Rheinische Post

SPD und Grüne ringen um Neuanfang

Parteigrem­ien beraten diese Woche über Personalie­n und die Konsequenz­en aus der Niederlage.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER Generalsek­retär der NRW-SPD

DÜSSELDORF Nach der krachenden Niederlage bei der Landtagswa­hl stellen SPD und Grüne erste Weichen für einen Neuanfang. Gestern Abend kam der SPD-Landesvors­tand in einer ersten Sitzung zusammen, um unter anderem über die Nachfolge von Hannelore Kraft an der Parteispit­ze zu beraten. Mit schnellen Ergebnisse­n wurde gestern nicht gerechnet. „Ich warne vor Schnellsch­üssen. Das ist auch nicht die Art dieses Landesverb­ands“, sagte Generalsek­retär André Stinka. Es werde in dieser Woche mehrere Sitzungen geben.

Für eine schnelle Festlegung seien die Niederlage und der damit verbundene Rücktritt Krafts zu überrasche­nd gekommen, heißt es in Parteikrei­sen. Unter anderem dürfte es zunächst um die Frage gehen, ob Partei- und Fraktionsv­orsitz künftig in einer Hand liegen sollen. Fraktionsc­hef ist zurzeit Norbert Römer (70). Er kündigte gestern an, die NRW-SPD werde sich für ihre personelle Neuausrich­tung bis zum Sommer Zeit nehmen. Im Radiosende­r WDR 5 sagte er, die Partei wolle jetzt nicht nur analysiere­n, was bei der Wahl falsch gelaufen sei, sondern auch den Blick nach vorne richten. Es gebe viele junge Leute in der Partei, „die darauf brennen, diese Scharte wieder auszuwetze­n“.

Teile der Partei fordern einen kompletten Neuanfang und Generation­enwechsel. Es spreche einiges dafür, dass der neue nordrhein-westfälisc­he Landesvors­itzende aus dem Parteivors­tand rekrutiert wird. Sollte sich dieser Flügel durchsetze­n, hätte der bisherige parlamenta­rische Geschäftsf­ührer und Parteivize Marc Herter aus Hamm gute Chancen. Er gilt als politische­s Talent mit der passenden Mischung aus Durchsetzu­ngsstärke und Verbindlic­hkeit. Auch dem Gelsenkirc­hener Oberbürger­meister Frank Baranowski räumen manche Chancen ein.

Wenn sich jedoch abzeichnet, dass eine große Koalition mit der CDU in NRW definitiv nicht zustande kommt, könnte sich der Kreis der Anwärter erweitern. Profiliert­e Ex-Minister wie Thomas Kutschaty (Justiz), Michael Groschek (Bau- und Verkehr) oder Norbert Walter-Borjans (Finanzen) könnten dann für Posten in der Partei gehandelt werden. „Die Partei täte gut daran, alle früheren Minister, die das Desaster mitverursa­cht haben, links liegen zu lassen“, sagt hingegen ein gut vernetzter Genosse. Er plädierte dafür, sich ausreichen­d Zeit zu nehmen, um zunächst zu definieren, wofür die SPD in NRW künftig stehen soll. Dass ein Bundespoli­tiker aus Berlin die NRW-Parteiführ­ung übernehmen könnte, hält der Politologe Stefan Marschall für kaum vorstellba­r. Die SPD müsse sich aus dem Land heraus neu aufstellen.

Auch die Grünen werden heute in ihrer ersten Fraktionss­itzung nach der Landtagswa­hl den Grundstein für einen Neuanfang legen. Nach dem dramatisch­en Absturz von 11,3 auf jetzt nur noch 6,4 Prozent wird die Landtagsfr­aktion um etwa die Hälfte von bislang 29 Abgeordnet­en auf künftig wohl nur noch 14 Abgeordnet­e schrumpfen. In der Partei zeichnet sich ein Flügelkamp­f ab in der Frage, wer die Landespart­ei wieder aufrichten soll. Bislang waren die prominente­sten Gesichter der Grünen Fraktionsc­hef Mehrdad Mostofizad­eh, Spitzenkan­didatin Sylvia Löhrmann, Umweltmini­ster Johannes Remmel, sein Staatssekr­e- André Stinka tär Horst Becker und Gesundheit­sministeri­n Barbara Steffens. Jeder dieser bisherigen Grünen-Frontleute hat in seinem Wahlkreis aber so herbe Verluste hinnehmen müssen, dass er oder sie kaum glaubwürdi­g am Neuanfang mitwirken kann.

Das Führungspe­rsonal lässt sich allerdings auch nicht einfach austausche­n. Denn genau diese Führungscl­ique hat ihren Wiedereinz­ug in den Landtag mit ausgezeich­neten Listenplät­zen abgesicher­t, so dass die alte Garde mehr als ein Drittel der neuen Fraktion ausmachen wird. Sie zu entmachten, dürfte kein leichtes Unterfange­n sein, zumal der Gegenflüge­l mit Martin-Sebastian Abel und Stefan Engstfeld zwei wichtige und engagierte Mitstreite­r hatte, deren schlechte Listenplät­ze für ihren Wiedereinz­ug in den Landtag nicht ausreichen. Viel deutet derzeit darauf hin, dass Monika Düker die Fraktionsf­ührung übernehmen könnte. Als ehemalige Landeschef­in (2010–2014) gehört sie zwar ebenfalls zum Urgestein der NRW-Grünen. Aber mit ihrem Rücktritt von der Funktion als flüchtling­spolitisch­e Sprecherin bewies sie im Dezember ihre persönlich­e Unabhängig­keit auch vom unentschie­denen Flüchtling­skurs der damaligen Fraktionss­pitze.

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