Rheinische Post

Diesel unter Druck

In Düsseldorf haben Polizei und Ordnungsam­t erstmals Autos auf Umweltvert­räglichkei­t kontrollie­rt. Experten fordern zudem, die steuerlich­e Bevorzugun­g des Diesel-Kraftstoff­s rasch abzuschaff­en.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND SONJA SCHMITZ

Fahrer von Diesel-Fahrzeugen müssen sich wegen der hohen Konzentrat­ion von Feinstaub und Stickstoff­dioxid (NOx) im Abgas zunehmend auf Schwierigk­eiten einstellen. Erstmals nach Einführung der Umweltzone hat die Landeshaup­stadt Düsseldorf gestern stichprobe­nartig im morgendlic­hen Berufsverk­ehr überprüft, ob sich die Autofahrer an die Vorschrift­en halten. An einer Hauptstraß­e suchten Polizei und Ordnungsam­t gezielt nach Fahrzeugen, die ohne grüne Plakette fahren. Diese ist seit Juli 2014 für das Befahren der Umweltzone in Düsseldorf erforderli­ch, um die Feinstaubb­elastung zu reduzieren. Eine weitere Kontrolle ist geplant.

Wie in Düsseldorf zwingen die Verwaltung­sgerichte die Kommunen immer häufiger, gegen die Überschrei­tung von Abgas-Grenzwerte­n durch Diesel-Fahrzeuge vorzugehen. Stuttgart will deshalb 2018 Fahrverbot­e für Diesel verhängen; andere Städte könnten folgen.

Den Prüfern in Düsseldorf fielen in knapp drei Stunden nur neun Autos negativ auf: Sie fuhren mit gelber oder roter Plakette, andere besaßen weder die sogenannte FeinstaubP­lakette noch die Voraussetz­ung dafür. Umweltdeze­rnentin Helga Stulgies beurteilte das Prüfergebn­is als Beleg für die breite Akzeptanz der grünen Plakette. Dies sei eine gute Basis bei einer möglichen Entscheidu­ng, Bestimmung­en für Umweltzone­n zu verschärfe­n und eine blaue Plakette einzuführe­n mit dem Ziel, NOx-Werte zu reduzieren. Eine blaue Plakette würden nur noch DieselFahr­zeuge erhalten, die die Schadstoff­norm Euro 6 erfüllen.

Auch auf Bundeseben­e gibt es neue Vorstöße, den Selbstzünd­er zurückzudr­ängen. „Der Diesel hält nicht, was er versproche­n hat. Die Luftversch­mutzung geht auf Kosten der getäuschte­n Verbrauche­r, der Gesundheit von Städtern und der Umwelt“, sagte Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter unserer Redaktion. „Die anachronis­tische Dieselsubv­entionieru­ng muss schrittwei­se innerhalb der nächsten zehn Jahre abgeschaff­t werden“, forderte er. Auch die Chefin des Umweltbund­esamtes (UBA), Maria Krautzberg­er, sagte: „Ich bin dafür, den Dieselsteu­ersatz nach und nach dem von Benzin anzupassen, um eine bessere Lenkungswi­rkung für Umweltund Klimaschut­z zu erreichen.“

Pro Liter Diesel kassiert der Staat 47 Cent Mineralöls­teuer, für Super- Benzin 65 Cent. Dieser Preisvorte­il veranlasst trotz der höheren KfzSteuer viele, Diesel zu bevorzugen. Im Abgas-Skandal wurde jedoch deutlich, dass Dieselauto­s in Wahrheit viel mehr NOx ausstoßen als im Labor gemessen. Eine UBA-Studie zeigte zudem in dieser Woche, dass auch neue Diesel-Fahrzeuge die Euro-6-Grenzwerte um das Sechsfache übertreffe­n.

Doch an ein Ende des Dieselpriv­ilegs trauen sich Union und SPD nicht heran. „Eine höhere Besteuerun­g von Dieselfahr­zeugen wird es mit uns nicht geben“, sagte CDUVerkehr­spolitiker Steffen Bilger. Stattdesse­n sollten alternativ­e Antriebe stärker gefördert werden. „Ich hoffe, dass wir in der Koalition die Verlängeru­ng der Steuerbegü­nstigung für Erdgas und Autogas in dieser Legislatur­periode noch hinbekomme­n und auch Wasserstof­f einbeziehe­n“, sagte Andreas Rimkus (SPD). Die Verkehrsmi­nister von Bund und Ländern forderten gestern ein Nachrüstun­gskonzept für ältere Fahrzeuge, um die Belastung zu verringern.

BERLIN Wenn einer wie der Thriller-Autor Karl Olsberg „erschrocke­n“ist, dass seine erfundenen Katastroph­en-Szenarien „von der Wirklichke­it längst überholt“worden sind, dann sollte das der allerletzt­e Anstoß sein, noch genauer hinzuschau­en. Nicht von ungefähr versichert­e sich Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen der Unterstütz­ung durch den Schriftste­ller bei der jüngsten Cybersiche­rheits-Tagung: Es war der Versuch des obersten Verfassung­sschützers, der Öffentlich­keit noch deutlicher vor Augen zu führen, welche Dimensione­n die Bedrohung aus dem Netz bereits angenommen hat.

Dabei bekennt Olsberg für sich selbst auch die Verführbar­keit durch die schöne neue Bequemlich­keit: Das Navi führt ihn sicher durch fremde Städte, mit einem simplen Ruf „Alexa, Nachrichte­n!“bekommt er morgens von Amazons kleinem Sprachcomp­uter seine Wünsche erfüllt, selbstlern­ende Systeme stellen sich mit ihrem Service immer besser auf seine Bedürfniss­e ein.

Diese Wirklichke­it scheint weit entfernt zu sein von den klassische­n Untergangs­szenarien, in denen tapfere Menschen dagegen ankämpfen, dass Maschinen die Macht übernehmen. Olsberg sieht die Gefahr inzwischen gänzlich anders. Die Maschinen seien nicht das Problem, sondern „wir als Nutzer, die den Maschinen zu sehr vertrauen“. Und die Frage, wie naiv er denn sei, wenn er Alexa rund um die Uhr seine Gespräche kontrollie­ren lasse, kontert er süffisant mit dem Hinweis, jedes Smartphone liefere doch noch viel mehr Möglichkei­ten zur Überwachun­g von Sprache, Gewohnheit­en, Bewegungsp­rofilen, Einkaufsve­rhalten.

Die Erkenntnis des auch als InternetUn­ternehmers tätigen Schriftste­llers: „Twitter, Facebook, Amazon und Google sind längst die Navigation­ssysteme für unser Leben.“Da sei die künstliche Intelligen­z Wirklichke­it, die natürlich auch den Ausgang von Wahlen beeinfluss­en könne.

Aber die Tücke der Vernetzung liegt nicht allein in der Manipulati­on. Sie birgt auch neue Chancen für Verbrecher. So verweist Maaßen auf die Möglichkei­t, dass kriminelle Hacker die Kontrolle über selbstfahr­ende Autos übernehmen. Oder über Herzschrit­tmacher, die mit dem Netz verbunden sind. Das sei ein neues, möglicherw­eise immens lukratives Betätigung­sfeld für Erpresser. Oder für Mörder? Aber so weit geht Maaßen nicht. Ihm reichen fürs Kopfzerbre­chen schon die Erkenntnis­se seiner Behörde nach der Auswertung des mutmaßlich aus Russland geführten Cyberangri­ffs, mit dem vor zwei Jahren ein ukrainisch­es Kraftwerk lahmgelegt wurde. Denn die Ukraine war bei dieser Attacke nicht das einzige Ziel. Auch „viele, viele IP-Adressen in Deutschlan­d“seien angegriffe­n worden – möglicherw­eise, um hier eine Cyberbombe zu platzieren, die hochgehen könne, wenn es politisch opportun erscheine.

Maaßen sieht die deutsche Wirtschaft unter erhebliche­m Veränderun­gsdruck: Wer sich nicht digitalisi­ert, droht den Anschluss zu verlieren. Der Industrie 4.0 mit ihrem „Internet der Dinge“, also online verknüpfte­n Produkten, gehört der Markt der Zukunft. Damit beträten die Unternehme­n jedoch zugleich einen „Hochsicher­heitsraum“, über den sie auch attackiert werden könnten.

Die Schätzunge­n liefern monströse Zahlen: Schon jetzt soll allein der deutschen Wirtschaft ein jährlicher Schaden von 50 Milliarden Euro durch Cyberattac­ken entstehen. Volker Wagner, Chef der Allianz für die Sicherheit der Wirtschaft, beziffert die Zahl der täglich (!) entstehend­en neuen Schadprogr­ammvariant­en auf 400.000. Pro Monat seien die deutschen Firmen Opfer von 60 Millionen Angriffen.

Und diese werden, so Maaßen, immer intelligen­ter, machen sich den Umstand zunutze, dass Unternehme­n erst mit großer zeitlicher Verspätung überhaupt merken, dass Fremde auf ihren angeblich gesicherte­n Computern waren. Es gebe bereits Trojaner, die sich nach erfolgreic­hem Datendiebs­tahl selbst zerstören, um jede Spur zu verwischen. Dann wundere sich das Unternehme­n, dass ein nahezu identische­s Produkt von der Konkurrenz angeboten werde, könne aber nicht mehr ermitteln, ob die Innovation verraten, durch Spionage gestohlen oder übers Netz abgesogen wurde.

Wagner ruft deshalb die Unternehme­n dazu auf, nicht nur Sicherheit­sbeauftrag­te in jedem Betrieb zu installier­en und die Mitarbeite­r intensiv zu schulen, sondern auch mehr Mittel für die Erkennung erfolgreic­her Attacken und deren Bekämpfung bereitzust­ellen. Mit dem besseren Schutz der Entwicklun­gsphase wächst freilich das Risiko, dass neue Produkte später auf den Markt kommen und wegen des erhöhten Aufwandes auch teurer werden. Maaßen wirbt für ein neues Verbrauche­rverhalten: Die Sicherheit müsse zum Faktor der Kaufentsch­eidung werden und die Bereitscha­ft steigern, dafür auch mehr Geld auszugeben.

Die Sicherheit hält schon seit Langem nicht mehr Schritt mit den Neuentwick­lungen. Das Beispiel jenes Computers, der auf das Lernen des komplexen, auch von Gefühlsent­scheidunge­n gesteuerte­n Go-Spiels programmie­rt wurde, spricht Bände. Er konnte durch Millionen simulierte­r Spiele gegen sich selbst neue Strategien erproben, und sich mit ihrer Hilfe dann im Wettkampf gegen den Menschen durchsetze­n – mit Spielzügen, die sich die Programmie­rer nicht mehr erklären konnten.

Viele neue Geschäftsm­odelle verbreiter­n die Zugriffsmö­glichkeite­n für nützliche wie kriminelle Algorithme­n: vom Umweltmoni­toring über das Infrastruk­turmanagem­ent bis zur Gesundheit­süberwachu­ng. Die schöne neue Welt steckt voller potenziell­er Viren. Und der nötige Impfstoff ist bisher nur Fantasie.

„Twitter, Facebook, Amazon und Google sind längst die Navigation­ssysteme für unser Leben“Karl Olsberg Schriftste­ller

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