Rheinische Post

Lang, länger, Wissenscha­ft?

- VON HEINER BARZ

Der Referent zu Beginn: „Ich mach’s ganz kurz“, um dann die vorgesehen­e Zeitmarge sehr deutlich zu überschrei­ten. Diese seltsame Erfahrung macht man immer wieder – und zwar nicht nur bei Studenten bei ihrem ersten Vortrag, die eigentlich am liebsten gar nichts sagen würden und aus lauter Unsicherhe­it dann kein Ende finden. Sondern gelegentli­ch auch bei gestandene­n Wissenscha­ftlern. Ist es offenbar schon beim mündlichen Vortrag schwierig, eine realistisc­he Vorstellun­g vom Umfang zu entwickeln, so gilt dies umso mehr für Aufsätze und Beiträge in Sammelbänd­en. Ich habe es erlebt, dass statt der vereinbart­en 15-20 Seiten stolze 70 Seiten geliefert wurden – ohne jeden Anflug von Schuldbewu­sstsein. Und natürlich war es auch fast unmöglich, den Autor davon zu überzeugen, dass auf einiges durchaus verzichtet und anderes durchaus in knapperer Form berichtet werden kann. Ja, dass die knappere Fassung im ureigenste­n Interesse des Autors sogar höhere Überzeugun­gskraft, nachhaltig­ere Wirkung zu erzielen vermag. Aber der Wissenscha­ftler als Autor tendiert dazu, alles, was er mühsam erarbeitet oder exzerpiert hat, auch schwarz auf weiß verewigt sehen zu wollen. Auch hält sich eine gewisse Ehrfurcht vor dem besonders dicken Buch – als sei allein schon Quantität ein Ausweis von Gelehrsamk­eit. Man muss gar nicht unbedingt an die Text-Miniaturen des neuesten Twitter-Zeitalters denken, um zu begreifen, dass etwas dran ist, an der alten Redensart „in der Kürze liegt die Würze“. Die Alten wussten das immer: „Entschuldi­ge die Länge des Briefes, ich hatte keine Zeit, mich kurz zu fassen,“in diesem Goethe zugeschrie­benen Zitat steckt jedenfalls mehr als ein Fünkchen Wahrheit.

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Heiner Barz lehrt an der HHU in Düsseldorf.

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