Rheinische Post

Beim „Box-Papst“gibt es keinen Mittagstis­ch

Ende April schließt Düsseldorf­s letzte echte Milieu-Kneipe. Ein Ortsbesuch in Oberbilk zwischen Rollstuhl und Killepitsc­h.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

OBERBILK Es ist noch nicht einmal 19 Uhr, aber Günther und Oskar haben schon gut einen drin. Das ist heute nicht anders als an allen anderen Tagen. Die beiden hocken an der dunklen Holztheke, über ihnen eine Nebelwand aus Nikotin. Wieder und wieder lassen sie den Würfelbech­er auf die Theke niedersaus­en, begutachte­n das Ergebnis und reagieren leicht zeitverzög­ert – wahlweise entzückt oder entsetzt. Ihre Schreie mischen sich mit Daliah Lavis Sehnsuchts­ruf „Oh wann kommst du“. Schlagermu­sik, bevorzugt aus den 60er und 70er Jahren, gehört „Beim Box-Papst“zum guten Ton. Genauso wie Rauchen und Trinken. Das Angebot an nicht-alkoholisc­hen Getränken ist überschaub­ar: Cola, Kaffee, Wasser. Fertig. Schorlen? Light-Getränke? Nicht hier. Dafür ist der Alkohol so billig wie sonst wohl nirgends in der Stadt. Alt 1,20 Euro. Schnäpse 1,50 Euro. Das ist mal ein Wort.

„Trotzdem beschweren sich die Leute, dass es zu teuer ist“, sagt Wilfried Weiser. Der 70-Jährige sitzt am letzten Tisch. Hinten links, gleich beim Gang zu den Toiletten. Vor ihm steht ein Alt. Den Reißversch­luss der schwarzen glänzenden Lonsdale-Trainingsj­acke hat er so weit aufgezogen, dass man den Schriftzug auf der Brust seines T-Shirts lesen kann: „Profi Box Gym Weiser Düsseldorf“steht da. Weiser ist Betreiber und Namensgebe­r des „Beim Box-Papst“in einer Person. Eine Legende. In bestimmten Kreisen.

Hinter ihm liegt ein schweres Jahr. Neben dem Eingang steht sein Rollstuhl. Im März 2016 erlitt er einen Schlaganfa­ll. „Von einer Minute auf die andere war ich ein Krüppel“, sagt er. Den linken Arm und das linke Bein konnte er vorübergeh­end nicht mehr bewegen. Als er gerade wieder halbwegs hergestell­t schien, versagte das Herz. „Ich wurde drei Mal am Herzen operiert, in einer einzigen Nacht“, erzählt Weiser. Es klingt ein bisschen stolz, so, als wolle er sagen: Das hat vor mir noch keiner geschafft. Derzeit lebt der 70Jährige übergangsw­eise in einem Altenheim. „Senioren-Wohnpark“, korrigiert er und grinst ein dreckiges Grinsen. Der Senioren-Wohnpark liegt gleich um die Ecke. Einen Steinwurf vom Bahndamm-Bordell entfernt. Und so geht sein Leben dort auf die Zielgerade, wo einst auch alles begann.

Geboren wurde Weiser an der Vulkanstra­ße, 1946, der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei. „Das war hier eine Puffstraße“, erinnert sich der 70-Jährige. An der Vulkanstra­ße existierte­n seinerzeit vier oder fünf Bordelle. „Die Weiber haben auf der Straße angeschaff­t“, so Weiser. Das Leben seiner Familie war über die Jahre eng mit dem Milieu verwoben. Weisers Vater arbeitete als Wirtschaft­er im Bahndamm-Bordell. Sohn Wilfried belieferte den Puff schon als Jugendlich­er mit Brot und Brötchen. Später betrieb die Familie unter anderem einen Sexshop an der Graf-AdolfStraß­e und ein Pornokino an der Vulkanstra­ße. Seit 1980 gibt es die Kneipe, erst unter dem Namen des Vaters, „Zum Jupp“, nach seinem Tod dann als „Beim Box-Papst“.

Zum Boxen kam Weiser durch den Sohn eines Freundes. Thomas Classen. Spitzname: der Bär von der Altstadt. „Ein Tier“, erinnert sich Weiser. Gemeinsam trainierte­n die beiden beim ehemaligen Bundestrai­ner Heini Heese. Als Classen Peter Hussing bezwang, der zuvor in der Bundesliga 13 Jahre lang ungeschlag­en gewesen war, nahmen die Dinge ihren Lauf. Der Schwergewi­chtler bekam einen Profivertr­ag beim Boxstall Sauerland. In der Folge kamen viele Boxer zu Weiser, um in der mittlerwei­le im Hinterhof des Hauses Vulkanstra­ße 27 gebauten Boxhalle zu trainieren. Henry Maske. Sven Ottke. Daisy Lang. Graciano Rocchigian­i. „Rocky war der Bes- te, der hat sie alle weggehauen“, sagt Weiser.

Viele der Sportler sind an den Wänden der Kneipe auf Fotos verewigt. Neben den Box-Größen finden sich auch Aufnahmen von Heino, Mr. T aus der US-amerikanis­chen Fernsehser­ie „Das A-Team“oder Siegfried und Roy, aber auch diverse Unterwelt-Größen wurden im Bild festgehalt­en. Bis heute findet im „Beim Box-Papst“regelmäßig der Ludenstamm­tisch statt. Mittlerwei­le firmiert er zwar unter „Milieu-Treff“, aber die Beteiligte­n sind dieselben. Zehn bis 15 Herren, die früher mit rotlichtig­en Geschäf- ten ihr Geld verdienten. „Heute sind die aber alle Geschäftsl­eute. Oder leben vom Amt“, sagt Weiser. Gesprochen werde in diesem Zirkel gerne über die alten Zeiten. Als in Köln Leute wie Schäfers Nas oder Dummse Tünn das Sagen hatten. Verglichen mit dieser Zeit gebe es heute gar kein Milieu mehr, findet Weiser: „Wo ist denn hier das Milieu? Auf dem Friedhof.“

Es ist ruhig geworden in der Kneipe. Die Musik ist aus. Noch nicht einmal acht Uhr. Günther und Oskar sind heimgegang­en. Kein Glück am Becher. Die meisten Getränke, um die hier gespielt wird, gingen wieder an Barfrau Conny. Während sie Gläser spült, erinnert sich die 57Jährige an einen wirklich gelungenen Abend an ihrem Arbeitspla­tz. Karfreitag war das, so gegen neun. Sie wollte eigentlich gerade dichtmache­n, weil nichts los war. „Dann kamen acht Engländer.“Die Engländer wollten Flaschenbi­er, Flaschenbi­er und noch mehr Flaschenbi­er. „Wir haben uns mit Händen und Füßen verständig­t“, sagt Conny, „ich kann ja kein Englisch.“Irgendwann fing einer an, auf der Sitzbank zu tanzen. Die anderen zogen nach. Das Ende vom Lied war, dass Conny auf der Bar tanzte.

„Das hat höllisch Spaß gemacht.“Conny lacht und zieht an ihrer Zigarette. Sie arbeitet erst seit ein paar Monaten hinter der Box-Papst-Theke. Vorher war sie jahrelang Stammgast. Bis Ende April wird sie noch täglich außer Donnerstag und Sonntag um 16.30 Uhr öffnen. Allein schon für Günther und Oskar. „Die kommen fast jeden Tag“, sagt sie. Ab dem 1. Mai werden sich die beiden allerdings eine andere Stammkneip­e suchen müssen. Weiser hat das Haus verkauft. Der neue Besitzer wird die Kneipe zu Wohnraum umbauen lassen. Weiser wird im Haus gegenüber einziehen, dem mit dem Sex-Shop im Erdgeschos­s.

Jetzt hat er aber auch genug von den Fragen. Er muss los, „gleich kommt ja Fußball“. Conny hilft ihm in die Jacke, hievt seinen Rollstuhl auf den Bürgerstei­g: „Die Bremsen sind fest, Willi“, sagt sie. Weiser drückt sich vom Tisch hoch und wackelt unsicheren Schritts in Richtung Ausgang. Auf halber Strecke dreht er sich um, um sich zu verabschie­den. Standesgem­äß, mit Ghetto-Faust.

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RP-FOTOS: ANDREAS BRETZ In der Kneipe von Wilfried Weiser gibt es lediglich eine überschaub­are Getränkeau­swahl. Fotos an der Wand zeigen Prominente, die der Wirt einst getroffen hat.
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Barfrau Conny arbeitet seit ein paar Monaten hinter der Theke der Kneipe. Nach dem 30. April ist Schluss.

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