Bis einer schreit
Das landesweite Festival Tanz NRW ist im Tanzhaus angekommen: mit der Produktion „Momentum“und 45 Minuten Sogwirkung.
Es gibt an diesem Abend nicht die natürliche Hackordnung, also Zuschauer auf die Plätze, Bühne dem Personal. Und weil darum niemand beim Einlass weiß, wohin er sich nun genau stellen darf und auch mag, und es die meisten darum vorziehen, sich möglichst an die Ränder zu verdrücken, treibt es nur drei mutige Damen mitten auf die Fläche. Dort stehen sie nun, niemand holt sie weg, es wird ein Beat durch die Lautsprecherboxen gepumpt, es klingt, als käme man nachts um drei am Eingang eines Techno-Clubs vorbei und höre vom Bürgersteig nur vierteltaktig-dumpfes „dup – dup – dup – dup – dup“. Vor den drei Damen liegen drei Gestalten wie leblos, über ihnen hängen Lampenschirme von der Decke, und die Funzellichter darin gehen aus und wieder an, und die Körper auf dem Boden haben sich verschoben. Alsbald beginnen sie zum Techno zu zucken, jeder Rückenwirbel wird einmal herausgestellt, man staunt, wow, so eine Körperbeherrschung hätte man auch gerne. Der Discjockey schraubt jetzt mehr Bässe rein, die Leblosen machen Anstalten, vom Fleck zu kommen, erst kriechen sie, bald krauchen sie auf allen Vieren, den Damen wird das langsam doch zu bunt, sie sehen zu, dass sie an die Seite kommen.
So stellt sich dann nach fünf Minuten doch noch eine Ordnung ein, für 40 weitere steht man dabei und staunt, was ein Mensch aushalten kann. „Momentum“heißt die Produktion der Cocoondance Company, die ihren Tänzern von Moment zu Moment alles abverlangt und dann immer noch etwas mehr. Das Stück kommt anlässlich des landesweiten Festivals Tanz NRW zur Aufführung, und es entwickelt einen seltsamen Sog – wie ein gut gemachter Actionfilm, also richtiges Spektakel.
Die Tänzer tragen Strumpfmasken über den Köpfen, das entindividualisiert sie, die Bewegungen sind animalisch, aber so kraftvoll, bis sie irgendwann endlich aufrecht stehen. Gedanke: Man sieht zu, wie einer versucht zu sein. Der Beat setzt aus. Man hört sie keuchen. Einer krümmt sich, sucht am Boden halt. Man weiß nicht, gehört das nun dazu oder kippt der einem gleich erschöpft vor die Füße?
Der Discjockey, der Franco Mento heißt, schickt neue Bässe auf den Dancefloor und ein scharfes Surren hinterher, dem die drei – Álvaro Esteban aus Spanien, Andi Xhuma aus Griechenland und Werner Nigg aus der Schweiz – sprachlos, mit flüssiger werdenden Bewegungen auszuweichen scheinen.
Im Publikum beginnen sie mit den Köpfen zu nicken, es kommt leichte Samstagnacht-Stimmung auf – Feier des Moments –, die ja auch schnell etwas Gezwungenes bekommen kann, und auf der Fläche vollführen sie nun Rollen und auch einen Hechtsprung, aber sie sehen dabei auch sehr angestrengt aus.
Sie reißen sich die Masken vom Kopf, sie schauen ihren Zuschauern in die Augen, sie schubsen sich, Körper prallen aneinander, jetzt werden mehr als Ellenbogen ausgefahren. Sie schreien, sie sind völlig am Ende, die Hemden sind von Schweiß vollgesogen, sie schreien nur noch; toll, dass sie das immer noch hinbekommen. Glücklich klingen sie nicht.