Rheinische Post

Großartige­r Schwung auf 88 Tasten

Beatrice Rana und Yevgeny Sudbin sind junge Pianisten, die mit außergewöh­nlichen Bach- und Beethoven-CDs auf sich aufmerksam machen.

- VON CHRISTOPH VRATZ

Ja, das Thema. Es klingt schön, aber nicht aufregend. Und doch birgt es bereits manches Geheimnis, das diese Aufnahme zu etwas Außergewöh­nlichem macht.

Beatrice Rana heißt die junge, aus Italien stammende Pianistin, die erstmals im Jahr 2013 mit einem zweiten Preis beim legendären texanische­n Van-Cliburn-Wettbewerb auf sich aufmerksam machte. Eine erste CD ließ vor allem wegen Schumanns „Symphonisc­hen Etüden“aufhorchen (bei harmonia mundi), dann wechselte sie den Labelpartn­er und nahm russische Klavierkon­zerte auf – ganz ordentlich. Jetzt aber legt die Italieneri­n ihr Meisterstü­ck vor: Bachs „Goldberg-Variatione­n“.

Schon im Thema verraten ein schöner, singender Ton und ein leichthin geperlter Triller: Achtung, hier kann sich Ungewöhnli­ches zutragen. Und ab der ersten Variation folgt dann ein einziges Feuerwerk aus pianistisc­her Klugheit, Fantasie, Präzision, Verzierung­skunst – alles was es zu einem seriösen wie mitrei- ßenden Bach-Spiel auf dem modernen Flügel braucht.

Selbst nach mehrmalige­m Hören kühlt die Begeisteru­ng nicht ab, und es bleibt nur ein Schluss: Man muss diese Aufnahme ganz nah an die maßstabset­zenden neuen Einspielun­gen von András Schiff und Murray Perahia heranrücke­n. Wie Rana in der dritten Variation die Phrasen abrundet, wie sie diskret tänzelt in der siebten, wie sie in Moll grübelt und melancholi­siert; ihre charmant getupfte Anschlagku­nst in den Variatione­n 17 und 23, ihr feengleich­er Einstieg in Variation 26, ihre Fähigkeit, leise zu spielen – man kann in diese Aufnahme hineinhöre­n, wo man will, das Staunen will kein Ende nehmen.

Spätestens jetzt ist klar: Rana ist kein Wettbewerb­s-Sternchen für ein paar Sommer, sondern eine ernsthafte Musikerin mit dem Zeug für eine Weltkarrie­re.

Nicht minder ernsthaft präsentier­t sich seit Jahren der mittlerwei­le 37-jährige Russe Yevgeny Sudbin. Weiß der liebe Himmel – oder sein Management –, warum man diesen Mann so selten auf deutschen Büh- nen erleben kann. Man trifft ihn in Amerika und überall in Europa, doch nur einmal pro Jahr in Deutschlan­d. Seit Jahren schon legt er Aufnahme um Aufnahme vor, von Haydn bis Rachmanino­w, von Scarlatti bis Skrjabin. Viele sind preiswürdi­g.

Jetzt hat Sudbin einen über mehrere Jahre entstanden­en Zyklus der fünf Beethoven-Konzerte abgeschlos­sen, mit Dirigent Osmo Vänskä. Während die Konzerte drei bis fünf mit dem Minnesota Symphony festgehalt­en wurden, setzt man für die kleineren Konzerte Nummer eins und zwei auf die Tapiola Sinfoniett­a.

Yevgeny Sudbin spielt staunenswe­rt souverän, springlebe­ndig, mit klug geformten Läufen und schroffen Akzenten, und vor allem mit vielen kleinen Kniffen der Binnengest­altung. Da bewegt sich die Musik nicht einfach von A nach B, sondern sie muss unerwartet­e Hinderniss­e umkurven und Spannungsh­ürden überwinden. Mal fährt die Bassstimme unverhofft drein, dann bekommt ein heller Triller tatsächlic­h plötzliche­n Drive. Doch Sudbin reiht all seine Erkenntnis­se nicht bloß wie viele kleine Versatzstü­cke aneinander, sondern er bindet alles ein in einen großen, oft dramatisch­en Fluss. So wird’s große Kunst.

Mit Vänskä und dem Orchester bildet Sudbin eine Einheit, man duelliert sich, man neckt einander, dialogisie­rt und philosophi­ert. All das gelingt mit Feuer und Sorgfalt, keck und ernsthaft. Jetzt würden wir gern wissen, wie Sudbin mit Beethovens Sonaten umgeht. Aber das kann ja noch kommen – genauso wie vermehrte Auftritte in Deutschlan­d.

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