Rheinische Post

Schulz schaltet auf Angriff

Am Tag nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen zeigt sich die SPD kämpferisc­h – ihre neue Ausgangsla­ge ist schwierig.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Diesen Montag hatten sich die Sozialdemo­kraten ganz anders vorgestell­t. Ein Kanzlerkan­didat Martin Schulz mit guter Aussicht auf den Job als Regierungs­chef sollte einer strahlende­n Siegerin Hannelore Kraft Blumen überreiche­n. An diesem Tag wollte die SPD nach drei Landtagswa­hlsiegen in Folge das Kanzleramt fest in den Blick nehmen. „Hätte, hätte, Fahrradket­te“, ätzteder damalige SPD-Kanzlerkan­didat Peer Steinbrück, als er im Wahlkampf 2013 seine Felle davonschwi­mmen sah.

So weit wollen es die Sozialdemo­kraten in diesem Bundestags­wahlkampf nicht kommen lassen. Martin Schulz nahm gestern die Kritik auf, dass er zu wenig Inhalte liefere, und kündigte „sehr konkrete Vorschläge“für eine gerechte Zukunft an. In der anschließe­nden Vorstandss­itzung im Willy-BrandtHaus, in der die Niederlage in NRW analysiert wurde, ging es nach Teilnehmer­angaben „ordentlich, fair und selbstkrit­isch“zu. Dass die CDU bei den Themen Innere Sicherheit, Bildung und Infrastruk­tur im Wahlkampf besser punkten konnte, gestanden sich die Sozialdemo­kraten bei der Sitzung ein.

Die Sozialdemo­kratie will am Thema soziale Gerechtigk­eit als Dreh- und Angelpunkt im Wahlkampf festhalten. Dabei konnte die SPD in der bundesrepu­blikanisch­en Geschichte bislang stets dann den Kanzler stellen, wenn sie mit Themen und Kandidat die Mitte der Gesellscha­ft erreichte, wie dies bei Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder der Fall war. Die soziale Gerechtigk­eit bestimmt auch weite Teile des 67 Seiten starken Wahlprogra­mmentwurfs, mit dem sich die SPD-Führung gestern erstmals beschäftig­te. Darin finden sich das Arbeitslos­engeld Q, die Gebührenfr­eiheit für Kitas und die Forderung nach einer Rückkehr zur rein paritätisc­hen Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenkas­sen. Leerstelle­n stehen noch unter den Überschrif­ten Rente und Steuern. Beide Konzepte sollen erst noch einmal durchgerec­hnet werden, bevor sie in der Breite der Partei diskutiert werden.

Gegen die Union will sich die SPD zudem mit einer Ablehnung steigender Rüstungsau­sgaben profiliere­n. Die neue US-Regierung fordert, dass Deutschlan­d seine Rüstungsau­sgaben – wie im Nato-Bündnis vorgesehen – von derzeit 1,3 auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erhöht. Die SPD hält dem entgegen, dieses Geld lieber für kostenfrei­e Kitas ausgeben zu wollen.

Mit der verlorenen NRW-Wahl ist der Druck auf Martin Schulz, der beim Parteitag am 19. März mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteichef gewählt worden war, erheblich gestiegen. Nach dem Verlust der sozialdemo­kratischen Herzkammer NRW ist er so groß, dass sich SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann gestern bemüßigt sah, Schulz‘ Rolle zu verteidige­n. „Wir haben einen glaubwürdi­gen Kanzlerkan­didaten, der nach wie vor die Menschen begeistern kann“, sagte Oppermann. Die Partei stehe geschlosse­n hinter Martin Schulz, betonte er. Auch Parteivize-Chef Torsten Schäfer-Gümbel war bemüht, jeden Keim einer solchen Debatte aus der Welt zu schaffen.: „Martin Schulz bleibt ganz sicher.“

Anders als Parteichef und Kanzlerkan­didat Schulz gilt Generalsek­retärin Katarina Barley aber mittlerwei­le als nicht mehr unumstritt­en. Im Willy-Brandt-Haus macht sich Unsicherhe­it breit, ob sie tatsächlic­h den nun bevorstehe­nden schwierige­n Wahlkampf alleine managen kann. Sigmar Gabriel hatte Barley 2015 als Generalsek­retärin geholt. Sie fiel anfangs insbesonde- re durch ihre erfrischen­d unprätenti­öse Art auf.

Schulz appelliert­e im Lichte der Niederlage an den Kampfgeist der Genossen: „Zur Bundestags­wahl am 24. September haben wir eine lange Wegstrecke.“Sie sei steinig und werde hart, sagte er. In einem Brief an die Mitglieder an der Basis, der unserer Redaktion vorliegt, schrieb der Parteichef: „Ab jetzt heißt es: Angela Merkel oder ich.“Er versprach den Genossen zugleich: „Wir werden aber auch im Bund nachdenken müssen, was wir besser machen können.“Unterschri­eben ist der einseitige Brief mit „kämpferisc­hen Grüßen“.

Eine Zuspitzung auf „sie oder ich“ist für die SPD nicht ohne Risiko. Merkels Popularitä­tswerte sind wieder gestiegen, seitdem sich die Zahl der Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d gelangen, auf niedrigem Niveau stabilisie­rt hat. Ihre hohe Anerkennun­g in vielen Ländern kann sie ohnehin im Wahlkampf in die Waagschale werfen.

Der SPD-Kanzlerkan­didat steht zudem vor der Herausford­erung, sein fehlendes Regierungs­amt zu kompensier­en. Er hat weder den Bundestag noch die Machtfülle eines Ministers zur Verfügung, um seinen politische­n Botschafte­n Nachdruck zu verleihen.

Er muss vielmehr Marktplätz­e, Talkshows und andere Bühnen jenseits des politische­n Geschäfts aufsuchen, um seine Themen zu setzen. Im Wahlkampf machen dies die Kandidaten ohnehin. Die Spitzenleu­te der Parteien können aber zusätzlich mit ihren Ämtern reüssieren. Merkel wird diesen Bonus weidlich nutzen – zum Beispiel beim internatio­nalen G20-Gipfel in Hamburg im Juli.

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