Rheinische Post

Der radikale Schritt

Lothar Hörning ist homosexuel­l. Bis zu seinem Outing vor 20 Jahren hat er jedoch mit Frau und Kindern zusammenge­lebt. War das eine Lüge?

- VON LAURA IHME

Die Welt mag Lothar Hörning am liebsten bunt. So wie im Karneval. Er liebt die Vielfalt, die Fröhlichke­it, die Unbeschwer­theit der Fünften Jahreszeit. Sogar Karnevalsp­rinz war er in Düsseldorf und hat den schwul-lesbischen Karnevalsv­erein KG Regenbogen mitgegründ­et. „Unglücklic­h war ich noch nie in meinem Leben“, sagt der 55-Jährige. Dabei hat er eine bewegte Geschichte zu erzählen.

Vor Düsseldorf, vor dem Karneval, vor dem Bekenntnis zur Homosexual­ität, führt Lothar Hörning ein ganz anderes Leben. In Bocholt lebt der Angestellt­e im Außendiens­t mit seiner Frau und den zwei Kindern, zwei Söhnen, 7 und 13. Er ist 35 Jahre alt, als er sich entscheide­t, zu gehen, und sich als homosexuel­l outet. Es ist der radikalste Schritt, den Hörning je gemacht hat. „Ich bin nicht von heute auf morgen bewusst schwul geworden“, sagt er. Vielmehr war es ein Prozess, dessen Ausgangspu­nkt eine Begegnung auf einer Party ist, bei der Hörning merkt, dass er mehr als Freundscha­ft fühlt. Das Gefühl, anders zu empfinden, das gleiche Geschlecht anziehend zu finden – es begleitet ihn ab diesem Zeitpunkt sieben Jahre lang. „Natürlich war es in dieser Zeit nicht immer da, das Gefühl kam in Wellen. Aber es war da.“Irgendwann ist sich Hörning dann sicher. Und dann geht alles ganz schnell, verändert er von heute auf morgen sein Leben. Outing, Scheidung, Wegzug.

Vieles wird für Hörning danach einfacher, vieles aber auch nicht, der Umgang mit den Kindern und dem Freundeskr­eis beispielsw­eise: „Manche haben mich nicht verstanden. Aber solche Freunde gehen dann. Die, die es verstehen, bleiben.“Um seinen Kindern das Leben zwischen nun zwei Elternhäus­ern zu erleichter­n, geht er ungewöhnli­che Wege, führt zum Beispiel den „Dritten Weihnachts­tag“ein. „Meine Kinder wollten ihre gewohnten Weihnachts­rituale nicht verlieren, wollten bei der Mutter und bei den Großeltern feiern und nicht plötzlich zu diesen Zeiten zu mir kommen“, sagt er. Anfangs verletzt ihn das, dann macht er den 27. Dezember zum Weihnachts­tag bei Papa, geht die Geschenke mit den Kindern in den wieder geöffneten Geschäften kaufen, ganz entspannt. Das funktionie­rt. Genauso wie der Umzug. „Es gab zur Zeit meines Outings einen anderen Familienva­ter in Bocholt, der sich auch geoutet hat. So etwas spricht sich natürlich rum, also haben wir uns irgendwann getroffen und unterhalte­n“, sagt Hörning. Dieser rät ihm, wegzuziehe­n. Das sei für alle Beteiligte­n das Beste. Klingt nach Flucht. Ist es auch irgendwie, meint Hörning, aber man vermeide eben Konflikte und Getuschel. „Für mich war es die richtige Entscheidu­ng, und ich würde das jedem anderen auch raten.“

Heute ist Düsseldorf der Lebensmitt­elpunkt des 55-Jährigen. Der 27. Dezember ist längst kein Weihnachts­tag mehr. Seine Kinder sind erwachsen, reisen durch die ganze Welt, studieren. Sie kommen jetzt an Weihnach

ten. Oder wann immer es die Zeit zulässt. Hörning hat ein gutes Verhältnis zu ihnen, darauf ist er sehr stolz, das merkt man, wenn er über sie redet. Über die Jahre ist der Friede gekommen, nicht der Friede Hörnings, sondern der der anderen mit ihm. Er selbst bereut nichts – weder die eine noch die andere Vergangenh­eit. „Als Familienva­ter war ich auch sehr glücklich. Ich fand es toll, Kinder zu bekommen, ich schätze auch Frauen sehr“, sagt er. Anderersei­ts ist er sich sicher: Einen Weg zurück gab es nie und wird es auch nicht geben.

Weil er zu dem Zeitpunkt, als er sich endgültig sicher war, schwul zu sein, sofort handelte, habe er gar nicht die Gelegenhei­t gehabt, sich selbst zu belügen. Deshalb ist Hörning mit sich im Reinen. Er hat der Lüge in seinem Leben keine Chance gegeben. Die Geschichte vom späten Outing und der Lebenslüge – bei Lothar Hörning bestätigt sie sich nicht.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Lothar Hörning, 55, war Karnevalsp­rinz in Düsseldorf und hat den schwul-lesbischen Karnevalsv­erein KG Regenbogen mitgegründ­et.

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