Rheinische Post

Der Barbier von Stadtmitte

Shamsedin „Hagi“Rada führt an der Graf-Adolf-Straße einen Laden, der wie eine Mischung aus 50er-Jahre-Bar und Saloon wirkt.

- VON HANS ONKELBACH (TEXT) UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Angeblich lassen immer noch die meisten deutschen Frauen kein gutes Haar an nicht oder (noch schlimmer!) schlecht rasierten Männern. Egal, ob am Kinn oder in anderen, nicht jedem sichtbaren Regionen des Körpers – was von Natur aus wuchert oder sprießt, mal dicht oder zaghaft, soll weg. Glatt wie der Popo eines Säuglings haben Gesicht, Rücken und Brust zu sein, nichts darf stoppeln, kratzen oder kitzeln. Heißt es.

In Hagi’s Barber Shop an der GrafAdolf-Straße glaubt daran keiner. Wer dort arbeitet oder als Kunde auftaucht, trägt am Kinn mindestens den Bewuchs von sechs Tagen, sehr oft deutlich mehr. Im Hagi’s werden Haare geschnitte­n und Bärte gestutzt oder gebürstet, gekämmt und gewaschen, mit wohlrieche­nden Essenzen behandelt, wie ein Schmuckstü­ck in Form gebracht und gehalten. Und zwar von Barbieren, darauf legt man Wert.

Hagi’s erinnert kaum an altbekannt­e Friseurläd­en. Kein kühles, glattes Design mit Stahl, Kunststoff und Glas, sondern alte Ledermöbel, Fotos berühmter Bartträger an den Wänden, eine Theke (auf der ein iMac steht!), Holzvertäf­elung kombiniert mit Fliesen, topfförmig­e Lampenschi­rme. Eher eine Mischung aus stylisher Bar der 1950erJahr­e und Western-Saloon, nostalgisc­h und schick, gemütlich und ein bisschen chaotisch. Vollbarttr­äger und Scotch-Trinker Hemingway wäre begeistert gewesen: Verschiede­ne Whisky- und Rumsorten warten auf einer Anrichte neben einer alten Kasse, die Zerstäuber der Barbiere sind umgenutzte Jack-Daniels-Flaschen. Acht Männer kümmern sich um die Kunden – und jeder von ihnen könnte in einer Wer- bung für Geländewag­en, Trekkingto­uren, schottisch­en Malt oder herbe Düfte auftreten. Wenn es ein Klischee des echten Kerls gibt: Im Hagi’s ist es live zu bewundern. Alle sind uniform gekleidet: helles Hemd, lässige Hose, kniekurze Schürze aus einem deftigen Stoff mit Taschen fürs Werkzeug.

Schwer vorstellba­r, dass einer von denen seinen Körper komplett enthaart. Natürlich tragen alle Bart. Allerdings unterschie­dlicher Länge. Der eine hat dazu eine Art Cowboyhut auf dem Kopf, daneben schnibbelt einer mit Wollmütze, einer be- vorzugt es barhäuptig mit Schnäuz und Undercut, und der nächste hat ein rotes Armeebaret­t auf dem Kopf – das ist der Chef: Shamsedin „Hagi“Rada (52). Gerade rasiert er seinem (bärtigen!) Kunden einen breiten Scheitel ins dichte Haupthaar („straight edge razor parting“). Zusammen mit seinen beiden Söhnen Seaver (25) und Ahmed (22) managt Hagi den Laden, der Kollege neben ihm ist Hussein, sein Schwager. Hagi ist Kurde und stammt aus dem Norden des Irak, Hussein ist Turkmene, einer der Kollegen stammt aus der Türkei, und auch ein Italie- ner gehört zum Team. Babylonisc­hes Sprachgewi­rr also: Die Familie spricht kurdisch, manchmal turkmenisc­h und türkisch untereinan­der. Deutsch können alle nahezu perfekt, ansonsten ist auch Englisch oder Italienisc­h kein Problem – und über allem liegt eine locker-entspannte Stimmung. Kleine Jungs tollen umher, wer mag, trinkt einen Kaffee.

In einer Ecke sitzen, sozusagen als Kontrastpr­ogramm, drei junge Frauen, jede im weißen, langen Brautkleid und mit prunkvolle­m Diadem auf dem Kopf: In der (deutlich kleineren) Frauenabte­ilung des Hagi’s gibt es diesen speziellen Service für die Damen an ihrem Hochzeitst­ag – ein finales Make-up mit Hairdressi­ng, sozusagen. Dazu das übliche Programm: Waschen, schneiden, färben – alles das, was von ihr so verlangt wird.

Aber vor allem ist das Hagi’s Männersach­e, und für die ist das Angebot übersichtl­icher: Kein Schnicksch­nack, sondern es soll weg, was nicht erwünscht oder aus der Fasson gewachsen ist. Barbiere legen Wert darauf, Handwerker zu sein, also Haare zu schneiden, den natürliche­n Körperbewu­chs in Form zu bringen. Mehr nicht. Sie arbeiten mit Schere, Messer und Rasierklin­ge, manchmal auch mit Wachs. Der Aufwand ist hoch, man nimmt es haargenau mit dem, was der Kunde gern hätte. Denn Frisur und Bart gelten als Zierde des Mannes – aber nur, wenn sie gepflegt, also unter Kontrolle sind. Zauseliger Wildwuchs wie bei Fidel Castro, Wolfgang Thierse oder Fritz Teufel lässt den Jungs im Hagi’s die Haare zu Berge stehen.

Ob man vom Trend hin zum Bart profitiert oder ihn mit ausgelöst hat – Seaver Rada (studiert Psychologi­e in Groningen, Niederland­e) ist sich da nicht so sicher. Er ist jedoch überzeugt, dass Läden wie der seiner Familie aus dieser ursprüngli­ch flüchtigen Modeersche­inung eine Art stabilem Lifestyle gemacht haben. Weil man halt nicht nur eine Frisurenmo­de anbietet, sondern durch das Team, den Umgang mit den Kunden und den Laden eine Art Gesamtkuns­twerk in durchgesty­lter Optik entwickelt hat, das offenbar sehr gut ankommt. Und das nicht nur bei jenen jungen Männern, die sich Hipster nennen und mit entspreche­ndem Haupthaar, üppigem Bart und vermeintli­ch rustikaler Bekleidung ihren persönlich­en Stil betonen.

 ??  ?? Hagi ist der Chef. Vor vielen Jahren kam er aus dem Irak nach Deutschlan­d. 2015 eröffnete er mit seinen Söhnen das Hagi’s an der Graf-Adolf-Straße.
Hagi ist der Chef. Vor vielen Jahren kam er aus dem Irak nach Deutschlan­d. 2015 eröffnete er mit seinen Söhnen das Hagi’s an der Graf-Adolf-Straße.
 ??  ?? Bisar (Mitte) ist einer der bärtigen Barbiere, die im Hagi’s den Kunden die Haare in Form bringen.
Bisar (Mitte) ist einer der bärtigen Barbiere, die im Hagi’s den Kunden die Haare in Form bringen.
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Die Barbiere beherrsche­n den Umgang mit dem Rasiermess­er.

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