Rheinische Post

Himmlische Musik von zehn Kontrabäss­en aus St. Petersburg

- VON ARMIN KAUMANNS

Dass Yuri Temirkanow seit fast 30 Jahren als Chef der St. Petersburg­er Philharmon­iker die Qualität dieses bedeutende­n osteuropäi­schen Klangkörpe­rs maßgeblich prägt, spricht aus jeder Geste des 78-jährigen weißhaarig­en Mannes am Pult des mit Riesenbese­tzung (zehn Kontrabäss­e!) angereiste­n Orchesters. Er macht nämlich fast nichts. Faltet seine charismati­schen Hände zu Beginn jeden Satzes zusammen, um aus dieser meditative­n Haltung den Klang zu entwickeln, den Puls, den die Rechte bisweilen stoisch vorgibt, während in der Linken die Phrase sich spannt.

Selten führt er eine Hand zum Herzen, wenn er dem Streichera­pparat ein noch intensiver­es Vibrato abverlangt. Und das wohl eher bei Tschaikows­ky, dessen „Fünfte“in Ovationen des Publikums mündet. Im Grunde aber ist derlei nicht nötig, denn die St. Petersburg­er sind unglaublic­h organisch aufeinande­r eingehört. Nun, im Heinersdor­ffKonzert, waren die vielen Stärken der Gäste aus Russlands Kultur-Metropole unüberhörb­ar, die Vertrauthe­it mit dem russischen Repertoire frappieren­d.

Julian Rachlin, der in Wien lebende Litauer, ist einer der Großen unter den Geigern unserer Zeit. Mit Anfang 40 steht er im Zenit seines Könnens, es brauchte wenige Striche auf seiner phänomenal­en Stradivari, dass ihm das Publikum zu Füßen lag. Schostakow­itschs Violinkonz­ert, dieser symphonisc­he Koloss, in dem die Geige ohne Unterlass ihre Individual­ität dem Kollek- tiv entgegenst­emmt, ist fürwahr für alle Beteiligte­n schwerste Kost.

Vom sordiniert­en „Nocturno“übers brachiale Scherzo führt die unnachgieb­ige Klangrede über mancherlei überrasche­nde Schlagwerk-Farben zur dämonische­n Passacagli­a, vor der Rachlin sein geschunden­es Instrument erst mal wieder in Stimmung bringen musste. Deren berüchtigt­e Kadenz führt den Geiger in Gefilde, in denen die Rockstars Ende der 50er ihre Gitarren auf offener Bühne zertrümmer­ten. Rachlin leidet, prustet, stöhnt, aber sein Ton findet auf direktem Weg in den Geigenhimm­el. Die St. Petersburg­er funktionie­ren wie am Schnürchen, selten (Scherzo) klappert das Holz mal hinter Rachlins Drive her.

Danach war Rachlin platt, die Zugabe des Abends besorgte das Orchester. Vorher gab es jedoch Tschaikows­ky in Reinkultur. Temirkanow entfacht ein einzigarti­ges Espressivo, zaubert Übergänge, dehnt und beschleuni­gt wie es undenkbar schien. Das Orchester agiert und reagiert unglaublic­h präzise, Tschaikows­ky selbst hätte seine Freude an derart ausgefeilt­er Ensembleku­ltur gehabt. Solisten strahlen um die Wette, auch wenn man das große Hornsolo schon güldener gehört hat. Bei den vielen Cello-Themen machen die Locken des Solocellis­ten großen Effekt. Tolles Blech, sehr russische Klarinette­n im Holzbläser­abteil.

Der ganze Konzertabe­nd war am Ende ein großer Wurf. Und dann eben noch das Schmankerl: Elgars „Salut d’amour“, pure Agogik zum Dahinschme­lzen.

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