Merkel: US-Angriff nachvollziehbar
Präsident Trump lässt einen syrischen Stützpunkt angreifen – als Reaktion auf den Einsatz von Giftgas. Deutschland und Frankreich stellen sich hinter die USA, Syriens Schutzherr Russland ist erbost.
BERLIN Die Bundesregierung hat sich hinter den US-Militärschlag gegen eine syrische Luftwaffenbasis gestellt. Es sei „hochplausibel“, dass das Regime von Baschar al Assad für einen Giftgaseinsatz am Dienstag verantwortlich sei, erläuterte das Auswärtige Amt in Berlin. Der wiederholte Einsatz chemischer Waffen und die Verbrechen des Regimes gegen die eigene Bevölkerung hätten eine „Sanktionierung“verlangt, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande nach einem Telefonat. Für das Geschehen trage Assad die alleinige Verantwortung. Merkel betonte, angesichts des Leids der Zivilbevölkerung sei der US-Angriff „nachvollziehbar“.
Präsident Donald Trump hatte die Aktion befohlen, weil das AssadRegime mit dem Giftgaseinsatz „eine ganze Reihe von Linien überschritten“habe. Bei der Attacke waren nach Angaben der Uno mindestens 84 Menschen ums Leben gekommen. Als Ziel für die Vergeltung wählte Trump einen Luftwaffenstützpunkt bei Homs, von dem aus nach Trumps Darstellung der Giftgasangriff gestartet wurde. Neben syrischen sollen dort auch russische und iranische Soldaten stationiert sein. Bei dem Beschuss mit 59 „Tomahawk“-Marschflugkörpern von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer wurden nach syrischen Angaben fünf Soldaten und neun Zivilisten, darunter vier Kinder, getötet.
Russland und Deutschland waren von dem bevorstehenden Militärschlag informiert worden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekam die Information von ihrem US-Amtskollegen James Mattis. Sie und Regierungsberater Christoph Heusgen informierten in der Nacht die Kanzlerin. Es sei eine einmalige Intervention gewesen, versicherte die US-Regierung. Trump rief noch in der Nacht „alle zivilisierten Nationen auf, sich uns anzuschließen und zu versuchen, das Schlachten und Blutvergießen in Syrien zu beenden“.
Der Angriff löste eine weitere Krise zwischen den USA und Russland aus. Der Kreml nannte das Vorgehen einen „Akt der Aggression gegen einen souveränen Staat, gegen das Völkerrecht, mit einem erdach- ten Vorwand“. Russland setzte eine Vereinbarung mit dem US-Militär aus, nach der sich beide Länder über Militärflüge und Angriffe über Syrien informierten, und kündigte an, die syrische Luftabwehr zu verstärken. Das Regime in Damaskus, das jede Verantwortung für den Giftgaseinsatz zurückweist, nannte den Angriff unverantwortlich; die USA seien einer „falschen Propagandakampagne“aufgesessen.
Merkel beriet die neue Lage nach dem Militärschlag auch mit Außenminister Sigmar Gabriel und SPDChef Martin Schulz. Dieser bedauerte, dass der UN-Sicherheitsrat zuvor nicht in der Lage gewesen sei, zu dem Giftgaseinsatz eine klare Antwort zu finden. Mit den amerikanischen Luftschlägen sollte nach seinen Worten „die Fähigkeit des Assad-Regimes, weitere Kriegsverbrechen zu begehen, eingeschränkt werden“. Anders reagierten die Linken. Die „gezielte Provokation gegen Russland“drohe „aus dem Stellvertreterkrieg in Syrien jetzt einen Weltkrieg zu machen“, warnte Außenpolitikerin Sevim Dagdelen. Leitartikel
I m Wahlkampf hatte Donald Trump sich immer wieder gegen ein militärisches Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg ausgesprochen. Als Barack Obama 2013 im letzten Augenblick davor zurückzuckte, einen Militärschlag gegen das Regime von Diktator Baschar al Assad anzuordnen, der zuvor mehr als 1400 Zivilisten mit Giftgas hatte ermorden lassen, applaudierte Trump. Und nun hat der USPräsident innerhalb von 24 Stunden entschieden, das genaue Gegenteil zu tun.
Die Wende ist atemberaubend, aber sie war auch wieder typisch für Trump, der seine Unberechenbarkeit zum System erhoben hat. Emotionen haben dabei aber wohl auch eine Rolle gespielt, die aufrichtige Empörung über dieses monströse Verbrechen. Und vielleicht auch Trumps Eitelkeit und sein Wunsch, sich mit seinem Angriffsbefehl als zupackender, entschlossener Führer zu präsentieren. Eine Entscheidung aus dem Bauch also, auch wenn er sie noch lange Tmit Regierungsexperten beraten hat. rotzdem hat Trump womöglich genau das Richtige getan. Instinktiv. Vielleicht hat der neue US-Präsident mit diesem überfälligen Warnschuss für Baschar al Assad die Sprache gefunden, die auch ein Wladimir Putin am besten versteht. Es geht um Glaubwürdigkeit, und in manchen Situationen bleibt eine Demonstration militärischer Stärke leider das einzige Mittel, sich Respekt zu verschaffen – und Gehör. Seit Obamas Rückzieher 2013 hatten die USA im Mittleren Osten beides weitgehend verloren. Deswegen liegt in dieser begrenzten militärischen Intervention neben dem unbestreitbaren Risiko eben auch eine Chance.
Wenn sich Russland und die USA verständigen sollen, um den Krieg in Syrien zu beenden, dann kann das nur auf Augenhöhe erfolgen. Natürlich könnte Putin diese Machtprobe jetzt eskalieren lassen, aber daran dürfte er kein Interesse haben. Man sollte sich vom ersten Theaterdonner aus Moskau nicht täuschen lassen: Die Aussicht, dass Amerikaner und Russen in der Region künftig enger zusammenarbeiten, sind nicht schlechter, sondern besser geworden.
Viel wird aber davon abhängen, ob Trump sich jetzt auch politisch in Syrien engagiert. Das ist weit komplizierter als der Abschuss einiger Raketen. Washington braucht schnell eine Strategie, die nicht nur Russland, sondern auch die in den Konflikt verwickelten Regionalmächte berücksichtigt, allen voran den Iran, der in Damaskus längst heimlich die Macht übernommen hat. Die nächste amerikanische Salve muss diplomatisch sein, und das war ja bisher nicht gerade die Stärke von Donald Trump. Aber wer weiß, vielleicht überrascht er uns ja noch einmal.
BERICHT MERKEL: US-ANGRIFF NACHVOLLZIEHBAR, TITELSEITE