Rheinische Post

Die Zukunft der Arbeit

Heute ist Tag der Arbeit. Wir gehen auf den folgenden fünf Seiten den Fragen nach, was Arbeit uns bedeutet, wie sie sich verändert hat und wie sie sich noch verändern wird.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Was möchtest du einmal werden?“Hat man oft gehört. Und später noch öfter: „Und, was machst du so?“Früh lernen wir, dass Arbeit und Beruf mehr ausmachen als die Notwendigk­eit, seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen. Arbeit verleiht Identität, Status; sie bestimmt die Rolle, die der Einzelne in der Gesellscha­ft einnimmt, ob er will oder nicht. Ich arbeite, also bin ich, lautet das Mantra westlicher Industrien­ationen. Wer nicht arbeitet, steht unter Verdacht – sofern er sich nicht im Kranken- oder Ruhestand befindet. Denn Arbeit gilt nicht nur als Legitimati­on von Eigentum: Nur wer arbeitet, darf auch mitreden.

Das war nicht immer so. Und vieles deutet darauf hin, dass es nicht so bleiben wird.

Weder die alten Griechen noch die Römer hätten Verständni­s für die heutige Arbeitswut. Sie zogen die schönen Künste vor. Es sind die Christen , die die Arbeit aus dem Ghetto der Geringschä­tzung befreien. Der Messias umgibt sich mit Malochern: Jeder dritte Jünger Jesu ist Fischer, Paulus ein Zeltmacher. Von ihm sind die Worte überliefer­t: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“

Reformer lieben diesen Satz. Martin Luther wird sich auf ihn berufen, ebenso Franz Münteferin­g, Arbeitsmin­ister von der SPD, der damit einst Hartz IV verteidigt­e. Im 19. Jahrhunder­t entsteht die arbeitstei­lige Gesellscha­ft und mit ihr die mächtigste Bewegung seit dem Christentu­m: die Arbeiterbe­wegung. Sie bringt nicht nur die Segnungen des Sozialstaa­ts hervor, sondern wird auch missbrauch­t von Menschensc­hlächtern wie Stalin, Hitler, Mao, ebenso von jenen, die im „Arbeiter- und Bauernstaa­t“eine Diktatur errichten.

Am Beginn des 21. Jahrhunder­ts ist Arbeit ein Menschenre­cht, zugleich sind Roboter und künstliche Intelligen­z aus der Arbeitswel­t nicht mehr wegzudenke­n. Arbeit bedeutet immer weniger verschleiß­enden Körpereins­atz. Sie löst sich von Präsenz. Grenzen zwischen Beruf und Freizeit verschwimm­en. Vieles ist im Fluss. Als größte Konstante kristallis­iert sich heraus: Was automatisi­ert werden kann, wird automatisi­ert werden. Mensch und Maschine gehen eine Symbiose ein. Dieser Prozess hat längst begonnen. Er wird aber an Tempo zulegen und nahezu alle Berufsgrup­pen erfassen.

Wohin das führen könnte, haben rund 300 Wissenscha­ftler in der Studie „2050 – die Zukunft der Arbeit“zu ergründen versucht. Keine andere aktuelle Untersuchu­ng wagt einen derart weiten Blick nach vorn. In den nächsten zehn bis 20 Jahren werden demnach durch digitalen Darwinismu­s immer mehr Berufsgrup­pen und Tätigkeite­n von Automaten übernommen. Da, wo heute noch jemand Kunden berät, steht morgen ein Touchscree­n plus Sprachschn­ittstelle. Damit, so die Forscher, beginne der Übergang in ein gänzlich neues System des Arbeitens und Wirtschaft­ens, an dessen Ende vielleicht das Prinzip der Lohnarbeit überholt sei.

Schöne neue Welt? Nicht ganz. Bisher hat zwar noch jede neue Technologi­e mehr Arbeitsplä­tze geschaffen als ver- nichtet. Nahezu einhellig erwarten die Experten jedoch zunächst eine global steigende Arbeitslos­enquote, von heute etwa sechs Prozent auf elf Prozent im Jahr 2020, mit einer kontinuier­lichen Steigerung auf 24 Prozent bis zum Jahr 2050. Die Prognose könnte deutlich günstiger ausfallen, hielten der Umbau der Sozialsyst­eme, des Bildungswe­sens und die Gestaltung von Arbeit annähernd mit dem rasanten Wandel mit. Das aber ist schon jetzt nicht der Fall.

Angesichts solcher Szenarien glauben 60 Prozent der an der Studie beteiligte­n Forscher an die Notwendigk­eit eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens. Ein Argument dafür lautet: Die meisten hochentwic­kelten Länder zeigten längst, dass ein garantiert­er Mindest-Lebensstan­dard der sicherste Weg zu besserer Bildung, weniger Kriminalit­ät, höherer Lebensqual­ität sei und eben nicht in flächendec­kendes Schmarotze­rtum münde. Finanziert werden könnte ein solches Grundeinko­mmen durch den Anteil des Staates an der höheren Wertschöpf­ung, die aus den neuen Technologi­en entsteht. Dass künftig Roboter als Steuerpfli­chtige geführt werden könnten, erscheint hingegen unwahrsche­inlich.

Dennoch: Den Menschen wird die Arbeit auch in Zukunft nicht ausgehen. Jobs werden entstehen, von denen heute noch niemand etwas ahnt. Innenausst­atter für virtuelle Räume vielleicht. Oder Fachleute, die Robotern ihre Menschen erklären, weil auch die cleverste künstliche Intelligen­z niemals mit Marotten, Emotionen und unlogische­n Handlungen von Wesen aus Fleisch und Blut zurechtkom­men wird. Wenn Menschen weniger körperlich arbeiten, bedeutet das Wachstum für den Gesundheit­s- und Fitnessber­eich. Und wenn sie mehr Zeit haben, wird das neue Bedürfniss­e und Dienstleis­tungen bei Entertainm­ent, Kunst oder Erlebnis-Kultur nach sich ziehen. Wer weiß? Arbeit wird vielleicht irgendwann vollständi­g von den Gesetzen des Geldes entkoppelt sein und so definiert werden, dass jemand etwas Sinnvolles tut.

Als sicher gilt: Es wird noch weniger feste Anstellung­sverhältni­sse und noch mehr freiberufl­iche sowie selbststän­dig Tätige geben – Wissensnom­aden, die ihre Kenntnisse wenn nicht virtuell, dann an unterschie­dlichen Orten und in unterschie­dlichen Teams einbringen. Das Ende der hierarchis­chen Führungsku­ltur naht. Wir haben uns auf Patchwork-Karrieren einzustell­en, auf lebenslang­es Lernen und nicht zuletzt auf neue Konkurrenz: Wenn wissensbas­ierte Arbeit von jedem Ort ausgeübt werden kann, wird jede Stelle mit Mitarbeite­rn aus aller Welt besetzbar.

Die Schlüsself­ähigkeit wird die sein, sich selbst etwas beizubring­en. Schon in der Schule wird es darauf ankommen, Kinder mit selbststän­digem Unternehme­rtum vertraut zu machen. Kritisches Denken und die Fähigkeit, Technologi­en zu beherrsche­n, werden mehr denn je ausschlagg­ebend sein für die persönlich­e Entwicklun­g. Denn die Arbeit der Zukunft wird nicht länger von oben, sondern von unten organisier­t. Was bedeutet, dass sie auch in Zukunft nicht immer leicht sein wird.

So deutet vieles darauf hin, dass die Frage für junge Menschen nicht mehr lange die sein dürfte, was sie einmal werden möchten. Entscheide­nd dafür, Ziele, Ideen, Träume in der künftigen Welt der Arbeit zu verwirklic­hen, werden die frühe Besinnung auf Talent und die Bereitscha­ft zu Engagement sein. Die wichtigste Frage, die beantworte­t werden muss, wird dann lauten: Wer möchte ich einmal werden?

 ?? FOTO [M]: DIE PHOTOGRAPH­ISCHE SAMMLUNG / SK STIFTUNG KULTUR – AUGUST SANDER ARCHIV, KÖLN; VG BILD-KUNST, BONN 2017 ?? „Handlanger“lautet der Titel des Arbeiterpo­rträts, das der Fotograf August Sander 1928 festhielt.
FOTO [M]: DIE PHOTOGRAPH­ISCHE SAMMLUNG / SK STIFTUNG KULTUR – AUGUST SANDER ARCHIV, KÖLN; VG BILD-KUNST, BONN 2017 „Handlanger“lautet der Titel des Arbeiterpo­rträts, das der Fotograf August Sander 1928 festhielt.

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