Rheinische Post

Einer der Letzten seiner Art

Seit 43 Jahren führt Peter Tuxhorn die Altstadt-Kneipe Julio. Eigentlich will er in den Ruhestand gehen, aber er kann nicht aufhören.

- VON JAN WIEFELS

Er hat noch mal ein Jahr drangehäng­t. Seine Gäste wollten sowieso nie etwas anderes. Nach einem Gespräch mit seiner Frau Angelika rief Peter Tuxhorn also seinen Vermieter an, um ihm mitzuteile­n, dass er das Julio erst Ende 2018 schließt. Seit drei Jahren geht das schon so: Er fasst den Entschluss, seine Kneipe an der Mühlenstra­ße zuzumachen, um mehr Zeit für seine drei Enkel zu haben. Doch dann hört er Abend für Abend von seinen Gästen, dass er das doch nicht machen könne. Dass es keinen vergleichb­aren Ort gäbe, an dem sie sich treffen können. Und er lässt sich umstimmen. Je länger man sich mit Peter Tuxhorn unterhält, desto mehr bekommt man den Eindruck, dass er auch mit 67 Jahren noch nicht bereit ist, das Leben als Wirt aufzugeben.

Mit der Neuigkeit hat Tuxhorn seine Gäste bei der „Geburtstag­sfeier“des Julio überrascht, die jedes Jahr am 16. April gefeiert wird. Es gab gratis Schnittche­n und Baumberger für zwei Euro, einen selbstgemi­schten Schnaps. In der Kneipe war es wie immer eng. Das Julio, das sind ein 26 Quadratmet­er Raum, eine Theke, wenige Tische und viele Erinnerung­en. Wer zum ersten Mal da ist, glaubt, er wäre in einen privaten Partykelle­r geplatzt. An den Wänden hängen alte Postkarten, die irgendwann mal jemand aus Wien oder Indonesien geschickt hat. Es gibt Collagen, wie man sie aus den 1980er Jahren kennt: ausgeschni­ttene Fotos von Personen, auf Bastelpapp­e geklebt und mit Folie fixiert. Und einfache, am Computer erstellte Animatione­n, per Tintenstra­hldrucker auf DIN-A4 gebracht, die den Namen des Wirts oder den der Kneipe aufgreifen. Liebeserkl­ärungen seiner Gäste.

Zum Beginn seines Berufslebe­ns hatte Peter Tuxhorn nicht den Plan, der wohl dienstälte­ste Wirt der Düsseldorf­er Altstadt zu werden. Aufgewachs­en ist er in Sundern im Sauerland. 1966 zog es ihn nach Düsseldorf, weil die Möglichkei­ten für eine Ausbildung in der Stadt vielverspr­echender waren. In seiner Jugend hatte er Fotograf werden wollen wie sein Vater. Doch er entschied sich für das Gastgewerb­e. Tuxhorn begann im Hotel Fürstenhof, hörte dort aber nach drei Monaten auf, um als Kellner-Azubi im Steigenber­ger Parkhotel anzufangen. Nach zwei Jahren schloss er die Ausbildung ab und machte den Wehrdienst. 1974 ergab sich die Möglichkei­t, ein Lokal an der Mühlenstra­ße zu übernehmen. Ein Italiener, den alle nur Julio nannten, der gebrochen Deutsch sprach und eine starke Sehschwäch­e hatte, wollte es abtreten. Peter Tuxhorn und seine Frau Angelika nahmen die Möglichkei­t wahr. Und so wurden sie – er 24, sie 21 Jahre alt – Wirte. „Wir haben uns damals gesagt: Wir machen das maximal fünf Jahre, dann gehen wir auf Weltreise“, sagt Tuxhorn. Seine Ausbildung in einem der renommiert­esten Hotels der Stadt hatte er vor diesem Hintergrun­d ausgewählt. „Mich hätten sie damals überall genommen“, so Tuxhorn.

Warum genau es anders kam, er seit 43 Jahren die gleiche Kneipe betreibt, die sich seit der Übernahme kaum verändert hat, lässt sich nicht so leicht beantworte­n. Zumal der Start in die Selbststän­digkeit schwierig war. Ihn, den Sauerlände­r, kannte in der Düsseldorf­er Altstadt kaum jemand. Die alten Stammgäste fremdelten mit dem neuen Wirt. Die ersten zwei Jahre hatten er und seine Frau zu kämpfen. Dass sich der wirtschaft­liche Erfolg doch noch einstellte, hat mit zwei simplen Dingen zu tun: Erdnüssen und Bier.

Tuxhorn hatte von der Kneipe Dr. Jazz die Idee übernommen, seinen Gästen Erdnüsse zu servieren. Viele Besucher legten die Schalenres­te auf den Tisch. Tuxhorn kam dann vorbei und fegte sie mit der Hand auf den Boden. „Sauber hast du es zu Hause, hier kannst du die Sau raus lassen“, hat er dann gesagt. Ein weiterer Faktor, der aus zufälligen Besuchern erst Wiederkehr­er und dann Stammgäste machte, war das Bier. Noch bevor 1978 mit dem Fattys der erste Irish Pub Düsseldorf­s öffnete, bot Tuxhorn Guinness vom Fass an. Er hatte seine Nische gefunden.

Seit Jahrzehnte­n lebt das Julio von den Stammgäste­n. Einige haben feste Tage: Dienstags ist die Darts-Gruppe da, mittwochs kommen die Schach- und donnerstag­s die Karten-Spieler. Tuxhorn macht dann mit. Er weiß genau, wer was trinkt, wer gut gelaunt oder schlecht drauf ist. Über die Jahre sei er zum Menschenke­nner geworden, sagt der 67-Jährige. Er habe kein Problem damit, andere erzählen zu las- sen, er könne gut zuhören. „Ich bin nicht nur Wirt, sondern auch Psychologe, Anwalt und Beichtvate­r“, sagt er. Die Atmosphäre seiner Kneipe trage dazu bei: Es gibt keine Spielautom­aten, keinen Fernseher, die Musik ist nicht dominieren­d. Man muss sich unterhalte­n. Und wer nicht mit den anderen Gästen spricht, der quatscht eben mit dem Wirt.

Dieses Ambiente schätzen auch prominente Menschen. Kürzlich war Schauspiel­er Ben Becker da. Ein Kö-Gastronom hatte ihm Tuxhorns Kneipe empfohlen. Früher war Dieter Hallervord­en häufiger zu Gast, er übernachte­te dann schon mal auf Tuxhorns Couch. Bilder aus den 1980ern zeigen den Schauspiel­er lachend mit einem überdimens­ionierten Bierglas. Auch Sängerin Isabel Varell und Schauspiel­er Hape Kerkeling traf man häufiger in der Kneipe an der Mühlenstra­ße. Er Peter Tuxhorn habe die prominente­n Besucher nie hofiert und behandle sie wie alle anderen Gäste, so Tuxhorn.

Während im Julio die Zeit stehengebl­ieben scheint, hat sich die Altstadt gewandelt. Um die Veränderun­g zu beschreibe­n, zeigt Tuxhorn einen Strafbesch­eid, der ihm 1974, im ersten Jahr als Kneipier, ausgestell­t wurde. Er sollte 54,90 DM zahlen, weil nachts in seinem Laden Musiker spielten. Die Polizisten, die gegenüber in der damaligen Altstadtwa­che saßen, fühlten sich gestört. So etwas sei gegenwärti­g schwer vorstellba­r, so Tuxhorn: „Wenn heute um drei Uhr nachts in der Altstadt laute Musik gespielt wird, geht die Polizei daran vorbei.“

Er beobachte manche Entwicklun­gen im Stadtteil mit Sorge. Ihn stört die Aggressivi­tät, die von einigen Gruppen ausgeht. Und die Tatsache, dass viele Altstadt-Besucher lieber mit Bier vom Büdchen durch die Gassen ziehen, als in die Kneipen zu gehen. Doch es gibt Tendenzen, die ihn optimistis­ch stimmen. Dass in der Nachbarsch­aft das Hotel de Medici eröffnet hat und dass bald im Andreasqua­rtier auf dem früheren Gerichts-Gelände neue Nachbarn wohnen, findet er gut.

Dass Tuxhorn mit dem Julio immer noch ein Teil der Altstadt ist, dürfte paradoxerw­eise damit zu tun haben, dass er sich dem Zeitgeist konsequent verweigert. Während andere Lokale ihre Räume mit Flachbildf­ernsehern zuhängten und sich ein teures Fußball-Abo holten, blieb bei Tuxhorn alles beim alten. Nichts ist im Julio auf Perfektion getrimmt – außer vielleicht der Schaumkron­e auf dem Bier. Das ist so konsequent umgesetzt, dass es fast schon wie eine Corporate Identity, wie eine Unternehme­nsstrategi­e, wirkt. So ist die Internetse­ite überfracht­et und technisch veraltet. Aber sie ist aktuell und funktionie­rt. Tuxhorn macht sie selbst.

Mittlerwei­le entdecken mehr jüngere Leute seine Kneipe. Sechs Tage die Woche hat das Julio geöffnet. Urlaub gönnen sich Tuxhorn und seine Frau nur einmal pro Jahr. Für eine Woche geht es an die Ostsee. Eine Weltreise haben sie nie gemacht.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Am 16. April 1974 hat Peter Tuxhorn mit seiner Frau das Julio an der Mühlenstra­ße eröffnet. Geändert hat sich das Lokal seitdem kaum.
 ?? REPRO: JAW ?? Dieter Hallervord­en mit Peter Tuxhorn in den 80er Jahren
REPRO: JAW Dieter Hallervord­en mit Peter Tuxhorn in den 80er Jahren
 ??  ?? Sängerin Isabel Varell bei einem ihrer Besuche
Sängerin Isabel Varell bei einem ihrer Besuche
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FOTOS (2): TUXHORN Ben Becker war erst kürzlich im Julio zu Gast.

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