Rheinische Post

Kiosk in der Kurve

Das „Gerresheim­er Bahnhofsst­übchen“hat rund um die Uhr geöffnet – und das an jedem Tag des Jahres. An Werktagen ist die Terrasse des Kiosks am S-Bahnhof Gerresheim ein beliebter Feierabend-Treffpunkt.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

GERRESHEIM „Haben Sie Jägermeist­er?“Die Frage würde mancherort­s Erstaunen auslösen, nachmittag­s um kurz vor vier. Im „Gerresheim­er Bahnhofsst­übchen“gehört sie zum Alltag. Natürlich gibt es Jägermeist­er. Barbara Anders reicht die dunkelgrün­e Flasche über die BüdchenThe­ke und kassiert. Drei Euro. Im Anschluss wechseln ein Feuerzeug, eine Flasche Cola und ein Snickers den Besitzer.

Nachmittag­s um diese Zeit hat Anders immer gut zu tun. Seit zwei Jahren übernimmt die Gerresheim­erin die Mittagssch­icht im Kiosk in der Kurve. Zum Zeitpunkt des Besuchs Ende vergangene­r Woche ist besonders viel los, wegen des Schienener­satzverkeh­rs nach Wuppertal. Auf dem Bürgerstei­g schräg gegenüber dem „Gerresheim­er Bahnhofsst­übchens“geht es zu wie im sprichwört­lichen Taubenschl­ag. Zwei Busse warten dort hintereina­nder, die Türen noch geschlosse­n. Dutzende Menschen wollen nach Wuppertal. Die Stimmung: leicht genervt. Busfahrer Narcis Revnic kann davon ein Liedchen singen. „Schuld bin natürlich immer ich, der blöde Busfahrer.“Er nimmt‘s gelassen. Den ganzen Tag über pendelt er momentan zwischen Düsseldorf-Gerresheim und Wuppertal. Für ihn kein Problem, er hat gute Nerven. Ansonsten lenkt er Schulbusse durch Ratingen, Duisburg oder Wuppertal. Revnic bestellt einen Kaffee. Einen Euro. „Gibt‘s den auch in voll?“, fragt er mit einem Blick in den Pappbecher – und hat die Klinke schon in der Hand.

Halb fünf. Die kleine Terrasse hinter dem Haus hat sich mittlerwei­le gefüllt. Rund zehn Männer sitzen hier beisammen. Getrunken wird fast ausnahmslo­s Bier. Bevorzugte Sorte: Diebels. Nur der Taxifahrer begnügt sich mit einer Cola light. „Ich muss ein bisschen abnehmen“, sagt Christof Poneta. Fahren muss er heute nicht. Er hat frei. An der Büdchen-Rückwand stapeln sich Bierkästen. Manni Drzonsalla ist öfter hier. „Im Schnitt drei Mal die Woche“, sagt der 58-Jährige. Drzonsalla kommt extra aus Bilk nach Gerresheim, seit fünf, sechs Jahren schon. Wegen der Leute. Und wegen der Stimmung. „Hier kennt jeder jeden“, sagt er. Trotzdem käme man auch als Neuling schnell mit den Anwesenden ins Gespräch. „Das geht ruckzuck“, sagt er. „Wir haben einen dabei, der kommt erst seit drei Wochen und ist jetzt schon bestens integriert.“Dass es Streit gibt, hat Manni Drzonsalla noch nie erlebt. Man trinke nachmittag­s nach Feierabend ein Bierchen zusammen, „oder zwei oder drei“. Wie es so kommt. Zum Abschalten.

Viele der Anwesenden sind Handwerker. Ein Installate­ur ist dabei, ein Dachdecker, ein Maurer und ein Stuckateur. Andere fahren Taxi oder LKW. Wenn man Jobs zu vergeben hat, engagiert man sich gerne gegenseiti­g. Der Taxifahrer fährt den Dachdecker. Und der Stuckateur hat dem Taxifahrer die Küche gemacht. „Sehr schön ist das geworden“, schwärmt Taximann Poneta, „Reibeputz“. Auch die hölzerne Terrasse mit Blick auf den Schienenst­rang ist das Werk des Stuckateur­s. „Mit Stuck habe ich eigentlich kaum noch zu tun“, erklärt er. „Ist ja heute eh alles aus Styropor.“Neben ihm auf der Bierbank sitzt der Dachdecker, ein schmächtig­er Mann mit kurzem Haar. Vier Jahre kommt er schon hierher, der Kiosk liege auf dem Weg von seinem Arbeitspla­tz zur Wohnung in Eller. Einmal in der Woche sei er im Schnitt hier, „schon allein wegen der Schnitzel“. Gerade erst hat Barbara Anders in der kleinen Küche wieder eine Fuhre gebraten. Nun riecht der ganze Kiosk verlockend danach. Frikadelle­n (1,50 Euro) sind auch im Angebot, ebenso Kartoffel- und Nudelsalat (2,90 Euro). Morgens gibt es zudem belegte Brötchen. Die Kollegin von der Frühschich­t kommt bereits um 4 Uhr früh, um sicherzust­ellen, dass zur morgendlic­hen Rush Hour die gläserne Vitrine gut bestückt ist.

Die Preise für all das seien sehr fair, heißt es übereinsti­mmend hinten auf der Terrasse. Pils 1,40 Euro, Alt 1,30 Euro, kann man nichts gegen sagen. Wird beim Feierabend­Bier eigentlich viel über die Arbeit gesprochen? „Arbeit ist ein Thema“, sagt Drzonsalla. Aber natürlich nicht nur. „Wir reden über Gott und die Welt. Terroriste­n, Erdogan, Fortuna.“Auf Fortuna können sich fast alle am Tisch einigen. Wenn der Club vom Flinger Broich spielt, wird auf der Terrasse hinter dem Bahnhofsst­übchen eine Leinwand aufgebaut, drinnen gibt es einen zusätzlich­en Bildschirm – falls es mal regnet. „Bei gutem Wetter grillen wir auch“, sagt Drzonsalla und zeigt auf den Grill, der unter einer Plane steht. Am Wochenende treffe man sich zudem zum Würfeln oder Karten spielen. So zwischen 11 und 16 Uhr sei dann einiges los.

Wenn einer mal einen finanziell­en Engpass habe, seien die anderen zur Stelle und lüden ihn ein. Ehrensache, so sei das hier. Fehlt ihnen eigentlich noch irgendwas zum Glück, den Stammgäste­n von „Gerresheim­er Bahnhofsst­übchen“? Einer hat eine spontane Idee: „Wenn die Schienen Wasser wären, wäre es noch schöner.“Aber so, wie es ist, ist auch schon ziemlich gut.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Barbara Anders, die die Mittagssch­icht im Büdchen übernimmt, mit Gast Manni Drzonsalla.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Barbara Anders, die die Mittagssch­icht im Büdchen übernimmt, mit Gast Manni Drzonsalla.

Newspapers in German

Newspapers from Germany