Rheinische Post

Massenschl­ägerei als Machtprobe

In Leverkusen hatten sich am Dienstag Dutzende Männer zu einer Schlägerei verabredet. Etliche der Beteiligte­n waren aus dem Umland angereist. Solche Konfrontat­ionen stellten eine neue Dimension dar, sagt ein Gewaltfors­cher.

- VON JESSICA BALLEER UND SEBASTIAN FUHRMANN

LEVERKUSEN Nur aufgrund von Hinweisen von besorgten Bürgern konnte die Polizei in Leverkusen am Dienstagab­end eine Massenschl­ägerei mit bis zu 200 Beteiligte­n verhindern. 80 junge Männer hatten sich am Busbahnhof im Leverkusen­er Zentrum versammelt, auch aus den Stadtteile­n Wiesdorf, Opladen und Rheindorf meldeten Anwohner Gruppen von Jugendlich­en. Als sich die Hinweise auf eine offenbar geplante Schlägerei verdichtet­en, und anschließe­nd über soziale Netzwerke Bekannte mobilisier­ten.

Dass sich Gruppen junger Männer gezielt treffen, um sich gegenseiti­g Gewalt anzutun, sei kein neues Phänomen, sagt Denis van de Wetering, Soziologe und Gewaltfors­cher der Uni Bielefeld. „Wir kennen das aus der Hooligan-Szene und von Kameradsch­aften. Sie sind Brüder im Geiste und trotzdem Feinde.“Die Schlägerei werde genutzt, um sich selbst zu inszeniere­n. „Wenn sich Schläger und Banden mit dem Konkurrent­en auseinande­rsetzen, erfahren sie Anerkennun­g in der eigenen Gruppe“, sagt van de Wetering. Es ist das Ausmaß, was den Gewaltfors­cher auch im Hinblick auf die verhindert­e Schlägerei in Leverkusen nachdenkli­ch stimmt. Der Fall zeige, dass die Gewalt im öffent- lichen Raum eine neue Dimension erreicht habe, sagt van de Wetering.

Es gehe den Schlägern nicht vorrangig darum, den Konkurrent­en zu töten. Vor allem junge Männer und Familiencl­ans nutzten Gewaltakti­onen, um Macht zu demonstrie­ren und sich als männlich zu inszeniere­n. Das Phänomen bezeichnet er als „Hypermasku­linität“. Der öffentlich­e Raum sei eine Bühne. Das Wir-Gefühl werde gestärkt. In dem Moment, in dem die Polizei auftaucht, sei das eine Bestätigun­g für die Beteiligte­n, dass sie nicht mehr unsichtbar sind. „Sie glauben, etwas zu bewegen“, sagt van de Wetering. Fehlende Integratio­n nennt er als Hauptprobl­em. Dass vornehmlic­h Männer mit Migrations­hintergrun­d beteiligt waren, kann laut van de Wetering mit der Situation vieler Flüchtling­e zu tun haben. „Wer den ganzen Tag im Heim sitzt, viel Langeweile hat und wenig Perspektiv­e sieht, kommt auf faule Gedanken.“

Doch er sieht das Problem losgelöst von der Ethnie: Fehlende emotionale Beziehunge­n und politische Teilhabe können Gewalt auslösen. Auf deutsche Staatsbürg­er könne das genauso zutreffen wie auf Einwandere­r. Als Beispiel nennt van de Wetering die Eskalation­en rund um „Hooligans gegen Salafisten“. Die Aktionen seien als Protest getarnt gewesen. „Hypermasku­line“Hintergrün­de und Unzufriede­nheit mit der eigenen Situation hätten aber ebenso eine Rolle gespielt. Für ihn ist die Wurzel des Problems ein gesellscha­ftliches Defizit: „Menschen, die stabil in der Gesellscha­ft verankert sind, machen so etwas nicht.“

 ?? FOTO: DPA ?? Polizisten führen 2014 nach einer Massenschl­ägerei unter Fußballfan­s in Köln eine verhaftete Person ab. Das Phänomen von gewaltsame­n Gruppen-Konfrontat­ionen im öffentlich­en Raum hat sich zu einem Problem entwickelt.
FOTO: DPA Polizisten führen 2014 nach einer Massenschl­ägerei unter Fußballfan­s in Köln eine verhaftete Person ab. Das Phänomen von gewaltsame­n Gruppen-Konfrontat­ionen im öffentlich­en Raum hat sich zu einem Problem entwickelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany