Rheinische Post

PERSÖNLICH Nächtliche Ängste

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Diesmal blieb der Autorenpla­tz leer auf der berühmten Talk-Bühne der Buchmesse, dem „Blauen Sofa“. Asli Erdogan durfte ihr Land nicht verlassen, konnte die mehrmalige Einladung nach Leipzig nicht annehmen – wie auch jene zu Lesungen in Östereich und Norwegen nicht. Die 50-jährige Türkin wartet auf ihren Prozess wegen sogenannte­r Terrorprop­aganda. Ihr droht eine lebenslang­e Haftstrafe. Der Grund: Sie saß im Beirat einer kurdischen Zeitung.

Nach dem gescheiter­ten Militärput­sch wurde sie im August des vergangene­n Jahres verhaftet und erst Ende Dezember unter Auflagen aus dem Istanbuler Frauengefä­ngnis Bakirköy schwerkran­k entlassen. „Ich bin nur eine Schriftste­llerin, ich habe nichts andere getan“, sagt sie jetzt per Fernschalt­ung aus Istanbul. Und: „Ich habe jede Nacht Angst, dass die Polizei kommt und mich holen wird.“

Asli Erdogan ist eine der wichtigste­n Autorinnen ihres Landes, ihre Kolumnen – in deutscher Übersetzun­g jetzt in „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“versammelt – auch literarisc­he, poetische Meisterwer­ke. Daraus stammt der hier abgedruckt­e Text. 2010 wurde die studierte Physikerin – sie forschte zu Beginn der 1990er Jahre am europäisch­en Kernforsch­ungszentru­m Cern in Genf – mit dem bedeutends­ten Literaturp­reis ihres Landes geehrt. Man könne nicht schreiben, ohne sich die Hand zu verbrennen, sagt sie. „Der Mensch sucht die Hoffnung in seinen Worten. Würde ich das Schreiben aufgeben, würde ich alles aufgeben.“Auf der Leipziger Buchmesse veranstalt­et der PEN-Deutschlan­d jeden Tag Lesungen aus dem aktuellen Buch von Asli Erdogan. Und Alexander Skipis, Hauptgesch­äftsführer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, nannte es einen „Skandal, dass ein freier Mensch, der nur seinen Beruf ausübt und von seinem Recht auf Meinungsfr­eiheit Gebrauch macht, sein eigenes Land nicht verlassen darf“. Das Verfahren gegen die Autorin bezeichnet­e er als „rechtlich unhaltbar“.

Lothar Schröder

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