„Zinsen müssen schnell steigen“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sieht Chancen für eine Zinserhöhung, sobald die Inflationsrate nachhaltig um die zwei Prozent liegt. Und er verspricht, dass das Bargeld erhalten bleibt.
DÜSSELDORF Für ein schnelles Ende der Nullzinspolitik hat sich Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ausgesprochen. „Wir müssen die Niedrigzinsphase beenden, sobald dies mit Blick auf die Preisniveaustabilität möglich ist“, sagte Weidmann gestern Abend bei einer Veranstaltung unserer Zeitung mit der Bundesbank in deren Düsseldorfer Hauptverwaltung. Stabile Preise sieht die Europäische Zentralbank (EZB) bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent gewährleistet. Auf einen Zeitpunkt für eine Zinswende wollte sich Weidmann ausdrücklich nicht festlegen. Derzeit hält die EZB die Leitzinsen bei null.
Dass die europäischen Währungshüter durch Zinssteigerungen der amerikanischen Notenbank Fed unter Handlungsdruck geraten könnten, glaubt der frühere Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht: „Da gibt es keinen direkten Zusammenhang. Preise und Konjunktur sind in den USA gefestigter als hier. Deshalb müssen die Vereinigten Staaten und der Euro-Raum nicht im Gleichschritt laufen.“Die derzeitige Lage sei umgekehrt auch ein Vorteil für den Bundesfinanzminister, weil der Bundeshaushalt kaum durch Zinsen belastet werde.
Eine Immobilienblase, wie sie viele in der Niedrigzinsphase fürchten, sieht Weidmann nicht. Zwar seien die Preise in einigen Metropolen wie Düsseldorf und Frankfurt teils um zehn bis 15 Prozent übertrieben, aber es gebe keine Kreditmassen, durch die die Risiken für die Banken über Gebühr stiegen.
Die EZB-Zielmarke von knapp zwei Prozent Inflation wird allerdings nach Weidmanns Einschätzung vorerst noch nicht dauerhaft erreicht. Zwar war die Teuerung im Februar erstmals seit Langem wieder auf zwei Prozent gestiegen. Weidmann hält das allerdings nur für ein vorübergehendes Phänomen: „Die Inflationsrate wird nicht so hoch bleiben.“Der jüngste Anstieg der Teuerung sei auch dem Wiederanstieg der Energiepreise zu verdanken. „Wir müssen aber durch diese kurzfristigen Ereignisse hindurchschauen“, erklärte der Bundesbank-Chef. Die sogenannte Kerninflation, die Energie- und Lebensmittelpreise nicht berücksichtigt, liegt bei einem Prozent.
Weidmann forderte die verschuldeten Staaten, denen die niedrigen Zinsen die Finanzierung erleichtern sollten, dazu auf, die Zeit zu nutzen, ihre Haushalte zu konsolidieren, statt Ausgaben weiter zu steigern. Einen Schuldenschnitt für Griechenland, wie ihn der Internationale Währungsfonds im vergangenen Jahr gefordert hatte, lehnte der Bundesbank-Chef ab: „Griechenland muss seine Probleme selbst lösen. Das Land hat derzeit eine geringere Zinslast als beispielsweise Portugal. Was hilft ein Schuldenschnitt, wenn die Probleme nicht gelöst werden? Dann stehen wir in fünf Jahren wieder genau da, wo wir heute sind.“Man riskiere dann, dass mit Blick auf die Probleme der Staaten die Niedrigzinspolitik länger dauern müsse als eigentlich notwendig.
Weidmann sprach sich für eine neu zu schaffende Einrichtung aus, die die Einhaltung der im Maastricht-Vertrag vereinbarten Haushaltsregeln überwachen solle. Dieser „Schuldenrat“sollte aus unabhängigen Fachleuten zusammengesetzt werden, schlug Weidmann vor. Entscheiden müsse dann nach wie vor der Ministerrat.
Dass die Deutschen irgendwann ohne Scheine und Münzen auskommen müssen und nur noch mit Karten zahlen können, glaubt der Präsident nicht. „Bargeld ist nicht von gestern. Bei Kleinbeträgen ist es sogar günstiger als jede andere Form von Geld. Darum ist die Abschaffung des 500-Euro-Scheins auch kein Schritt in Richtung BargeldAbschaffung“, sagte Weidmann. Das Bargeld werde bleiben, „solange die Bürger es wünschen“.
DÜSSELDORF Seit Jahren leiden die Sparer in der Euro-Zone unter den niedrigen Zinsen. Diese machen das Sparbuch so unattraktiv wie die Lebensversicherung. Wegen der billigen Kredite explodieren in manchen Regionen zugleich die Immobilienpreise. Zu den Folgen und Aussichten befragten gestern Chefredakteur Michael Bröcker und Leser der Rheinischen Post Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Inflation Im Februar lag die Inflation im Euro-Raum erstmals seit langer Zeit wieder bei zwei Prozent und damit leicht über der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent, die sich die Europäische Zentralbank (EZB) gesetzt hat. Zuvor hatte sie lange Zeit deutlich darunter gelegen. Nun werden in Deutschland die Rufe lauter, die EZB möge ihre ultralockere Geldpolitik beenden. Dazu sagte Weidmann: „Die Inflationsrate wird nicht so hoch bleiben. Der Anstieg der Energiepreise wird sich wieder rauswaschen.“Zudem wolle die EZB einen nachhaltigen Anstieg der Inflationsrate sehen, bevor sie die Zinsen wieder anhebe. Zinspolitik und Anleihenkäufe Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen können, liegt seit März 2016 bei null Prozent. Zudem verlangt die EZB von Banken, die bei ihr Geld parken, einen Negativzins von 0,4 Prozent. Lesern, die um ihre Betriebsrenten bangen, machte Weidmann Mut: „Wir müssen die Niedrigzinsphase beenden, sobald dies mit Blick auf die Preisniveaustabilität möglicht ist.“
Die EZB hat bislang Staatsanleihen für 1,7 Billionen Euro gekauft. „Das Volumen ist beeindruckend“, räumte Weidmann ein. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Grenze zwischen Fiskal- und Geldpolitik nicht verwischen.“Zu einem Zeitplan für den Ausstieg aus dem Ankauf, wie ihn die Wirtschaftsweisen fordern, äußerte er sich nicht.
Zugleich beruhigte er: Die Forderungen, die andere Länder an die EZB haben (sogenannte Target-Salden), seien kein Problem. „Die Salden werden nicht weiter steigen, wenn der Anleihenkauf beendet ist.“Und wer Beschränkungen der Salden fordere, würde den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr für die Verbraucher einschränken. Immobilienblase Die Preise für Eigentumswohnungen sind 2016 deutlich schneller gestiegen als in den Vorjahren. Die Bundesbank spricht im Monatsbericht bereits von „Preisübertreibungen“, unter anderem in Frankfurt, Köln und Düsseldorf. Haben wir schon eine Spekulationsblase? „Nein, für den einzelnen Investor mögen die hohen Preise ein Problem sein, für das Bankensystem als Ganzes nicht“, sagte Weidmann. Die hohe Kreditnachfrage sei nur dann ein Problem, wenn sich einzelne Banken zu viele riskante Kredite aufladen würden und umzufallen drohten. „Das sehen wir aber nicht.“ Griechenland Im Juli braucht Griechenland erneut sieben Milliarden Euro, um dann auslaufende Staatsanleihen bedienen zu können. Grundsätzlich haben die internationalen Geldgeber Athen auch 86 Milliarden Euro zugesagt. Um die nächste Tranche zu erhalten, muss die Regierung aber Fortschritte bei Arbeitsmarkt- und Rentenreform vorweisen. Hat Athen genug getan? „Das entscheidet die Troika“, sagte Weidmann. Grundsätzlich hätten andere Länder aber gezeigt, dass man es schaffen kann. „Und die Notenbanken sind nicht dazu da, der Politik Zeit zu kaufen.“ Zukunft des Euro Auf die Frage, ob Deutschland nur die Wahl hätte zwischen Austritt aus dem Euro und Finanzierung einer Transferunion, sagte der Bundesbank-Chef: „Nicht, wenn sich alle in der Euro-Zone an die Spielregeln halten.“Zudem müsse es möglich sein, dass EuroStaaten auch pleite gehen könnten. Einen europäischen Finanzminister brauche man dagegen nicht. Von Eurobonds (gemeinschaftlich aufgenommenen Krediten aller Euroländer), die SPD-Chef Martin Schulz einst gefordert hat, hält Weidmann nichts. „Eurobonds machen nur Sinn, wenn wir in der Eurozone gemeinschaftlich entscheiden und gemeinschaftlich haften.“Dass Länder national entschieden, aber alle haften müssten, verletze die Prinzipien der Marktwirtschaft. Bitcoins und Baregeld Die Bundesbank schaut sich Entwicklungen wie das Internetgeld Bitcoin an. „Bitcoins sind sehr interessant wegen der dahinter liegenden Technologie. Eine Konkurrenz für den Euro sind sie nicht“, sagte Weidmann. Zugleich versprach er: „Bargeld wird bleiben.“Gewiss würden sich Zahlungsströme verschieben, immer öfter werde mit Karte gezahlt. „Doch Bargeld ist nicht von gestern. Gerade für Kleinbeträge ist es günstiger als jede andere Form von Geld.“ Neuer EZB-Präsident Der EZB-Präsident bestimmt maßgeblich über die Geldpolitik und ist einer der mächtigsten Männer Europas. 2019 läuft die Amtszeit von Mario Draghi aus. Der Italiener ist nach Wim Duisenberg (Niederlande) und JeanClaude Trichet (Frankreich) der dritte EZB-Präsident. Nach Europas Spielregeln wäre jetzt Deutschland dran, zumal als größte Volkswirtschaft der Euro-Zone. Weidmann wäre der naheliegende Kandidat. Auf die Frage, wie die Stellenbeschreibung für den neuen EZB-Präsidenten aussehen müsste, sagte Weidmann: „Er muss ein guter Geldpolitiker sein mit Blick für das Wesentliche.“Und darf es auch ein Deutscher sein? Weidmann: „Ich fände es eigenartig, wenn man ein Land ausschließt.“