Rheinische Post

Die Vorstadthö­lle hinter den Gardinen

In „Nachbarn“stoßen die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk auf viele Verdächtig­e und noch mehr Geheimniss­e.

- VON KATHARINA MEHLES

DÜSSELDORF In knapp 20 Jahren Ermittler-Arbeit sind die Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) schon oft auf Schweigen und verschloss­ene Türen gestoßen. In „Nachbarn“spüren sie deutlich wie nie, dass sie unerwünsch­te Störenfrie­de sind. Denn hinter der perfekten Fassade hat jeder sein großes oder kleines Geheimnis, das auf keinen Fall öffentlich werden soll.

Aber die Vorstadt-Idylle wird gestört von einem Mord, der die Ermittler auf den Plan ruft: Mitten in der Nacht fällt ein Mensch von einer Brücke und wird von einem Lkw überfahren. Doch als das passiert, ist Werner Holtkamp (Uwe Freyer) schon tot. Er lebte allein und zurückgezo­gen in der Kölner Vorstadt, nachdem ihn seine Frau vor Jahren verlassen und die gemeinsame Tochter mitgenomme­n hatte. Ermordet wurde er zu Hause in seinem Schlafzimm­er.

Ballauf und Schenk müssen sich erst einmal einen Überblick verschaffe­n, denn irgendwie scheint jeder der Nachbarn ein Motiv zu haben: Da ist das Ehepaar Möbius (Birge Schade und Stephan Grossmann), deren Ehe nur noch Fassade ist. Einen offensicht­lichen Streit hatte der Tote mit Nachbar Leo Voigt, der nebenan mit Stieftocht­er Sandra (Claudia Eisinger) und deren Tochter Mira (Lena) lebt. Ein Gericht hatte entschiede­n, dass die Grenze zwischen ihren beiden Grundstück­en nicht korrekt gezogen worden war. Voigt musste ein kleines Stück seines Grundstück­es an Holtkamp abgeben. Diese Fläche nutzte der, um an dieser Stelle Zypressen zu pflanzen – ein weiteres Ärgernis für Voigt.

Und dann ist da noch die Familie Scholten mit Tochter Paulina (Lilli). Vater Jens (Florian Panzner) ist auch der Vater von Mira – kurz vor dem Abitur verbrachte er eine Nacht mit der damaligen Klassenkam­eradin Sandra Voigt. Irgendwie verhalten sich alle Beteiligte­n merkwürdig. Wie Ballauf und Schenk muss auch der Zuschauer mit viel Geduld die Beziehunge­n der Nachbarn zueinander entwirren, bevor überhaupt Spannung aufkommen kann.

Die Kommissare verlieren darüber sogar ihren Humor. Lustige Dialoge des eingespiel­ten ErmittlerT­eams gibt‘s diesmal kaum. Das liegt vielleicht auch daran, dass Schenk selbst Probleme mit seinem Nachbarn hat. Zwar ist es ganz unterhalts­am, Freddy Schenk als Spießbürge­r dabei zuzusehen, wie er nachts die Lautstärke des Papageis seines Nachbarn misst, die Nebenhandl­ung wirkt allerdings etwas konstruier­t. Noch merkwürdig­er ist die Rückschau auf Szenen des Films am Schluss des „Tatorts“. Sie ist – ähnlich wie der Clip mit Nachbarsch­afts-Impression­en zu Beginn des Films – gemacht wie ein VideoClip. Macht die Untermalun­g mit Pharell Williams „Happy“im ersten Clip noch Sinn, um die Idylle der Vorstadt vorzutäusc­hen, wirkt das am Ende merkwürdig aufdringli­ch und deplatzier­t. Schade, dass die Macher um Regisseur Torsten C. Fischer und Autor Christoph Wortberg die Sendezeit nicht dazu genutzt haben, um ihren Figuren noch mehr Tiefe zu geben und deren Spagat zwischen Normalität und tiefen Abgründen intensiver zu zeigen.

Wer im Verlauf des Films sicher ist zu wissen, was hinter zugezogene­n Rolladen in den Familien vor sich geht, wird am Ende überrascht. Und das macht den Fall letztlich doch zu einem sehenswert­en „Tatort“.

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FOTO: ARD Leo Voigt (Werner Wölbern) lag mit seinem ermordeten Nachbarn im Streit. Könnte er der Täter gewesen sein?

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