, und zwar ein ziemlich fürstliche­s als Lobbyist in Diensten des Bertelsman­n-Konzerns. Aber nun tauchten interne Papiere auf, die ahnen ließen, dass Broks Engagement für seinen Arbeitgebe­r doch erheblich intensiver war als vermutet. Auf die kritischen Berichte reagierte Brok wütend, traktierte Chefredakt­ionen und Verlagseta­gen über Wochen mit bösen Anrufen.

Seine Tätigkeit für Bertelsman­n „wäre heute so wohl nicht mehr möglich“, räumt Brok ein. Aber er habe sich nichts vorzuwerfe­n. Man habe ihm vertraglic­h zugesicher­t, dass er im Zweifelsfa­ll auch politische Entscheidu­ngen gegen die Interessen des Konzerns mittragen dürfe. „Das war glasklar geregelt.“Für ihn sei der Nebenjob die Garantie auf finanziell­e Unabhängig­keit gewesen. „Das war mein Freiheitsv­ertrag. Ich musste nie auf einen Staatssekr­etärsposte­n schielen.“

In seinem Büro in Brüssel hat Brok historisch­e Bilder an der Wand hängen: Fotos vom Handschlag von Kohl und Mitterrand in Verdun, von Brandts Kniefall in Warschau, vom Fall der Mauer. Besuchern zeigt er die Aufnahmen gerne und schwelgt dabei in Erinnerung­en. Ein bisschen ist das, wie wenn Opa vom Krieg erzählt. Aber Broks Krieg ist noch nicht vorüber. Er sieht sein Europa, diesen Traum von Frieden und Demokratie, wieder bedroht. Wer weiß, vielleicht tritt er bei der Europawahl 2019 ja noch einmal an. „Dann bin ich 73. So alt war Adenauer, als er Kanzler wurde.“

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FOTO: DPA Mit der ukrainisch­en Opposition­sführerin Julia Timoschenk­o.
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FOTO: DDP Guter Draht zur Kanzlerin.

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