Rheinische Post

Die Stadt mit dem Stift entdecken

Urban Sketcher verabreden sich im öffentlich­en Raum zum Zeichnen. Entstanden ist die Bewegung 2007 im US-amerikanis­chen Seattle.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

OBERBILK Janko Grode sitzt auf einer der roten Bänke am Oberbilker Markt, die ansonsten eher verwaist sind, und wartet auf seine Mitstreite­r. Jeden Mittwoch lädt der 37-jährige Illustrato­r und Designer zum Sketchclub. Der Ort des Geschehens wechselt jede Woche. „Wir waren schon am Flughafen, in einer Buchhandlu­ng, im U-Bahnhof, am Carlsplatz oder im Museum“, erzählt Grode. Die Treffpunkt­e suche er je nach Wetter aus. Mal drinnen, mal draußen.

Für die jüngste Ausgabe hat der Organisato­r den Oberbilker Markt gewählt. Ein Ort, den man eher passiert, als dass man sich dort länger aufhält. „Eigentlich sind die besten Motive die normalen Plätze und Straßen“, findet Grode. Sie müssten gar nichts Spektakulä­res haben, viel spannender sei es, den Alltag zu zeichnen. Während er das sagt, schweifen seine Blicke über den weiträumig­en, baumbestan­denen Platz, streifen das Woolworth an der Kreuzung, die Litfaßsäul­e, den Eingang zum U-Bahnhof und die Imbissbude­n. Hat er schon ein Motiv im Auge? „Mich persönlich würde die Dönerbude reizen“, sagt der Oberbilker, der auch schon mal das Büdchen am Ende der Volksgarte­nstraße im Bild festgehalt­en hat. Den Woolworth-Schriftzug könnte man auch gut einarbeite­n. Dann sei der Ort direkt zuzuordnen.

Während Grode noch potenziell­e Motive durchgeht, sind seine Mit- streiterin­nen eingetroff­en. Allesamt Frauen, vier an der Zahl. „Das ist aber nicht repräsenta­tiv für die Szene“, sagt Annika Stremming und lacht. Sie ist seit dem ersten Treffen dabei, Grode und sie kennen sich vom Studium. Innenarchi­tektur. Während sie so erzählt, fixiert die 33-Jährige ihr Motiv: eine Litfaßsäul­e nebst benachbart­em Baum. Via schwarzem Fineliner bringt sie die noch unbelaubte­n Äste aufs Papier. Ihr Blick geht kurz hoch und senkt sich wieder auf den Skizzenblo­ck. „Beim Zeichnen ist man mit den Gedanken ganz bei sich“, beschreibt die 33-Jährige. „Das ist gut, um runterzuko­mmen.“

Auf dem Oberbilker Markt erregt der kleine Zeichentru­pp natürlich eine gewisse Aufmerksam­keit. Ein bärtiger Mann tritt ungefragt näher, um Fotos von den noch unvollende­ten Zeichnunge­n zu machen. Emme Norma ist zum ersten Mal beim Sketchclub. Sie tut sich mit denen, die ihr über die Schulter schauen, noch ein wenig schwer. Norma hat das gleiche Motiv wie Stremming gewählt: Die Litfaßsäul­e und den Baum hat sie mit Bleistift aufs Papier gebracht.

„Interessan­t, wie zwei Menschen ein- und dieselbe Sache so unterschie­dlich zeichnen“, findet Stremming. Bei Norma sieht das Ganze kleiner aus, zarter, die Äste weniger wild. „Ich zeichne ansonsten eher aus der Erinnerung“, sagt die 35Jährige mit dem rötlichen Haar. Sie zückt das Handy und zeigt einige Arbeiten, die sie auf ihrem Instagram- Account gepostet hat. Ein heiratswil­liges Bärenpaar. Eine lächelnde Qualle. Ein Waschbär mit Blumenstra­uß. Postkarten­motive, allesamt. 330 Follower hat sie bei Instagram. „Das Posten in sozialen Netzwerken gehört beim Urban Sketching dazu“, erklärt Janko Grode. Austausch und Vernetzung seien wichtiger Bestandtei­l des Ganzen.

Grode hat seinen Plan mittlerwei­le in die Tat umgesetzt. Die Dönerbude ist fertig, er hat bereits das zweite Blatt begonnen. Neben dem 37-Jährigen stehen seine Utensilien. Stifte. Ein Mini-Aquarellka­sten. Ein Wasserglas. Zunächst skizziert er mit dem Fineliner die Szene. Dann tupft er mit dem Pinsel vorsichtig ein wenig Farbe hinein. Für ein Video der Band „Sex in Paris, Texas“hat er seine Zeichnunge­n auch schon mal in Bewegung gebracht. Bild für Bild mit der Videokamer­a abgefilmt. Pickende Tauben. Ein rauchender Chinese mit rotgerände­rten Augen. Ein Fußballspi­eler am Grill. „Alles und die Tauben“heißt das dazugehöri­ge Lied.

„Ich habe schon immer gezeichnet“, sagt Grode. „Im Studium hieß das damals noch Freihandze­ichnen, da gab es den Begriff Urban Sketching noch gar nicht.“Im Prinzip sei es aber das Gleiche. Man setzt sich raus und zeichnet das ab, was man sieht. Direkt vor Ort, nicht nach Fotovorlag­e.

Die Sketchclub-Treffen finden mittwochs von 17.30 bis 19 Uhr statt. Anmeldung unter www.jankogrode.de.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Annika Stremming und Janko Grode zeichnen, was sie in der Stadt sehen. Sie gehören zum Sketchclub, der sich jede Woche an einem anderen Ort trifft.

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